Oase in Corona-Zeiten: Eine Liebeserklärung an den Schrebergarten
Rot-weißes Flatterband war wochenlang der stille Wächter des Lockdowns. Keine Spielplätze für Kinder, geschlossen wegen Corona. Betreten verboten! Wenig Raum also für die Kleinsten, um draußen irgendwie zu toben. Zumindest wenn man – wie wir – kein Haus mit Garten hat. Und so wurde der Schrebergarten meiner Eltern zu unserem Zufluchtsort. Dieser Text ist eine Liebeserklärung an ein kleines Stück Natur in Altona, das in diesen Zeiten so viel mehr ist.
Wenn der Wind gut steht, dann kann ich hier die Geräusche vom Hafen hören. Die schweren Kräne, das Piepen der Gabelstapler, den dumpfen Klang, den die Container beim Abladen machen, wenn sie mit etwas zu viel Wucht abgesenkt werden. Eine vertraute Melodie – und in Kombination mit dem ständigen Insektensurren um mich herum, wirkt diese Sound-Mixtur beruhigend.
Im Schrebergarten sind Hamburg und Corona weit weg
Ab und an donnern auch Flugzeuge von Airbus über uns hinweg. Mein Sohn (4) ist dann immer ganz aus dem Häuschen, besonders wenn es eine Maschine des Typs Beluga XL ist. „Guck mal, Papa, ein Flugzeug“, ruft er solange, bis auch ich zwischen den Blütenkronen des Apfelbaums zum Himmel linse und zwischen den Ästen nach dem weißen Fracht-Giganten Ausschau halte. Das war es dann aber auch mit dem Stadtgeflüster.
Unser kleines Paradies hat schätzungsweise 300 Quadratmeter, eine Hütte im Astrid-Lindgren-Stil, drei Hochbeete, ein Gewächshaus für Tomaten, Himbeersträucher, mehrere Obstbäume, Platz für eine Hängematte und ein Profi-Gasgrill. Außerdem vorhanden: ein Sandkasten, ein Kletterturm, eine Schaukel samt Gerüst und – ganz wichtig – ein Gartenschlauch, damit meine Lütter auch alles fluten kann, was sich bewässern lässt, und davon gibt es hier natürlich viel.
Den Schrebergarten haben meine Eltern vor etwa 20 Jahren gepachtet. Damals war die Fläche verwildert. Die Vorgänger hatten sich nicht gerade liebevoll gekümmert. Anders als meine Eltern, die ab dem Frühling jährlich viel Zeit und Liebe investieren, um mitten in der Stadt eine Oase für sich und die Familie zu schaffen.
Schrebergärten sind längst keine Orte für Spießer mehr
Keine Gartenzwerge, kein Koi-Teich, keine künstlichen Brunnen. Ohnehin haben viele Schrebergärten heute nichts mehr mit der Vorstellung von Spießern gemein, die mit Unterhemd und Tennissocken bekleidet ihre Hecken mit militärischer Präzision scheren und die der Nachbarn beäugen. Klar, solche Charaktere gibt es in den Kolonien schon, ausgestorben sind die nicht, aber es hat ein Wandel stattgefunden. Vor allem junge Familien bewerben sich jetzt. Wer wirklich einen Garten möchte, der braucht Sitzfleisch und Ausdauer.
Wir haben eben dieses Glück, wenn auch nur in Teilzeit. Während des Lockdowns – vor allem als die Infektionszahlen noch sehr hoch waren – haben wir als Familie einen Schichtplan entwickelt. Meine drei Geschwister, der jeweilige Nachwuchs, meine Eltern und mein kleiner Clan haben uns stundenweise den Garten aufgeteilt, immer mit einem zeitlichen Übergangspuffer, damit wir das Kontaktverbot einhalten können.
Sonne tanken, Corona ausblenden
Eine Schicht sah in etwa so aus: Decke auf die Wiese, Erdbeeren und Kinder drauf. Augen zu, Sonne tanken, Corona ausblenden. Dann eine Runde Schaukeln, Frisbee spielen oder einfach etwas kicken. Meine Frau und ich berichteten uns gegenseitig voller Demut, dass wir in diesem Jahr einfach auch nicht mehr haben wollen als dass wir im Garten Urlaub machen. Stimmt natürlich nicht ganz, denn natürlich sehnen wir uns wie alle nach Normalität, doch die Dankbarkeit um diesen Ort war und ist echt.
Noch immer übrigens. Auch wenn die Spielplätze wieder geöffnet sind, versuchen wir uns dem Massentreiben dort möglichst oft zu entziehen. Die Situation fühlt sich nicht mehr so bedrohlich an wie noch vor Wochen, klar. Und doch kann ich draußen an keinem Platz so befreit unterwegs sein, wie im Schrebergarten. Hier ist Corona weit weg. Das fühlt sich sehr gut an.