Hamburgs Ulmen werden geimpft
  • Kleiner Pieks mit großer Wirkung: Baumpfleger Stephan Haselbach impft eine Ulme im Stadtpark gegen einen fiesen Pilz.
  • Foto: Florian Quandt

Nanu? Jetzt werden Bäume in Hamburg geimpft

Es ist eine weltweite Pandemie. Der Erreger kam aus Asien, mutierte und wer sich mit ihm infiziert, hat keine Chance. Millionen Ulmen sind in den vergangenen hundert Jahren in Europa an einem fiesen Pilz gestorben. Allein in Hamburg, einst eine Ulmenstadt mit Hunderttausenden von Exemplaren des prächtigen Laubbaums, überlebte nur ein Bruchteil. Heute gibt es gerade einmal 4200 Ulmen in der Hansestadt. Die Baumpfleger versuchen nun, der Pandemie mit einer aus der Humanmedizin entlehnten Methode Herr zu werden: einer Impfung!

Einen weißen Kittel trägt Stephan Haselbach nicht. Doch sonst ist alles fast wie bei einer Corona-Impfung. Der Baumdoktor zückt die Spritze, piekst die Nadel in die borkige Haut der schönen Stadtpark-Ulme und drückt auf den Kolben. Die durchsichtige Flüssigkeit fließt aus der Ampulle in den Baum. Ob ihm das wohl weh tut?

Impfung für Hamburgs Ulmen

„An der Einstichstelle gibt es immer eine kleine Verfärbung. Daran sieht man, dass der Baum auf die Verletzung reagiert“, erzählt Haselbach. Und doch ist auch das wie beim Menschen die einzige Nebenwirkung. Durch die Leitungsbahnen, die bei Ulmen nahe der Rinde verlaufen, wird der Impfstoff nach oben gezogen und verteilt sich dort über die Zweige in die gesamte Krone.

Wie der Mensch, so bildet auch der Baum Antikörper gegen den Erreger Ophiostoma ulmi, der in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts aus Asien nach Europa kam. Und auch gegen die wesentlich aggressivere Mutante Ophiostoma novo-ulmi, die sich in den USA nach der Einfuhr von befallenem Holz aus Europa entwickelt hatte und Ende der 60er Jahre ebenfalls durch den Warenverkehr zu uns zurück kam, wirkt der Impfstoff.

Wie bei Corona: Es gab die Warner und die Verharmloser

Ohne diesen Impfstoff wäre die Ulme vielleicht schon ausgestorben. Denn gerade diese zweite Welle in den 60er und 70er Jahren sorgte für ein Massensterben unfassbaren Ausmaßes. Lange wusste niemand, worin die Ursache der Katastrophe lag, die bald den Namen „Ulmenwelke“ erhielt. Zwar gab es Forscher, die den Pilz identifizierten und Warnungen aussprachen. Doch die wirtschaftlichen Interessen waren stets stärker. „Auch das ist wie bei Corona“, stellt Baumpfleger Haselbach fest. „Es gab die Warner und die Verharmloser.“


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Am Ende siegte die Wissenschaft. Die Niederländer entwickelten den Impfstoff namens Dutch Trig, der in Hamburg im Zuge des sogenannten Ulmenprogramms pro Jahr rund 250 Bäumen injiziert wird. „Bisher haben fast alle geimpften Bäume überlebt“, berichtet der zuständige Stadtbaummanager Torsten Melzer von der Umweltbehörde. Als das Impfprogramm ein einziges Mal unterbrochen wurde, seien gleich vier Bäume gestorben.

Ein Versuch, auch die Kastanie mit einer Impfung zu retten, scheiterte

Wegen des großen Erfolgs bei der Ulmen-Impfung wurde ein Versuch gestartet, auch die Kastanie zu retten, die durch den Befall mit Miniermotten ebenfalls stark beeinträchtigt wird. „Das hat leider nicht wie gewünscht funktioniert, weil sich von der Einstichstelle ausgehend eine Fäule im Inneren der Versuchsbäume ausbreitete“, sagt Melzer.

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Während in den Niederlanden jede Ulme den Impfstoff erhält, konzentriert man sich in Hamburg vor allem auf die erhaltenswerten, alten Bäume unter den verbliebenen ingesamt 4200 Exemplaren dieser Art. „Manche Sorten sind resistenter als andere. Nicht jede Ulme braucht die Impfung“, erklärt Baumpfleger Haselbach. Bei den Nachpflanzungen, die neben der gezielten Erfassung, Überwachung und Impfung eine weitere Säule es Ulmenprogramms ist, achte man daher besonders darauf, resistente Sorten zu verwenden – diese speziellen Züchtungen aus der heimischen Feldulme, der sibirischen oder japanischen Ulme machen inzwischen fast die Hälfte des Bestands aus.

Denn eins ist längst klar: Wie Corona, das auf der Schwelle steht, endemisch zu werden, so ist auch die Ulmenwelke längst eine Alltagskrankheit geworden. Haselbach: „Wir müssen lernen, damit zu leben und sie im Griff zu halten.“

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