Queeres Leben ab 1933: Am Alsterfleet waren sie sicher – bis die Gestapo kam
Das Schicksal queerer Menschen während der Zeit des Nationalsozialismus ist vielen unbekannt. Eine Ausstellung, die derzeit in Hamburg zu sehen ist, will das ändern, persönliche Geschichten erzählen – und auch warnen.
Das „Stadtkasino“ am heutigen Alsterfleet, es war in den 1920er Jahren ein Ort, den man heute als „Safe Space“, als sicheren Ort für die queere Community bezeichnen würde. Es war wohl ein Ort, an dem man sich nicht verstellen, nicht verstecken musste, wo man Gleichgesinnte traf, vielleicht auch die große Liebe. Wo man sein durfte. Ein Ort ohne Angst. Bis die Angst einzog.
Ins KZ gesteckt, weil sie lesbisch waren
Ida Heineke zog 1939, mit Anfang 30, nach Hamburg, aus einer niedersächsischen Kleinstadt. Wohl auch um so zu leben und zu lieben, wie sie es wollte. Die lesbische Frau ging gerne auch ins „Stadtkasino“. Obwohl eine Freundin sie gewarnt hatte: Sie habe von einem Polizisten gehört, dass man „eine Aktion gegen homosexuelle Frauen“ beabsichtige.
Am 7. August 1940 saß Ida Heineke mit Freundinnen im „Stadtkasino“, ein paar Tische weiter einige Männer. Gegen 23 Uhr standen sie auf, gaben sich als Gestapo- oder Kripobeamte zu erkennen. Sie nahmen 60 Frauen fest. Ida Heineke und elf weitere brachten sie ins KZ Ravensbrück. Weil sie lesbisch waren. Ida Müller kam nach einer Haftprüfung ein Jahr später wieder frei, doch von ihrer KZ-Zeit erholte sie sich nie, war fortan krank, starb 1955.
10.000 Queere landeten im KZ
Die Ausstellung „Gefährdet leben. Queere Menschen 1933-1945“, die derzeit im Jupiter an der Mönckebergstraße zu sehen ist, erzählt von Schicksalen wie dem von Ida Heineke und der anderen queeren Menschen im „Stadtkasino“. Historiker:innen haben ihre Geschichten, historische Dokumente und Fotos zusammengetragen. Sie erzählen von Repression und Verfolgung, von Flucht, KZ-Haft und Suiziden, aber auch von Selbstbehauptung.
„Es geht um Menschen, wir wollen ihre Schicksale sichtbar machen“, sagt Helmut Metzner, Vorstand der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld, die für die Ausstellung verantwortlich ist, zur MOPO. Die Geschichte der Verfolgung queerer Menschen in der Nazi-Zeit sei weitgehend unbekannt.
Dabei wurden zwischen 1933 und 1945 allein etwa 50.000 Menschen nach dem Paragraphen 175, der sexuelle Handlungen unter Männern unter Strafe stellte und bis 1994 existierte, zu Gefängnisstrafen verurteilt. Auch Lesben und trans Personen wurden verfolgt, ihre Gesamtzahl ist nicht dokumentiert. Allein 10.000 queere Männer landeten in Konzentrationslagern, mehr als die Hälfte von ihnen starb.
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Ausstellung als Mahnung
Man wolle weg von den reinen Zahlen, sagt Helmut Metzner über die Hamburger Ausstellung seiner Stiftung. Das Thema aus der Theorie holen. Und auch durch Regionalität Nähe schaffen: Es gebe insgesamt 78 Bezüge zu Hamburg.
„Die Ausstellung ist eine Mahnung, dass wir solchen Verhältnisse nicht wieder haben wollen“, sagt Helmut Metzner. „Als Erinnerung daran, dass alles, was heute gilt, mühsam erkämpft worden ist. Und dass Freiheit keineswegs garantiert ist, sondern wir weiterkämpfen müssen.“
Werke queerer Künstler:innen als Brücke in die Gegenwart
Die Brücke in die Gegenwart baut im Jupiter die Kunst von queeren Künstler:innen, die rund um die historische Ausstellung zu sehen ist, auf insgesamt 1300 Quadratmetern – zum Beispiel die Portraits von Merit Bendler, die Hamburger Dragqueens und -kings begleitet hat. „Ich habe dabei gelernt, dass es bei Drag viel um Selbstreflektion- und -verwirklichung und auch um das Spiel mit Normen und Konventionen“, sagt sie.
Neben den starken Portraits sind Werke zu sehen, die sich mit Sexualität, Gewalt- und Diskirminierungserfahrung, Traumabewältigung und der Konstruktion von Geschlecht auseinandersetzen.
„Gefährdet leben. Queere Menschen 1933-1945“: bis Sonntag, 4. August, Jupiter (Mönckebergstraße 3), 3. OG. Mo-Di 10-21 Uhr, Mi-Sa 10 bis 24 Uhr, So 10 bis 18 Uhr.