„Dealer nutzen Corona aus“: Darum wird immer mehr „Schnee“ nach Hamburg geschmuggelt
Waltershof –
Fast jeden Monat stellen Zöllner riesige Mengen Drogen sicher, vor allem Kokain. Schon seit Jahren kommt immer mehr von dem „Schnee“ nach Hamburg, so auch die Einschätzung der Ermittler. Das neueste Beispiel stützt diese Annahme: Anfang Februar wurden 16 (!) Tonnen Koks im Hafen sichergestellt – die größte je in Europa sichergestellte Menge. Der Rekordfund wirft aber auch Fragen auf. Und die Politik gerät zunehmend unter Druck.
Aufgrund einer „aufwendigen Risikoanalyse“ mehrerer europäischer Zollbehörden wurden am 12. Februar fünf Container aus Paraguay kontrolliert. Schon in der Röntgenanlage in Waltershof habe es erste Anzeichen gegeben.
Rekord-Koks-Fund im Hafen: Es „schneit“ weiter in Hamburg
Und tatsächlich: Statt Spachtelmasse waren in 1700 Dosen und in 20-Kilo-Blechkanistern insgesamt 16 Tonnen Kokain. Zum Vergleich: Das Gewicht der sichergestellten Drogen entspricht in etwa dem von drei ausgewachsenen Elefanten. Oder 14 Kleinwagen. Der Straßenverkaufswert des Kokains: bis zu 3,5 Milliarden Euro.
„Auch weltweit gehört diese Menge zu den größten Einzelsicherstellungen“, gab René Matschke, Leiter des Zollfahndungsamts Hamburg, bekannt. Er und seine Kollegen seien einiges gewohnt, sagt er, „aber das hier stellt alles bislang Dagewesene weit in den Schatten“.
Der entscheidende Tipp kam aus den Niederlanden: Bei einer Importfirma in Rotterdam waren „Unregelmäßigkeiten“ festgestellt worden. Der Geschäftsführer, ein 28-Jähriger, wurde festgenommen und gilt als dringend tatverdächtig. Nach dem Fund in Hamburg wurden am Sonntag weitere 7200 Kilogramm Kokain in Antwerpen sichergestellt – der Zoll geht von ein und derselben Bestellung aus.
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Trotz des Rekordfundes und vieler weiterer Sicherstellungen: Der Schwarzmarkt zeigt sich unbeeindruckt. Die Preise bleiben trotz riesiger abgefangener Drogenmengen gleich. „Früher waren nach größeren Sicherstellungen Unterschiede in Qualität und Preis sofort erkennbar. Heute nicht mehr“, sagte Oliver Erdmann der MOPO. Er leitet zusammen mit Manuela Forst die „Gemeinsame Ermittlungsgruppe Rauschgift“, ein Schulterschluss von Drogenermittlern der Polizei und des Zolls.
Ein Gramm Koks kostet im Durchschnitt 50 bis 70 Euro. Als Stammkunde bekommt man bei vielen Straßendealern noch etwas Rabatt. Viele greifen auch zu Packungen mit nur einem halben Gramm – für eine „ultraschnelle Nase“.
Hamburg: Kokain-Handel boomt trotz Corona-Pandemie weiter
Auch die Corona-Pandemie tut dem Kokain-Boom keinen Abbruch. Auf der Straße gebe es nur ein geringes Absatzproblem, so die Ermittler. Und Manuela Forst sagt: „Möglich, dass die Täter auch Corona ausnutzen, weil sie glauben, es wird weniger kontrolliert.“
Der Grund für die gleichbleibenden Preise: die riesigen Mengen Drogen, die es trotz verstärkter Kontrollen nach Hamburg schaffen.
Wieland Schinnenburg, Sprecher für Drogen- und Suchtpolitik der FDP-Bundestagsfraktion, findet, dass es noch „viel umfangreichere Kontrollen gegen den Schwarzhandel mit Drogen“ geben sollte: „Normale Bürger, die am Hamburger Flughafen einreisen, werden wegen vergleichsweise kleiner Delikte verfolgt, aber die im Hamburger Hafen ankommenden Container werden kaum kontrolliert.“ Außerdem müsse die gesamte Präventionsarbeit „auf den Prüfstand“.
BDK-Vorsitzender: „Brauchen eine komplette Neuaufstellung“
Ähnlich sieht das Sebastian Fiedler vom Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK): „Der Drogenschmuggel ist ein gigantisches Sicherheitsproblem, da die enormen Gewinne in neue Straftaten und auch in die Legalwirtschaft fließen.“ Der Bund müsse nun breit diskutieren, ob Deutschland mit der aktuellen Drogenpolitik gut aufgestellt sei. Der Zoll, der auch Polizeiaufgaben übernehme, sei in diesem Bereich „fürchterlich schlecht organisiert“. Was es braucht: „eine komplette Neuaufstellung.“
Ein Zöllner, der anonym bleiben möchte, sagt der MOPO, dass täglich fast 10.000 Container allein nach Hamburg kommen und es unmöglich sei, jeden einzelnen zu kontrollieren. Und auch er sagt, dass „die Akzeptanz des Zolls innerhalb der Sicherheitsbehörden“ oft nicht ausreiche. Gerade das Zusammenspiel mit der Polizei laufe „manches Mal schleppend“.
Aber, das will der Zöllner versichern: „Jeder Container wird wenigstens am Rechner überprüft. Stimmt das Siegel, sind die Papiere ordentlich?“ Trotzdem: „Mit mehr Leuten, mehr Befugnissen und besserer Zusammenarbeit wären wir erfolgreicher. Und das wesentlich.“