Neue HVV-Chefin: Sie will, dass der ÖPNV bald das Auto ersetzt
Seit Anfang April weht beim HVV ein frischer Wind. Anna-Theresa Korbutt hat ihren Posten als Geschäftsführerin angetreten und folgt damit auf Lutz Aigner. Sie hat bereits in führenden Positionen bei der Deutschen Bahn und den Österreichischen Bundesbahnen gearbeitet und lebte zuletzt sechs Jahre in Wien. Mit der MOPO sprach die 41-Jährige über neue Projekte beim HVV, Preiserhöhungen und ein 365-Euro-Ticket.
MOPO: Frau Korbutt, Sie haben sich gegen Wien und für Hamburg entschieden, warum?
Korbutt: Man muss wissen, dass der HVV auch über die Grenzen Deutschlands hinaus sehr bekannt ist. Wenn man in dieser Branche unterwegs ist, hört man viel Positives zum HVV. Ich dachte mir, das passt. Hamburg ist immer schon eine meiner Wahlstädte gewesen.
Was hört man denn Positives vom HVV bis nach Österreich?
Vor allem die gute Zusammenarbeit im HVV. Verkehrsverbünde gibt es auch in Österreich und meistens sind sie dadurch geprägt, dass die stärksten Verkehrsunternehmen mit der Verbundgesellschaft im Argen liegen. Mir ist es wichtig, in ein Umfeld zu kommen, in dem ich auch gestalten kann. Was mich in Hamburg besonders freut, ist, dass man sich die Mobilitätswende fest als primäres Ziel gesetzt hat. So weit sind andere noch nicht.
Könnte Hamburg aber auch noch etwas von Wien lernen?
Direkt lernen nein, denn jede Stadt ist vollkommen unterschiedlich. Wien hat in den letzten fünfzig Jahren sehr viel Geld in Ausbauten und Taktverdichtungen gesteckt. Deshalb gibt es dort eine modernere Infrastruktur. Erfreulich ist, dass Hamburg erkannt hat, dass man sich dem öffentlichen Verkehr gegenüber anders aufstellen muss und diesen als Umweltverbund sieht. Dass man das ändert, sieht man in großen Schritten in der Stadt, den autofreien Jungfernstieg finde ich zum Beispiel großartig.
Nichtsdestotrotz ist der ÖPNV der Bereich im Stadtverkehr, der am härtesten von Corona getroffen wurde. Wie schwierig werden die nächsten Jahre?
Für mich ist Corona eine vorübergehende Erscheinung. Wenn die Leute das Gefühl der Sicherheit zurückhaben, glaube ich, dass die Fahrgäste zurückkommen. Die Mobilität wird wieder deutlich zunehmen, aber wahrscheinlich in einer anderen Art und Weise.
In welcher denn?
Den Mobilitätsgrund, dass ich fünfmal die Woche ins Büro muss, wird es nicht mehr geben. Aber der Mensch sitzt nicht gerne 24 Stunden lang in seiner Wohnung. Ich glaube, dass die Fahrtgastzahlen sich nach Corona schnell erholen werden, weil die Leute froh sind, wieder rauszukommen.
Trotzdem hat der HVV viele Verluste durch Corona machen müssen. Es gab bereits viel Ärger um frühere Preiserhöhungen – kommt da wieder was auf die Fahrgäste zu?
Die Fahrgeldeinnahmen decken nie zu 100 Prozent die Kosten, Tarifanpassungen sollen Kostensteigerungen mitfinanzieren oder als Inflationsausgleich dienen. Aber wenn es Erhöhungen in der Zukunft geben sollte, was noch nicht geklärt ist, wird sich das nicht an Corona-Verlusten orientieren.
Stehen Preiserhöhungen nicht im Wege, wenn man die Leute im Sinne der Mobilitätswende mehr für den ÖPNV begeistern will?
Studien zeigen, dass es drei Entscheidungsebenen gibt, warum man sich in ein Verkehrsmittel setzt: Ist das Angebot da? Ist es verfügbar? Und erst das Dritte ist der Preis. Die Frage ist ja: Was kostet mich alternativ ein Auto oder Taxi? Das ist teurer.
Wäre das 365-Euro-Jahresticket, das in anderen Städten zum Einsatz kommt, eine Option für Hamburg?
Als das 365-Euro-Ticket in Wien eingeführt wurde, wurde schnell klar, dass man damit allein nur wenige neue Fahrgäste hinzugewinnen konnte. Neue Fahrgäste gewinnt man mit Angebotsoffensiven, bei Preislösungen bin ich skeptisch. Wenn die Infrastruktur da ist, dann ist es relativ egal, ob ich 365 Euro oder zum Beispiel 480 Euro zahle. Das ist immer noch günstiger, als mit dem eigenen Auto oder Taxi.
Wird sich gar nichts bei den Abo-Modellen tun?
Doch, wir stellen uns wie bereits gesagt nach Corona auf eine veränderte Mobilität ein und wir erstellen Angebote für den Kunden und nicht am Kunden vorbei. Es wird in naher Zukunft eine Flexibilisierung unserer Abo-Strukturen geben. Ich kann jetzt aber noch nicht sagen, wie das genau aussehen wird.
Sie sprachen bereits mehrfach von Angeboten, die sie machen wollen. Was sind die künftigen Hauptprojekte beim HVV?
Zum einen die Angebotsausweitung, vor allem der von uns angestrebte Hamburg-Takt. Wir wollen, dass jede Hamburgerin und jeder Hamburger in Zukunft ein öffentliches Verkehrsangebot innerhalb von fünf Minuten erreicht. Wenn wir den Hamburg-Takt gewährleisten, ist die nächste Frage, wie bezahle ich die Fahrten, wie informiere ich mich über die Fahrt und wie können wir das für den Kunden möglichst leicht gestalten? Keiner möchte eine Vielzahl von Apps nutzen oder ewig am Fahrkartenautomaten stehen.
Wie wollen Sie denn die Mobilitätswende im Umland vorantreiben?
Die Fünf-Minuten-Verbindungen zentrieren sich erst einmal auf den großstädtischen Raum. Die Umlandverkehre werden angebunden, das liegt aber noch in der Zukunft. Ich sage immer: Wenn ich in einer Stadt dafür sorgen möchte, dass mehr Menschen die öffentliche Mobilität nutzen, dann darf diese Stadt nicht autogerecht sein.
Im Umland sehe ich das etwas anders, da haben Autos durchaus noch eine wichtige Rolle und können in geschickten on-Demand und Ruf-Taxi-Kombinationen gut im Sinne der Verkehrswende genutzt werden.
In Hamburg spielt das Jahr 2030 bei der Mobilitätswende eine große Rolle – wo sehen Sie den HVV da?
Es ist immer schwierig, auf bestimmte Jahreszahlen zu planen. Gerade in einer Branche, in der Projekte viele Jahre in Anspruch nehmen. Was ich aber für 2030 sehe und auch darüber hinaus, ist, dass der HVV bei fast allen Leuten DER Mobilitätsdienstleister ist und das Auto ersetzt. Der ÖPNV muss so ein fester Bestandteil des täglichen Lebens werden wie Essen und Schlafengehen.