Attacke in Hamburg: Wer zündet einen schlafenden Menschen an?
Jeder nimmt sie wahr, die meisten Menschen übersehen oder ignorieren sie aber: die Menschen, die in Hamburg auf der Straße leben. Jeder von ihnen hat eine ganz unterschiedliche Geschichte, verschiedene Beweggründe. Aber keiner hat es verdient, zur Zielscheibe von Hass und Verhöhnung zu werden. So wie am vergangenen Samstag auf St. Pauli, als einem schlafenden Obdachlosen der Schlafsack angezündet wurde.
Der Park an der Seewartenstraße ist für viele nur eine Durchgangsstraße; auf der einen Seite geht es zum Kiez, auf der anderen zu den Landungsbrücken, zur Elbe und zum Hafen. Am Sonntag, nur einen Tag nach dem Vorfall, sind keine Spuren übriggeblieben. Nichts deutet mehr daraufhin, dass hier beinahe ein Mensch getötet wurde.
Obdachloser beim Schlafen angezündet – in Hamburg kein Einzelfall
Laut Polizei zündeten zwei Männer – der eine um die 1,80 Meter groß, dunkler Rollkragenpullover und Jeans, der andere dunkle Haare – den Schlafsack des schlafenden Mannes, der sein Lager bei den Lüftungsschächten hatte, gegen 6 Uhr an. Danach flüchtete sie in Richtung Reeperbahn und Millerntorplatz.
Eine Passantin wurde auf den Vorfall aufmerkam, zog den 39-Jährigen aus seinem Schlafsack und löschte die Flammen. Sie bewahrte ihn vor schweren, lebensgefährlichen Verletzungen. Die Täter, hinter denen nun Ermittler der Mordkommission her sind, entkamen spurlos. Hinweise erbittet die Polizei unter Tel. 428 65 6789.
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Gewalt gegen Obdachlose – in Hamburg schon beinahe schrecklicher Alltag, wie Susanne Groth von „Leben im Abseits“ erzählt. Der Verein kümmert sich um Obdachlose und will über das menschenunwürdige Leben auf der Straße aufklären. „Es ist nicht gerade eine seltene Straftat“, sagt sie im Hinblick auf das Anzünden des Schlafsacks. „Kokeln tut es oft.“
Und oft, so sagt Groth, bekommt das die Allgemeinheit gar nicht mit. Zurück bliebe nur Schmerz. Verzweiflung. Und Angst – „vor allem unter den Obdachlosen“.
Sie erinnert sich aber auch an Vorfälle, die groß in den Medien liefen: 2019, am Rande des Hafengeburtstages, werden einem schlafenden Obdachlosen die Haare angezündet. Im gleichen Jahr wird ein Obdachloser vor dem St.-Pauli-Theater mit einem Brett voller Nägel verprügelt, weil er sich im Hochsommer auf Forderung eines Passanten keinen Pulli anziehen wollte. Ein Jahr zuvor stecken Unbekannte die Schlafplätze gleich zweier Obdachloser in Brand.
„Wenn der Kiez voll ist mit Touris und Teenies, dann wird es gefährlich“, sagt Groth. Diese würden es als Mutprobe sehen, Menschen auf der Straße zu verletzten. „Ich weiß nicht, was das für ein Sport sein kann.“
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Obdachlose müssten 24 Stunden am Tag wach sein, erklärt Groth. Nicht nur wegen der Beschaffung von Nahrung. „Es geht darum, den richtigen Schlafplatz finden. Einen Ort, wo keine Gewalt droht.“ Auch nicht von anderen Obdachlosen, unter denen es ebenfalls zu gewalttätigen Streitigkeiten kommt. Dabei geht es häufig um Drogen.
Groth glaubt aber, dass etwa zwei Drittel der Angriffe von nicht-obdachlosen Menschen begangen werden. Bei Männern geht es vor allem um sichtbare Gewalt wie Schläge und Feuer. Frauen würden vergewaltigt, oft ohne, dass es jemals zur Sprache kommt. „Das macht mich wütend“, sagt sie. „Wirklich sehr wütend.“