NS-Zeit in Hamburg: So sehr wurden Italiener im Kontorhausviertel gequält
Was bisher kaum jemand wusste: Hamburgs Kontorhausviertel, die Gegend rund um das berühmte Chilehaus, war Ende des Zweiten Weltkrieges ein gigantisches Zwangsarbeiterlager. Italienische Militärinternierte hausten hier in Kontorgebäuden des Heinrich-Bauer-Verlags unter furchtbaren hygienischen Bedingungen. Tagsüber mussten sie im nahegelegenen Hafen arbeiten: Sie wurden vornehmlich dazu eingesetzt, Bombentrümmer zu räumen. Eine gefährliche Aufgabe, die vielen das Leben kostete.
In einer Kundgebung vor der Zentrale der Bauer Media Group an der Burchardstraße wurde jetzt dem Schicksal der italienischen Zwangsarbeiter gedacht. Rund 80 Menschen versammelten sich an der Burchardstraße. Ein Grußwort von Kultursenator Carsten Brosda wurde verlesen.
Als Redner traten der italienische Generalkonsul aus Hannover, Giorgio Taborri, die Kulturausschussvorsitzende Gabi Dobusch (SPD), Verdi-Chef Berthold Bose und Harald Jessen, Vorstandsmitglied des Bauer-Verlags, auf.
Insbesondere Jessens Gegenwart war bemerkenswert, hat das Unternehmen über die eigene NS-Vergangenheit doch lange Jahre den Mantel des Schweigens ausgebreitet.
Jessen betonte in seiner Rede: „Es ist gut, dass es Menschen gibt, die nicht vergessen. Nun wenn wir uns erinnern, können wir die Herausforderungen der Zukunft bewältigen.“ Gedemütigt und erniedrigt worden seien die italienischen Zwangsarbeiter. „Als Unternehmen stellen wir uns die Frage, was hätten wir tun können?“ Jessen kündigte an, dass die Bauer Media Group die Vergangenheit unabhängig aufarbeiten lassen wird. Damit wird ein Historiker beauftragt.
Bauer-Verlag: Tag der Kundgebung nicht zufällig gewählt
Zuletzt hatte die MOPO über die Rolle des Bauer-Verlags in der NS-Zeit berichtet. Dabei ging es nicht alleine um die italienischen Kriegsgefangenen, sondern auch um etliche Gebäude, die der damalige Verlagschef Alfred Bauer in den 30er Jahren erwarb – wohl zum größten Teil von jüdischen Besitzern, die gezwungen waren, weit unter Wert zu verkaufen.
Der Tag der Kundgebung vor dem Bauer-Verlag war nicht zufällig gewählt. Am 8. September 1943, also vor genau 77 Jahren, schloss Italien – bis dahin Verbündeter Nazi-Deutschlands – einen Waffenstillstand mit den Alliierten. Kurz zuvor war Diktator Benito Mussolini gestürzt und durch den neuen Regierungschef Pietro Badoglio ersetzt worden. Das von Bombenangriffen und Hunger zermürbte italienische Volk war kriegsmüde und erwartete vom neuen Ministerpräsidenten die rasche Beendigung des Krieges. Dieser Forderung kam Badoglio nach.
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Nazi-Deutschland sprach von „Verrat“ und rächte sich an den italienischen Soldaten, die bis dahin Seite an Seite mit deutschen gekämpft hatten, bitter: 600.000 Männer ließen sich meist widerstandslos gefangen nehmen: 11.000 wurden ermordet, die übrigen wurden als Zwangsarbeiter nach Deutschland gebracht, 12.000 auch nach Hamburg. Unter den zahlreichen Zwangsarbeitern in Nazi-Deutschland wurden nur die sowjetischen Gefangenen noch schlechter behandelt als „Badoglio-Verräter“: Die Italiener bekamen viel zu wenig zu essen, wurden gedemütigt und erniedrigt und nicht selten von der aufgehetzten Bevölkerung mit Steinen beworfen und bespuckt. Wer von den Gefangenen sich auf Umwegen etwas zu essen besorgte, wurde als Plünderer sofort erschossen.
Bei seiner Ansprache vor dem Bauer-Verlag sagte Verdi-Chef Berthold Bose, dass es für jedes Unternehmen wichtig ist, sich seiner NS-Vergangenheit zu stellen. Wichtig für die Werte, die ein Unternehmen vertritt, wichtig auch für die Mitarbeiter, die sich mit diesen Werten identifizieren sollen. Bose weiter: „Gedenkorte sind Lernorte. Es geht nicht um Schuld, denn niemand von uns hat damals gelebt und Schuld auf sich geladen. Es geht um das Lernen, denn die Verantwortung für die Zukunft, die tragen wir.“
Im Februar wird eine sogenannte „Stolperschwelle“ vor dem Verlagsgebäude der Bauer Media Group verlegt. Sie wird – ähnlich wie die „Stolpersteine“ – an das Schicksal der rund 1000 italienischen Zwangsarbeiter erinnern, die zwischen 1943 und 1945 im Verlagsgebäude eingesperrt waren.