S-Bahnhof Ohlstedt
  • 7. Juni 2022: Polizisten sichern den S-Bahnsteig Ohlsdorf nach dem tödlichen Unfall des Radfahrers.
  • Foto: dpa

Radfahrer stirbt nach Sturz auf S-Bahngleis: Beschuldigter kommt nicht vor Gericht

Überraschende Wende im Fall des tödlichen Unfalls eines Fahrradfahrers (56) auf dem S-Bahnhof Ohlsdorf: Das Landgericht Hamburg hat die Anklage gegen einen 62-Jährigen wegen Körperverletzung mit Todesfolge nicht zugelassen. Der Mann war im Juni 2022 auf dem Bahnsteig mit dem Radfahrer zusammengestoßen, der daraufhin kopfüber zwischen die Wagen einer anfahrenden S-Bahn stürzte. Der Fall hatte für Empörung gesorgt, weil der mutmaßliche „S-Bahn-Schubser“ den Bahnhof nach dem Unfall verlassen und eine Reise angetreten hatte.

Während die Staatsanwaltschaft in ihrer Klage davon ausging, dass der Angeschuldigte den Radfahrer gezielt angerempelt hatte, sieht das Landgericht keinen hinreichenden Tatverdacht auf eine Körperverletzung mit Todesfolge. Ein Gutachten, in dem der Unfall anhand von Videoaufzeichnungen rekonstruiert wurde, kam zu dem Schluss, es sei „hoch wahrscheinlich“, dass der Angeschuldigte den Verstorbenen überhaupt nicht bewusst wahrgenommen hatte, sondern selbst von dem Zusammenstoß überrascht wurde.

Das Unglück ereignete sich am 7. Juni 2022 am S-Bahnhof Ohlsdorf. Der Radfahrer war mit einem Fuß auf dem Pedal seines Fahrrads über den Bahnsteig gerollt, als er mit dem Angeschuldigten zusammen stieß und das Gleichgewicht verlor. Trotz Reanimationsversuchen erlag er vor Ort seinen schweren Verletzungen. Der Angeschuldigte setzte einen Notruf ab und entfernte sich vom S-Bahnhof, nahm anschließend Kontakt mit der Polizei auf und wurde zwei Tage später nach Rückkehr von einer Reise am Flughafen Hamburg festgenommen und saß bis zum 28. Juni 2022 in U-Haft. 

Staatsanwaltschaft wollte den Mann anklagen

Die Staatsanwaltschaft war überzeugt, dass der Mann den Zusammenstoß aus Verärgerung über das Radfahren auf dem Bahnsteig bewusst herbeigeführt haben, indem er sich gezielt in Richtung des Geschädigten bewegte und seinen Körper in Erwartung des Aufpralls anspannte. Laut Anklage war der Angeschuldigte gereizt, weil er einen Flug erreichen wollte, die S-Bahn aber verspätet und kein Taxi verfügbar gewesen sei, und habe den Geschädigten wegen dessen unangemessenen Verhaltens disziplinieren wollen.

Laut Schwurgerichtskammer zeigen die Videoaufnahmen vom Bahnsteig aber keine ausreichenden Hinweise auf ein absichtliches Anrempeln. Nach dem Gutachten des Unfallsachverständigen war das Blickfeld des Angeschuldigten – anders als es die Perspektive der Videoaufzeichnung von oben suggeriert – aufgrund einer Vielzahl von Personen auf dem Bahnsteig so verdeckt, dass der Geschädigte für ihn erst kurz vor dem Zusammenstoß erkennbar war. Es sei „fernliegend“, dass eine gezielte Rempelei in einem Prozess bewiesen werden könne.

Augenzeugen entlasten den Angeschuldigten

Das Verhalten des Angeschuldigten vor und nach dem Unglück spreche sogar dafür, dass er selbst überrascht war, was auch Augenzeugen bestätigen.

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Auch, dass der Angeschuldigte sich nach dem Notruf vom Bahnhof entfernt habe, sei kein Hinweis auf gezieltes Rempeln seinerseits, so die Richter: Wenn er davon ausging, dass nicht er den Geschädigten, sondern umgekehrt dieser ihn anrempelte und dabei das Gleichgewicht verlor, sei es begreiflich, dass der Angeschuldigte von einem Unfall ohne Fremdverschulden ausgegangen sei und seine geplante Reise angetreten habe. Auch habe er inmitten der Menschenmenge auf dem Bahnsteig nicht damit rechnen müssen, dass eine andere Person mit dem Fahrrad seinen Weg kreuzen würde, weshalb auch ein Tatverdacht wegen fahrlässiger Tötung ausscheide. Der Beschluss des Landgerichts Hamburg vom 30. März 2023 ist rechtskräftig.

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