Selbstversorger in Hamburg: „Darum bauen wir unser Gemüse selbst an“
Obst und Gemüse aus dem eigenen Garten – früher war das überlebensnotwendig. Heute ist Selbstversorgung ein Trend, der die eher wohlhabenden Bevölkerungsschichten erfasst hat. Was steckt dahinter?
Matthias Heuer und seine Frau Aphisara knien in den Beeten ihrer Parzelle im Kleingartenverein „Hinsch-Grund“ (Steilshoop). Während er einen Halm ausreißt, der zwischen den Grünkohl-Pflanzen nichts zu suchen hat, verteilt sie Kaffeepulver rund um den Mangold, der in einer Reihe aus dem Boden sprießt. „Das hilft gegen Schnecken“, erklärt die 45-Jährige. Gift – das kommt den Heuers nicht ins Beet.
Ein kleiner Garten Eden mitten in Steilshoop
„Wir bauen unser Gemüse selbst an, weil wir wissen wollen, mit was es behandelt wurde“, sagt Matthias Heuer. Eine gesunde Ernährung ist dem Ehepaar – er Bauingenieur, sie Hausfrau – wichtig. Und: „Alles, was man selber macht, schmeckt besser!“, betont der 55-Jährige.
Es ist ein kleiner Garten Eden, den die Heuers auf ihren 500 Quadratmetern angelegt haben. Fast die Hälfte der Fläche besteht aus Beeten, in denen Bohnen, Gurken, Erbsen, Kohlrabi, Zucchini, Sellerie, Kartoffeln, Zwiebeln, Knoblauch, Tomaten, Radieschen, Kürbis, Topinambur, Pak Choi und vor allem verschiedene Chili-Sorten wachsen. Aphisara Heuer stammt aus Thailand und hat die Zutaten für ihre Gerichte gerne frisch.
Auch Obst gibt es jede Menge. Apfelbäume, einen Kirschbaum und jede Menge Büsche: Johannisbeeren, Himbeeren, Stachelbeeren, Erdbeeren, Brombeeren. Daraus machen die Eheleute Marmelade.
Freilichtmuseum Kiekeberg bietet Kurse zum Thema Selbstversorgung
Das macht alles viel Arbeit. Fast ihre ganze Freizeit verbringen die Heuers im Garten. Doch die Mühe ist es ihnen wert: „Es macht uns viel Spaß“, erzählen sie und strahlen dabei.
Die Heuers stehen nicht alleine da. Wer heute einen Kleingarten mieten möchte, kommt oft nicht mal mehr auf die Wartelisten, weil selbst die voll sind. Auch die Ackerflächen zum Mieten an der Stadtgrenze sind heißbegehrt. In Blogs und Social-Media-Kanälen tauschen Selbstversorger und solche, die es werden wollen, sich aus.
Einer, der diesen Trend genau beobachtet, ist Stefan Zimmermann, Direktor des Freilichtmuseums am Kiekeberg. Dort werden regelmäßig Kurse angeboten, die das Thema Selbstversorgung zum Inhalt haben – egal ob Imkern, Fischräuchern, Einkochen oder Einmachen.
Selbstversorgung ist heute ein Luxus-Phänomen
„Bis zum Aufkommen der industrialisierten Landwirtschaft war Subsistenzwirtschaft eine Überlebensnotwendigkeit“, sagt Zimmermann. „Es gab ja keine Supermärkte, keinen Handel in der heutigen Form.“ Durch die Entwicklung von landwirtschaftlichen Maschinen und Düngemitteln sei der Eigenanbau immer weiter zurück gegangen.
Nur wenn die Versorgungssituation durch Kriege schwieriger wurde, gingen die Menschen wieder dazu über, ihr Gemüse selbst anzupflanzen. Doch ein erneuter Technik-Schub nach dem Zweiten Weltkrieg habe diese Phase endgültig beendet.
Was früher aus der Not geboren wurde, ist heute eher ein Luxus-Phänomen: „Wer heute Nahrung selbstständig erzeugt, will damit eher ein Statement setzen. Dahinter steht eine kritische Haltung gegenüber dem heutigen System der Lebensmittelproduktion, die eher im wohlhabenden Milieu zu finden ist“, weiß Zimmermann.
Corona brachte Trend zur Hühnerhaltung
Menschen, die ihr Brot selber backen, leben eher in Eimsbüttel oder Ottensen als in Harburg oder Hamm. Die Hinwendung zur Nachhaltigkeit geht sogar so weit, dass sich das berühmte Schlachtfest am Kiekeberg immer größerer Beliebtheit erfreut. „Da kommt auch ein erzieherischer Aspekt hinzu: Eltern wollen, dass ihre Kinder wissen, wo die Nahrung herkommt.“
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Corona hat den Trend ebenfalls ein wenig beflügelt. „Während der Pandemie ist die Hühnerhaltung explosionsartig nach oben gegangen“, sagt Zimmermann.
Für die Heuers war ihr Garten während der Pandemie auch ein Zufluchtsort. „Wir wohnen in Dulsberg. Unsere Wohnung hat keinen Balkon“, sagt Matthias Heuer. Die frische Luft und das Umgraben der Beete hatte auch eine gesundheitsfördernde Seite. „Es erdet“, sagt Heuer. Im wahrsten Sinne des Wortes.