Senioren am Steuer: Studie gibt Hamburger Bezirkschefin recht
Sollten Senioren ab einem bestimmten Alter zu einem Fahreignungstest verpflichtet werden? Über diese Frage wird immer wieder diskutiert, vor allem dann, wenn es in der Waitzstraße wieder mal gekracht hat. Altonas Bezirkschefin Stefanie von Berg (Grüne) setzt sich für eine Fahrtüchtigkeitsprüfung für Senioren ein. Nun liegt eine Studie aus Japan vor, die für die Tests spricht.
Party auf der Reeperbahn, Cafés und Bars in der Sternschanze und Shoppen in der Mönckebergstraße – in Hamburg gibt es viele berühmte Stadtteile und Straßen, die mit etwas Besonderem verknüpft sind. Die Waitzstraße in Groß Flottbek fällt durch eine Kuriosität auf: Schaufenster-Unfälle. Immer wieder fahren hier Senioren oder Seniorinnen mit ihren Autos in die Geschäfte. Zuletzt im Dezember 2022. „Wann kommen endlich die Fahrtüchtigkeitsprüfungen für Senior:innen?”, fragte Stefanie von Berg auf Twitter nach dem bisher letzten Unfall. „Schon wieder ein tonnenschweres, hochmotorisiertes Auto, schon wieder offensichtliche Überforderung im Autoalltag, schon wieder Gas und Bremse verwechselt. Gut, dass niemand verletzt wurde.”
Hamburg: Waitzstraße als Crash-Hotspot für Senioren
Im Jahr 2020 schrieb die „Süddeutsche Zeitung“ schon von einem Fluch. Seit 1998 krachen ältere Autofahrerinnen und Autofahrer regelmäßig in die Schaufenster der Straße, in der sich neben vielen Geschäften auch diverse Arztpraxen befinden. 81 Verkehrsunfälle hat die Polizei seit 2019 in der Waitzstraße erfasst, davon saßen in 38 Fällen Senior:innen am Steuer. In neun Fällen fuhren die älteren Herrschaften in ein Schaufenster, weil sie Gas und Bremse verwechselt hatten. Der Bezirk Altona reagierte schließlich, stellte im November 2020 insgesamt 60 massive und jeweils 600 Kilo schwere Betonpoller vor die Läden. Aber weder die Poller noch die Umwandlung der quer zur Fahrbahn liegenden Parkplätze konnten die Zusammenstöße verhindern. Könnten Fahrtests für hochbetagte Autofahrer Abhilfe schaffen?
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Eine Studie aus Japan ergab, dass obligatorische Fahreignungstests bei Seniorinnen und Senioren tatsächlich zu weniger Autounfällen führen. Wie die Amerikanische Gesellschaft für Geriatrie (AGS) mitteilte, wurden dafür Polizeidaten zu Unfällen ausgewertet, die von Juli 2012 bis Dezember 2019 in Japan geschahen. Untersucht wurden nur Menschen, die älter als 70 Jahre sind.
Im März 2017 wurde dann eine Gesetzesänderung eingeführt, die verpflichtende kognitive Screening-Tests für ältere Fahrer vorsieht. Wenn den Seniorinnen und Senioren dabei Demenz nachgewiesen wurde, konnte ihnen der Führerschein entzogen werden. Daraufhin sind laut der Studie die Unfallzahlen bei männlichen Autofahrern kontinuierlich gesunken. Bei Autofahrerinnen war der Zusammenhang nicht so deutlich.
Debatte über Fahrtests für Senioren
Der Leiter der Unfallforschung der Versicherer (UDV), Siegfried Brockmann, sieht zwar in den Seniorinnen und Senioren eine ähnlich auffällige Risikogruppe wie bei jungen Fahrern von 18 bis 24 Jahren. Derzeit gebe es jedoch noch kein Problem mit übermäßig vielen Unfällen, da die Menschen über 75 Jahren wesentlich seltener einen Führerschein besäßen und zudem weniger Kilometer zurücklegte als jüngere Fahrer. Vor allem viele Frauen in dem Alter hätten keine Fahrerlaubnis, was auch den unterschiedlichen Rückgang der Unfallzahlen bei Senioren und Seniorinnen in Japan erklären würde. Doch in den nächsten Generationen führe der demografische Wandel wahrscheinlich dazu, dass die Zahl der Autounfälle mit betagten Menschen steigen werde, so Brockmann.
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Brockmann plädiert für eine verpflichtende Rückmeldefahrt. Bei dieser Fahrt werde der Rentner beispielsweise 45 Minuten von einem Profi begleitet und beurteilt. Die Seniorinnen und Senioren sollten dabei über ihre Fahrtüchtigkeit aufgeklärt werden und müssten im nächsten Schritt aufgrund der Bewertung selbst entscheiden, ob sie den Führerschein abgeben wollen oder nicht. Diese Rückmeldefahrt dürfe nicht an den Verlust der Fahrerlaubnis gekoppelt sein, da dies, schon wegen großer Nervosität, zu vielen Falschurteilen führen würde.
Sollen Ärzte fahrungeeignete Menschen melden?
Ein alternatives Modell wird seit Mittwoch beim Verkehrsgerichtstag in Goslar debattiert: eine Meldepflicht für Ärztinnen und Ärzte von fahrungeeigneten Menschen. Dabei geht es neben Senioren auch um schwer kranke Menschen. Die dahinterstehende Frage ist, ob und wann Ärzte Patienten mit Einschränkungen an Fahrerlaubnisbehörden melden dürfen oder gar sollen. Viele Verbände, darunter auch der ADAC, sind gegen eine solche Meldepflicht, die die ärztliche Schweigepflicht aufbrechen würde. Sie fürchten einen Vertrauensverlust zwischen Arzt und Patient.
Durch ein Urteil des Bundesgerichtshofes aus dem Jahr 1968 dürfen Ärzte fahrungeeignete Menschen in Ausnahmefällen den Behörden melden, wenn „Gefahr in Verzug“ ist, erklärte ein Sprecher des ADAC. Dazu müssen sie zuerst den Patienten über seine Erkrankung und die damit verbundenen Gefahren des Autofahrens aufklären.
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Über die Diskussion hinaus zeigt die japanische Studie nach obligatorischen Eignungstests für Fahrer über 70 Jahren nicht nur eine Abnahme der Autounfälle, sondern es stieg zugleich die Zahl der Unfälle bei Radfahrern und Fußgängern in dem Alter.
Daraus schloss Mitautor Haruhiko Inada von der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore, dass die Sicherheitsmaßnahmen für Radfahrer und Fußgänger verstärkt werden müssten. Ältere Menschen sollten zudem auf den Verzicht des Autofahrens vorbereitet und ihnen „sichere, alternative Verkehrsmittel“ zur Verfügung gestellt werden. (dpa/mp)