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Skandal um Wehen-Mittel : So wurde ich zur Einnahme von Cytotec gezwungen

Ich habe zwei Kinder zur Welt gebracht. Beide waren übertragen. Deutlich übertragen. Beim ersten Kind haben die Ärzte irgendwann Druck gemacht. Sie haben mir Cytotec verabreicht. Beim zweiten habe ich mich geweigert. Aus gutem Grund. Der Unterschied war eklatant.

Eine Geburt ist eine Ausnahmesituation. Eine, auf die man zwar irgendwie vorbereitet wird, doch wie es dann wirklich ist, kann niemand vorhersagen. Die Umstände sind sehr individuell. Da spielt die Chemie zwischen der Hebamme und der Gebärenden eine Rolle, die Beziehung zum Partner, der Personalschlüssel der Klinik am jeweiligen Tag, das persönliche Wohlbefinden. Da einen klaren Kopf zu bewahren, ist schwierig. Besonders beim ersten Kind.

Nach dem Stichtag begannen die Ärzte, Druck zu machen

Als ich vor neun Jahren mit meiner Tochter im Bauch die Endphase meiner Schwangerschaft erreichte, ging es mir blendend. Ich fühlte mich so stark wie nie zuvor in meinem Leben. Ich hatte viel Sport gemacht, ernährte mich gesund, die Werte waren gut. Als der Stichtag überschritten war, musste ich zunächst alle zwei Tage zur Kontrolle. Nach einer Woche jeden Tag.

Die Klinik ist nicht weit von uns entfernt. Ich fuhr jeden Tag mit dem Fahrrad hin. Am zehnten Tag nach dem Stichtag ließen die Ärzte mich nicht mehr nach Hause.

Neue Leitlinien: Einleitung nach zehn Tagen Übertragung

Kurz zuvor war eine neue Empfehlung in der Geburtshilfe Standard geworden: Nach zehn Tagen Übertragung müsse die Geburt nach den neuen Leitlinien eingeleitet werden. Das wurde mir von den Ärzten unterbreitet.

Ich weigerte mich trotzdem. Mit dem Hinweis darauf, dass in meiner Familie alle Spätzünder sind: Mein Mann war als Kind übertragen, meine Mutter, mein Vater, meine Schwester und ich selbst auch. Ich erinnere mich noch an den Dialog mit der Ärztin, der ich erzählte, dass ich selbst 18 Tage übertragen war. Sie antwortete: „Das wäre an unserer Klinik nie gegangen. Auch in den 70er Jahren nicht.“ Und ich musste sie aufklären: Denn ich bin selbst im gleichen Krankenhaus geboren wie meine Tochter.

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Als Kompromiss einigten wir uns auf einen „homöopathischen“ Wehen-Cocktail bestehend aus Mandelmus gemischt mit Rizinusöl, Sekt und Aprikosensaft. Der tat zwar seine gewünschte, abführende Wirkung – doch von Wehen keine Spur.

Die Ärzte wollten die Geburt, weil es in die Klinikabläufe passte

Mein Mann und ich legten uns schlafen. Ich im Klinikbett, er am Boden auf der Yogamatte. Am nächsten Morgen tapste ich im Nachthemd über den Flur. Da sah ich im Augenwinkel drei Ärzte im weißen Kittel auf mich zu stürzen. Und hörte sie sagen: „Da ist sie!“ So als hätten sie einen festen Plan. Einen, bei dem sie keine Widerrede mehr zulassen würden. Im Nachhinein denke ich, sie wollten die Geburt durchführen, weil es an dem Tag keine andere Gebärende auf der Station gab außer mir. Das Personal hatte nichts zu tun.

Die Ärzte brachten mich ins Zimmer zurück. Die Tablette hatten sie in einem kleinen Plastikbecher schon dabei und stellten ihn vor mich. Mir gefiel das nicht. Ich fühlte mich unter Druck gesetzt und verteidigte mich und mein Kind: „Alle in meiner Familie…“ Sie ließen das nicht mehr gelten.

Mit einer überraschenden Diagnose stimmten die Ärzte mich um

Plötzlich erklärten sie mir völlig überraschend: Das letzte CTG, das die Herztöne des Kindes misst, sei auffällig gewesen. Damit hatten sie mich. Wenn es um die Gesundheit des Babys geht, wird jede Mutter schwach. Ich knickte ein.

Erst später sah eine Hebamme noch einmal auf den CTG-Ausdruck und sagte mir, die Kurve sei unauffällig gewesen. Doch da war es schon zu spät. Da war meine Tochter schon geboren – nach einer Nacht voller Torturen.

Drei mal erhielt ich Cytotec – eine klare Überdosierung

Denn die erste Pille schien nicht zu wirken. Es tat sich nichts. Nach ein paar Stunden sollte ich eine zweite einwerfen. Und dann noch eine dritte. Eine klare Überdosierung. Und dann ging es los. Mein Magen und mein Darm rebellierten gleichzeitig. Schwallartige Entladungen warfen meinen Körper hin und her, krümmten und schwächten ihn. Dann kamen die Wehen. Nicht langsam anrollend, wie es in der Vorbereitung hieß. Sie schossen wie der Blitz in meinen Körper – und hörten einfach nicht mehr auf. Wie Stromschläge durchpeitschten sie mich. Schlag auf Schlag. Der sogenannte Wehensturm. Und ich konnte nichts dagegen tun.

Ich bin eine kleine, zierliche Frau von 1,60 bei einem Gewicht vor der Schwangerschaft von 50 Kilo. Irgendwann konnte ich nicht mehr. Ich war am Ende. Da war keine Kraft mehr. Keine Zeit zum Krafttanken. Und dann kam die Feststellung der Hebamme: „Der Muttermund ist kaum geöffnet!“

In einer Ausnahmesituation unterschreibt man alles

Das war’s. All die Qualen. Und es brachte noch nicht einmal etwas. Es war klar: Ohne PDA würde ich es nicht schaffen. Die Periduralanästhesie, die ich nie wollte, weil sie ins Rückenmark geht. Man muss unterschreiben, dass man das Risiko einer Querschnittslähmung eingeht. Ich konnte nicht anders. Ich unterschrieb. Genau wie ich den Wisch zu Cytotec, der nichts über einen Wehensturm verriet, unterschrieben hatte. In dieser Ausnahmesituation, mit der ich keine Vorerfahrungen hatte. Erstes Kind halt.

Meine Tochter kam um 2.22 Uhr zur Welt. Sie war gesund und auch ich erlitt keine größeren Verletzungen. Ein bitterer Nachgeschmack blieb. Doch wie sehr ich da eigentlich zu etwas gezwungen worden war, das ich nicht wollte, durchblickte ich erst zweieinhalb Jahre später, als mein Sohn geboren wurde.

Eine Geburt vergisst man nicht. Sie darf kein Trauma sein

Auch er war mehr als eine Woche übertragen. Als die Wehen zu Hause einsetzten, dachte ich erst, es wäre die Verdauung. Ich kannte ja keine natürlichen Wehen. Diese Wehen waren sanft. Sie bauten sich langsam auf und verschwanden wieder. Komplett. Dazwischen war Zeit. Zeit zum Krafttanken für die nächste Wehe. Durch Atmung konnte ich den Schmerz steuern. Ich hatte meinen Körper jede Minute im Griff und erlebte keinen Total-Kontrollverlust wie beim ersten Mal. Mein Sohn kam ohne Hilfsmittel zur Welt. Und obwohl er über vier Kilo wog und damit ein schweres, großes Baby war, war es wohl das, was man eine runde Geburt nennt.

Insofern rate ich allen Frauen: Weigert euch! Weigert euch, wenn ihr gesund seid und die Werte gut, Cytotec zu nehmen. Besteht darauf, dass der Stichtag nochmal genau berechnet wird, denn oft werden dabei Fehler gemacht. Eine Geburt ist eine Ausnahmesituation, an die jede Mutter ein ganzes Leben immer wieder zurück denkt. Sie sollte nicht zum Trauma werden.

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