Der ungleiche Fahrrad-Boom: Gebildete fahren deutlich mehr Rad
Deutschland erlebt einen Fahrrad-Boom – ganze 40 Prozent hat das Radeln in der Bundesrepublik seit Mitte der 90er Jahre zugenommen. Aber nicht alle strampeln gleich viel: Eine Untersuchung des Soziologen Ansgar Hudde hat gezeigt, dass vor allem eine höhere Bildung mehr Zeit auf dem Fahrrad bedeutet. Er hat der MOPO verraten, was das bedeutet und welche Folgen Städte wie Hamburg daraus ziehen können.
„Der Zusammenhang ist wirklich stark und lässt sich nicht ‚wegerklären‘“, meint der Soziologie Ansgar Hudde (30), der aktuell an der Universität zu Köln arbeitet. Es geht um seine Forschung zu Fahrradnutzung, die aktuell für Diskussionen sorgt. Das Ergebnis seiner Studien: Vor allem höher Gebildete schwingen sich häufiger auf das Rad.
Untersuchung zeigt: Höhere Bildung bedeutet höhere Fahrradnutzung
„Auch nach statistischer Herausrechnung von Wohnort, Alter, Geschlecht und sogar Einkommen bleibt: Menschen mit höherem Bildungsabschluss fahren deutlich mehr Fahrrad,“ sagt der Gesellschaftsforscher der MOPO. Dabei überraschte ihn nicht nur der starke Zusammenhang zwischen Bildung und Fahrradnutzung, sondern auch die großen Unterschiede zwischen den Bildungsgruppen – vor allem in den Städten.
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Die Untersuchung von Ansgar Hudde stützt sich dabei auf repräsentative Daten aus dem deutschen Mobilitätspanel für die Jahre 1996 bis 2018 sowie aus der Studie „Mobilität in Deutschland 2017“ des Bundesverkehrsministeriums. Darin wurden die Wege von mehr als 55.000 Befragten aufgeführt und die Verkehrsmittel, die sie dafür genutzt haben: Insgesamt etwa 800.000 Wegstrecken.
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Laut den Daten fuhren Stadtbewohner:innen mit Abitur im Jahr 2018 durchschnittlich 70 Minuten wöchentlich Fahrrad, während Stadtbewohner:innen ohne Abitur dagegen nur 42 Minuten in die Pedale traten. Diesen Unterschied beobachtete der in Erlangen geborene Sozialforscher auch auf dem Land, jedoch weniger stark ausgeprägt.
Was bedeutet die Forschung jedoch für Städte wie Hamburg, die in Zukunft stark auf das Fahrrad setzen wollen? Vorläufige Ergebnisse des Soziologen zeigen: „Eine ‚allgemeine‘ Fahrradförderung, die soziale Ungleichheiten nicht direkt und detailliert beachtet, wird Unterschiede zwischen den Bildungsgruppen vermutlich nicht schließen.“ Gerade in den Städten, wo diese Kontraste am stärksten hervortreten, sei das jedoch wichtig.
Den Grund für das abweichende Verhalten der Bildungsgruppen vermutet der Sozialforscher in Unterschieden in Elternhaus, Kindergarten und Schule: „Kinder von höhergebildeten Eltern wachsen häufiger in Haushalten auf, die fahrradorientiert sind. Vermutlich lernen diese Kinder dann auch früher und besser Rad fahren und bauen ein positiveres Verhältnis zum Fahrrad auf.“ Dieser Effekt werde zudem verstärkt, da Kinder auf gleichen Schulen oft einen ähnlichen sozialen Hintergrund haben, so Ansgar Hudde.
Soziologe Ansgar Hudde: Politik könnte Kindern ein positives Verhältnis zum Rad beibringen
Politische Maßnahmen könnten jedoch genau dort ansetzten, wie der Forscher der MOPO erklärt: „Politik könnte das Ziel verfolgen, dass alle Kinder lernen, sicher und selbstbewusst auf dem Rad unterwegs zu sein und vielleicht auch ein positives Verhältnis zum Fahrrad zu entwickeln.“ Besonders in benachteiligten Vierteln könnten politische Maßnahmen, wie etwa das frühe Erlernen von Fahrradfahren, die sozialen Ungleichheiten am ehesten reduzieren, so der Gesellschaftsforscher.
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Der Soziologe erklärt der MOPO jedoch, dass die in der Forschung berücksichtigte Bildung nur grob das komplexe, dahinterliegende Konstrukt aus Sozialisation, Lebensstil und Familie abbilden kann. Dennoch habe formale Bildung handfeste Folgen: „Menschen mit höherer Bildung erfahren im Durchschnitt mehr gesellschaftliche Anerkennung und müssen Status und Wohlstand weniger betonen.“
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Das führt dazu, dass gebildete Personen weniger befürchten als erfolglos abgestempelt zu werden, wenn sie etwa mit einem Fahrrad vorfahren. Ein anschauliches Beispiel dafür sei Bundesernährungs- und Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne), der zu seiner Vereidigung als Minister mit dem Fahrrad kam, so Hudde: „Jeder weiß: er ist beruflich erfolgreich. Wenn er wollte, könnte er sich auch in der S-Klasse chauffieren lassen. Er wählt das Rad bewusst als Symbol.“ Mit dem Rad ist also auch eine klare Botschaft verbunden – das Fahrrad ist zum Statussymbol der Gebildeten geworden.