Angela Merkel lächelt freundlich in die Kamera
  • Die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel stellt ihr Buch „Freiheit“ im Dezember In Köln vor.
  • Foto: picture alliance / dpa | Hendrik Schmidt

Wie Angela Merkel zur Hausbesetzerin wurde – und auf Paletten schlief

Ihr Privatleben hat die frühere Kanzlerin Angela Merkel immer privat gelassen. In ihren Memoiren gibt sie einige Einblicke, die bislang kaum bekannt sind.

Bouletten, Bärenfleisch und ein paar starke Männer. Wer durch die rund 740 Seiten der Memoiren von Ex-Kanzlerin Angela Merkel blättert, findet neben ihrem politischen Vermächtnis kleine Details, die den Menschen Merkel sichtbar machen. Deutlich wird etwa auch, welche zentrale Rolle ihre Vertraute und Co-Autorin Beate Baumann im politischen Leben der 70-Jährigen spielt.

Angela Merkel stellt ihre Memoiren vor

Am Dienstagabend will die frühere CDU-Vorsitzende ihr Buch mit dem Titel „Freiheit. Erinnerungen 1954 – 2021“ im Deutschen Theater in Berlin vorstellen – moderiert von der Journalistin Anne Will. 

Ein paar private Dinge aus dem Leben von Angela Merkel:

Vergangenheit als Bardame

Merkel bezeichnet sich zwar selbst so. Aber nein, eine anrüchige Vergangenheit hat sie bislang nicht verborgen. Sie erzählt vielmehr, wie ihre Seminargruppe beim Physikstudium in Leipzig begann, ein- bis zweimal in der Woche in den Fluren der Hochschule eine Disco zu organisieren. „Für den Verkauf der Getränke war ich zuständig, ich arbeitete also in gewisser Weise als Bardame. Das machte mir viel Freude und brachte auch noch etwas zusätzliches Geld ein.“

Vergangenheit als Hausbesetzerin

Eigentlich war es nur eine leere Wohnung, aber die besetzte Merkel tatsächlich. Und das kam so: Im Frühjahr 1981 trennte sie sich von ihrem ersten Ehemann Ulrich Merkel und zog zunächst bei einer Kollegin ein. Eines Tages habe ihr ein Bekannter den Tipp gegeben, dass in der Templiner Straße in Berlin eine Wohnung unbewohnt sei. „Freunde redeten mir zu, diese Wohnung zu besetzen. Das fiel mir alles andere als leicht, aber ich hatte keine Wahl; ich konnte nicht unendlich lange bei meiner Kollegin wohnen und musste etwas tun.“

Luxuriös hatte es die spätere Kanzlerin nicht. „Meine Möbel holte ich mir im Wesentlichen vom Sperrmüll und strich sie ein wenig an. Ich schlief auf Holzpaletten, auf die ich eine Matratze legte. Das Wohnniveau war überaus bescheiden, trotzdem fühlte ich mich wohl.“ 

Merkel erkundigte sich bei Nachbarn, wie viel diese an Miete zahlten. Genau diesen Betrag überwies sie dann der Kommunalen Wohnungsverwaltung. „Niemand verweigerte die Annahme des Geldes.“ Schnell versuchte sie, ihr illegales Mietverhältnis zu legalisieren – was sich als nicht ganz einfach herausstellte, aber schließlich auf Umwegen gelang.

Von der Ehe und Bouletten

Über ihren zweiten Ehemann schreibt Merkel: „Wir liebten und lieben beide die Natur und das Reisen. Über ihn lernte ich die Musik von Richard Wagner erst richtig kennen und verstehen.“ Der Zeitpunkt ihrer Hochzeit hatte dabei auch einen politischen Aspekt, wie im Buch deutlich wird: „In konservativen Kreisen meiner Partei hatte es seit 1990 immer wieder Kritik daran gegeben, dass ich als geschiedene Frau in einer nicht ehelichen Lebensgemeinschaft lebte. Da ich jeden Eindruck vermeiden wollte, dass ich aus Karrieregründen heiratete, hatten Joachim und ich mit diesem Schritt gewartet, bis die CDU in der Opposition war.“ Nach der Bundestagswahl 1998 sei es so weit gewesen. „Am 30. Dezember 1998 heirateten wir.“ 

Ihren ersten Tag als Kanzlerin ließ Merkel am 22. November 2005 in einer Runde ausklingen, für die bei der Kanzlerküche Würstchen, Kartoffel- und Krautsalat, Bouletten und Getränke bestellt worden waren. Und auch nach dem Großen Zapfenstreich am 2. Dezember 2021 zu ihrem Abschied traf sich wieder eine Runde im Kanzleramt: „Wie sechzehn Jahre zuvor gab es Würstchen, Bouletten und Kartoffelsalat“, schreibt Merkel. „Ein Kreis schloss sich.“

Als Kanzlerin aller Deutschen „musste ich alles geben, jederzeit verfügbar und erreichbar sein, auch Brandherde austreten, bevor sie sich zu einem Feuersturm entwickelten“, erinnert sich Merkel. Es habe aber jeden Tag auch mehr als genug Momente zum Kraftschöpfen gegeben. „An Tagen nach Auslandsreisen mit Jetlag oder nach Nachtsitzungen war es wunderbar, eine Hühner-, Kartoffel- oder Linsensuppe zu essen.“ 

Putin: „Sein Deutscher besser als mein Russisch“

Im Zusammenhang mit deutsch-russischen Regierungskonsultationen im April 2006 im sibirischen Tomsk beschreibt Merkel nicht nur den Traum, mit der Transsibirischen Eisenbahn von Moskau nach Wladiwostok zu reisen, den Wunsch, mit einem Boot über einen der großen sibirischen Flüsse zu fahren oder die Deutschkenntnisse von Russlands Präsident Wladimir Putin („Sein Deutsch war besser als mein Russisch.“)

„Beim Essen konnte ich zwischen einem klassischen Steak und einem vom Braunbären auswählen und entschied mich für das Abenteuer“, berichtet die Altkanzlerin. Das Bärenfleisch habe „sehr gut, kräftig und wie Wild“ geschmeckt.

Merkels Schulzeit und die Liebe zum Fußball

In ihrer Schulzeit ging es dagegen weniger exotisch zu. „Der Unterricht begann um halb acht. Ich stand gegen 6.15 Uhr auf, das Frühstück bestand nur aus einer Stulle in der Hand und einer Tasse Tee oder Muckefuck, zum Hinsetzen blieb keine Zeit“, schreibt die Altkanzlerin über ihre Kindertage im elterlichen Pfarrhaus. Und: „Um 18 Uhr gab es Abendessen, zumeist Stullen, manchmal aber auch Griesbrei mit Kirschen oder Blaubeeren.“ 

„Ich mochte Fußball schon immer“, schreibt Merkel, die als Kanzlerin immer wieder bei Länderspielen dabei war. „Wenn ich Spiele in Stadien sah, konnte ich manchmal schon in dem Moment, in dem eine Mannschaft den Platz betrat, ahnen, ob das an dem Tag mit ihr etwas werden würde oder nicht. Die Körpersprache verriet es.“ Vom WM-Finale 2014, als Deutschland in Rio de Janeiro den Titel gewann, erzählt Merkel von kurzen Dialogen mit dem ungarischen Regierungschef Viktor Orbán in der Tribünenreihe vor ihr. 

Rivalitäten mit Friedrich Merz

Laut Register kommt der heutige CDU-Vorsitzende und Unionsfraktionschef Friedrich Merz in vier Passagen vor. Recht knapp schildert Merkel die Situation, als sie Merz nach der vom CSU-Kandidaten Edmund Stoiber knapp verlorenen Bundestagswahl 2002 mitteilt, dass sie ihn vom Vorsitz der Unionsfraktion verdrängen werde: „Friedrich Merz war tief getroffen.“

Merz „war und ist ein brillanter Redner“, schreibt sie über den heutigen Kanzlerkandidaten. Hanseatisch trocken fügt die gebürtige Hamburgerin ein paar Zeilen weiter dann an: „Aber es gab ein Problem, und zwar von Beginn an: Wir wollten beide Chef werden.“

Äußerlichkeiten und schöne Haare

Wie wichtig ihr öffentliches Aussehen für Merkel war und ist, wird deutlich, wenn sie über ihre Visagistin schreibt. „In unzähligen Stunden stand sie mir zur Seite – bis heute. Sie schaffte es, aus meinen Haaren eine Frisur zu machen“, berichtet sie über Petra Keller, die zuvor Erfahrungen beim Fernsehen gesammelt hatte. 

Merkel beschreibt DDR als „Inkarnation der Geschmacklosigkeit“

Manche Erfahrung aus ihren Jahren in der DDR wirkt bei Merkel bis in die heutige Zeit nach. Der Osten habe streng nach Scheuermitteln, Bohnerwachs und Terpentin gerochen, schreibt sie. Diesen Geruch habe sie bis heute in der Nase. „Überhaupt war die offizielle DDR für mich die Inkarnation der Geschmacklosigkeit. Nur Imitate statt richtiger natürlicher Materialien, nie freudvolle Farben.“

Und das hatte Folgen: „Vielleicht ist meine heutige Vorliebe für farbenfrohe Blazer auch auf die Urerfahrung zurückzuführen, dass ich im DDR-Alltag kräftige Farben oft vermisste.“

Die Skulptur „Kayros“ und ihre Bedeutung für Merkel

Unter dem Zwischentitel „Runter vom Platz“ berichtet Merkel über eine kleine Skulptur des Bildhauers Thomas Jastram, die sie 2019 gekauft hat. Auf einem Regal in ihrem Büro, das für eintretende Besucher nicht einsehbar gewesen sei, habe sie das kleine Kunstwerk in Luftpolsterfolie verpackt abgestellt. Sie nahm sich vor, die Figur eines Tages in ihrem Altkanzlerinnenbüro „an Deck“ zu holen, „sie also erst nach meiner Zeit im Amt für alle sichtbar aufzustellen, bis dahin blieb sie verpackt in der Ecke auf dem Regal“. 

Die von Jastram 2017 aus Bronze geschaffene und 42 Zentimeter hohe Skulptur mit dem Namen „Kayros“ stellt den Gott der günstigen Gelegenheiten dar. „Kayros“ sei wie für sie gemacht gewesen. „Zum richtigen Zeitpunkt hatte ich losgelassen“, schreibt Merkel, als sie die Hintergründe für ihre Entscheidung schildert, im Dezember 2018 nicht erneut als Parteichefin und bei der Bundestagswahl 2021 nicht wieder als Kanzlerkandidatin anzutreten. 

Zitternde Knie und keine Zeit für Trauer

Offen berichtet Merkel über ein Phänomen, das gegen Ende ihrer 16 Jahre als Kanzlerin für Schlagzeilen und Spekulationen sorgte. Kurz vor Ende der militärischen Ehren während des Antrittsbesuchs des neuen ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in Berlin am 18. Juni 2019 hätten ihre Oberschenkel leicht zu zittern begonnen.

Während der Nationalhymnen habe sich das Zittern über den ganzen Körper ausgebreitet. Nach ein paar Tagen habe sich „der Vorgang“ wiederholt. Später hörte sie bei ähnlichen Gelegenheiten die Nationalhymnen nur noch auf einem Stuhl sitzend an. 

Neurologisch und internistisch habe es keine Befunde gegeben, berichtet die Physikerin nüchtern. „Die Reaktion meines vegetativen Nervensystems war offensichtlich anders zu verstehen.“ Eine Osteopathin habe ihr erklärt, „dass mein Körper dabei war, Spannungen abzubauen, die er über lange Zeit aufgebaut hatte, nicht nur nach dem Tod meiner Mutter im Frühjahr, nach dem ich kaum Zeit zum Trauern gefunden hatte, sondern auch im Prozess des Loslassens von meinen Ämtern.“ Den Absatz schließt Merkel mit einem für sie typischen Satz: „Eigentlich also eine gute Nachricht – wenn mein Körper sich nur nicht dazu entschlossen hätte, diesen Prozess vor den Augen der Öffentlichkeit ablaufen zu lassen.“ 

Aufruf an junge Politikerinnen und Politiker

Im Nachwort teilt Merkel eine Erkenntnis, über die sie nach ihren Worten beim Schreiben nachgedacht hat. Heute falle es ihr schwer, manchen Politikern zuzuhören, „weil sie viel sprechen, aber wenig sagen“. Sie habe das früher oft nicht anders gemacht. Doch gerade junge Politikerinnen und Politiker wolle sie „ermutigen, weniger Angst zu haben, auf konkrete Fragen konkret zu antworten“.

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Dies sei umso wichtiger in Zeiten, „in denen durch die digitalen Möglichkeiten sowie die sogenannten sozialen Medien in bisher nicht gekanntem Maße Wahrheiten Lügen und Lügen Wahrheiten genannt werden können und das auch in Demokratien von Menschen in führenden Positionen ausgenutzt wird“. (dpa/mp)

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