Mitten im Nirgendwo: Das ist Hamburgs einsamste Kirche
Altenwerder –
Sie liegt mitten im Nirgendwo: Einsam ragt die 62 Meter hohe Kirchturmspitze zwischen Bäumen empor. St. Gertrud steht im Schatten gigantischer Windkraftanlagen, eingeklemmt zwischen der Autobahn 7 und dem Containerterminal Altenwerder. Das 190 Jahre alte Bauwerk ist der allerletzte Rest eines längst untergegangenen Stadtteils.
Doch ein echter „Lost Place“ ist das Gotteshaus eigentlich nicht. Immerhin finden hier in normalen Zeiten noch zweimal im Monat Gottesdienste statt. St. Gertrud gehört heute zur Thomas-Gemeinde in Hausbruch. Wer allerdings mitten in der Woche rund um die Kirche spazieren geht, trifft kaum einen Menschen. Ein Warnschild weist auf Steine hin, die sich vom Kirchturm lösen könnten. Das gemauerte Tor des angrenzenden Friedhofs ist verfallen, hier wird schon seit Jahrzehnten niemand mehr beigesetzt. Die Wege sind durch Beton-Barrieren versperrt. Dazwischen verschafft sich die Natur entlang eines Baches immer mehr Raum.
Noch vor 50 Jahren war das anders. Da lebten hier rund um die Kirche 2500 Menschen und viele davon über mehrere Generationen! Die ältesten bekannten Urkunden aus Altenwerder stammen von 1250, doch Historiker glauben, dass das Dorf schon um 800 besiedelt war. Im 15. Jahrhundert waren hier 16 „Höfner“ verzeichnet. Und auch eine Kirche gab es schon. Gemüse und Obst wurden angebaut und Vieh gezüchtet. Im Jahr 1803 sind 133 Wohnhäuser und 1000 Einwohner gezählt worden. 400 Kühe grasten auf fetten Wiesen. Die „Altenwerdianer“ brachten die Milch mit Ewern auf der Elbe nach Hamburg und verkauften sie dort. Doch nach dem Zweiten Weltkrieg war es vorbei mit der Idylle hinterm Deich.
Zwar wird St. Gertrud 1948 als eine der ersten Hamburger Kirchen nach Bombenschäden wieder aufgebaut, doch die Geschichte Altenwerders nähert sich ihrem Ende. Das Schreckenswort für die Bewohner lautet „Hafenerweiterungsgesetz“. Ab 1961 kaufte die Stadt Grundstücke in Altenwerder. Helmut Kern (1926-2016), ab 1966 Wirtschaftssenator und mächtiger SPD-Politiker, trieb die Entwicklung energisch voran und wurde zum Totengräber Altenwerders. Ab 1973 drohte die Stadt sogar mit Enteignungen. Bis 1980 hatten fast alle Einwohner ihre Häuser verkauft und waren weggezogen. Der letzte, der schließlich Haus und Hof verkauft, war der legendäre Elbfischer Heinz Oestmann (1950-2018). Der „Rebell von Altenwerder“ hielt bis 1998 durch und zog dann nach Finkenwerder.
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2002 wurde das Containerterminal Altenwerder eröffnet und heute fragen sich täglich tausende auswärtige Autofahrer auf der nahen A7, was denn wohl die einsame Kirche da mitten im Hamburger Hafengebiet macht.