• Häufig kommt es auch zwischen Kindern und Jugendlichen zu schweren Gewalttaten.
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Schockierende Taten: Was der Lockdown mit der brutalen Teenager-Gewalt zu tun hat

Es sind erschreckende Taten: Immer häufiger kommt es auch unter Jugendlichen und Kindern zu schweren Auseinandersetzungen, teils mit Waffen, Verletzten – und sogar Toten. Mehrere Fälle in Hamburg und im Norden schockierten in den vergangenen Wochen die Öffentlichkeit. Hat das auch was mit dem Lockdown zu tun? Eine Expertin der Charité ist sich sicher: Corona und die Folgen haben eine Wirkung.

Hamburg, 26. Januar 2021: Ein 18-Jähriger wird gegen 19 Uhr in einer Unterführung der alten Wilhelmsburger Reichsstraße an der Rotenhäuser Straße von zwei Personen angegriffen. Später spricht man von einem Streit unter Teenies. Dabei wird das Opfer mit mehreren Messerstichen in den Oberkörper und in den Bein schwer verletzt. Ein Passant leistet Erste Hilfe, der 18-Jährige überlebt den Überfall nur knapp.

Hamburg: Wenn Jugendliche und Kinder zu Verbrechern werden

Kiel, 20. März: Devid H. (22) zockt an der Konsole, seine Freundin sitzt am Küchentisch. Dann klingelt es. Zwei Maskierte überfallen den 22-Jährigen, es kommt zur Rangelei. Im Treppenhaus versetzt einer der Täter Devid einen Stich ins Herz – H. verliert noch in der Nacht sein Leben. Der mutmaßliche Täter: der erst 15 Jahre alte Phillip S., der nach vorläufigen Kripo-Erkenntnissen wohl Drogen erpressen wollte. 

Keine zwei Wochen später soll auf einer Aussichtsplattform in Flensburg ein 19-Jähriger den 16 Jahre alten Jonas N. erstochen haben. Beide seien in der Vergangenheit schon öfter in Streit geraten, heißt es aus Polizei-Kreisen. Ein gezielter Stich in den Hals tötete den Schüler.

Sinsheim, 24. Februar: Nach Angaben von Polizei und Staatsanwaltschaft lockt ein 14-Jähriger einen 13-Jährigen in ein Waldstück – und tötet ihn mit mehreren Messerstichen. Aus Eifersucht. Es soll um ein Mädchen gegangen sein, das beide, Opfer und mutmaßlicher Täter, kannten. Der 14-Jährige war bis wenige Tage vor der Tat in einer Jugendpsychiatrie untergebracht, weil er bereits davor einen anderen 13-Jährigen mit einem Messer verletzt hatte. 

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„Depression und Aggression liegen sehr nah beieinander. Der eine reagiert so, der andere so“, sagt Sibylle Winter im MOPO-Gespräch. Sie ist stellvertretende Klinikdirektorin und leitende Oberärztin der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters an der Charité in Berlin. „Die eine Sache ist die Fantasie, die andere die Realität.“

Das bedeutet: Bei ähnlicher psychischer Grundlage können die Reaktionen bei Kindern und Jugendlichen deutlich unterschiedlich ausfallen. Während andere sich zurückziehen und einen negativen Blick auf ihre Welt um sie herum entwickeln, reagieren andere mit Aggression, Gewalt – aber nicht jeder, der Gewaltfantasien hat, lebt diese auch irgendwann einmal aus.

Charité-Ärztin: Eine Sache ist die Fantasie, die andere die Realität

Die Expertin und Medizinerin ist der Meinung, dass die Pandemie einen Einfluss auf Kinder und Jugendliche hat. „Corona ist ein Stressfaktor. Es wird nur über Erwachsene geredet, aber die Jugend kommt viel zu kurz. Sie wollen eine Autonomieentwicklung durchlaufen, sich von ihren Eltern ablösen, was wichtig für ihre Entwicklung ist. Das und einfach das Miteinander mit anderen Jugendlichen wird verwehrt.“

Sibylle Winter ist stellvertretende Klinikdirektorin und leitende Oberärztin an der Charité in Berlin.

Sibylle Winter ist stellvertretende Klinikdirektorin und leitende Oberärztin an der Charité in Berlin.

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PC- und Konsolen-Spiele, die über Gewalt funktionieren, seien schon etwas, glaubt Winter, was heutzutage mehr gespielt werde als vor 20 Jahren. „Wenn man sich zurückzieht und sich damit beschäftigt, wie es bei Amokläufern oft der Fall war, dann kann das schon eine Wirkung haben.“ Auch gewaltverherrlichende Handy-Videos, die auf Schulhöfen regelmäßig die Runde machten, würden „die Grenze niederreißen“.

Winter erlebt ihren Berichten nach eine Zunahme der Kinder und Jugendlichen mit psychischen Erkrankungen, die zu ihr in die Klinik kommen. Es gebe Forschungen, die zeigten, dass wenn man die Umwelt als feindlich erlebe und alles zusammenkomme, dann noch ein Messer habe, „dann fehlt da nicht mehr viel, dass man aktiv wird“. Winter ist sich sicher: „Corona hat eine Wirkung.“ 

Jugendgewalt: Diesen Einfluss hat Corona auf die Zahlen

Auf dem Papier sieht das zwar erst einmal anders aus: Verzeichnete die Hamburger Polizei im Jahr 2019 noch 3635 Tatverdächtige unter 21 Jahren, waren es im vergangenen Jahr 3252. Auch in Schleswig-Holstein sanken die Fälle. Allerdings war 2020 auch das Corona-Jahr mit langen Lockdowns, geschlossenen Bars und Clubs, die Zahlen dürften kaum aussagekräftig sein.

Wie bewertet die Polizei die Lage? „Jedes Jahr gibt es unschöne Auseinandersetzungen, auch mit Waffen“, sagt Jana Maring, Jugendbeauftragte des Landeskriminalamts Schleswig-Holstein. Darunter fallen auch die jüngsten Ereignisse aus Kiel und Flensburg.

Von einem wachsenden Problem will Maring jedoch nicht sprechen: „Die Anzahl der festgestellten Rohheitsdelikte lassen jedoch nicht erkennen, dass es sich hier um ein wachsendes Phänomen im Bereich der Jugendkriminalität handelt.“ Die Gewaltdelikte blieben kontinuierlich auf einem hohen Niveau und hätten sich im Laufe der Jahre nur geringfügig gesteigert. 

Jana Maring ist Jugendbeauftragte des Landeskriminalamts Schleswig-Holstein.

Jana Maring ist Jugendbeauftragte des Landeskriminalamts Schleswig-Holstein.

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Eine Studie des Deutschen Jugendinstituts zeigt, dass sich Jugendgewalt auf lange Sicht gesehen verändert hat. Würden die Tatverdächtigenzahlen nach ihrem jeweiligen Bevölkerungsanteil nach Alter und Geschlecht betrachtet, dann zeige sich, dass junge Menschen – vor allem männliche – im Vergleich zu Erwachsenen häufiger mit Gewaltdelikten auffielen. 

Auch die deutschlandweit registrierten Zahlen würden verdeutlichen, dass Jugendgewalt zunehme – vor allem bei Kindern unter 14 Jahren, überwiegend im Bereich Körperverletzungen. Und obwohl vieles auf eine erhöhte Anzeigebereitschaft innerhalb der Bevölkerung hindeute, hätten auch Dunkelfeldbefragungen ergeben, dass ein Anstieg der Gewaltbereitschaft zu erkennen sei – und dass die Taten zunehmen. Und das war noch vor den Corona-Lockdowns.

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