SPD-Kampagnenchef: „Olaf Scholz kann Kanzlerin”
Einst konzipierte er den CDU-Europawahlkampf und war sogar Mitglied bei den Christdemokraten – heute ist er mitverantwortlich dafür, dass Olaf Scholz (SPD) beste Chancen hat, Angela Merkel zu beerben. Raphael Brinkert leitet die Hamburger Werbeagentur hinter der SPD-Kampagne und spricht im MOPO-Interview über den Wahlkampf, die Konkurrenz und wie Scholz plötzlich Kanzlerkandidat Nummer 1 geworden ist.
Herr Brinkert, die Schlussphase des Wahlkampfs ist eingeläutet – eigentlich kann man doch jetzt gar nichts mehr an der Kampagne ändern. Legen Sie gerade die Füße hoch?
Raphael Brinkert: Das Gegenteil ist der Fall. Durch die Digitalisierung endet der Wahlkampf auch für die beteiligten Agenturen erst am 26. September um 18 Uhr. Bis dahin kämpfen wir gemeinsam mit Olaf Scholz und den 400.000 Mitgliedern um jede Stimme.
Es gibt leichtere Aufgaben, als die totgesagte SPD und den Anti-Poster-Boy Olaf Scholz in den Wahlkampf zu führen. Wie kann man sich diesen Prozess vorstellen?
SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil ist auf uns zugekommen und hat gefragt, ob wir am Wettbewerb um die Kampagne teilnehmen wollen. Im Oktober haben wir dann die finale Zusage bekommen. Von da an haben wir vorbereitend gearbeitet und unter anderem den SPD-Claim „Soziale Politik für Dich“ beim Debattencamp der SPD der Öffentlichkeit präsentiert.
Die alles entscheidende Frage: Wer wird Merkel-Nachfolger?
Sie setzen auf eine sehr starke Personalisierung in Gestalt von Olaf Scholz, der beliebter ist als die SPD. Was sind die Vorteile – und worüber kann man stolpern?
Die entscheidende Frage in diesem Wahlkampf ist, wer auf Angela Merkel folgen wird. Olaf Scholz ist Staatsmann, wird national und international geschätzt, steht für Respekt, Erfahrung und Kompetenz. Er ist ein Kandidat, bei dem man sich keine Gedanken um Lebensläufe oder Auftritte in Krisensituationen oder im Fernsehen machen muss.
Plötzlich erstrahlt der als langweilig verschriene Kanzlerkandidat auf Plakaten mit einem knalligen Rot im Hintergrund …
Unser Ziel war es, die visuell stärksten Plakate bei dieser Wahl aufzuhängen. Dafür haben wir Partei, Programm und Person bestmöglich kombiniert und das Rot der Partei aus den Balken- und Tortendiagrammen zurück ins Leben und den Alltag der Menschen geholt. Das Rot ist nicht nur eine Signalfarbe, sondern auch der Markenraum der SPD. Fotografiert wurden die SPD-Kandidierenden in einer radikalen schwarz-weiß Umsetzung mit einem Weitwinkelobjektiv. So entstand nicht nur der beste Kontrast, sondern auch das Gefühl einer 3D-Optik.
Olaf Scholz knallrot – passt das zusammen?
Nicht wenige würden Olaf Scholz auch einen inhaltlichen Kontrast zu seiner Partei unterstellen.
Was wir seit zwölf Monaten wahrnehmen, entspricht genau dem Gegenteil: Selten war eine Volkspartei so geschlossen wie die SPD in diesem Wahlkampf. Eine Leistung von Wahlkampfchef Lars Klingbeil, den Parteivorsitzenden und Olaf Scholz, die man täglich in der Zusammenarbeit spürt und dessen Ergebnis man an den gestiegenen Umfragewerten ablesen kann.
Es gibt den Vorwurf, dass die linke SPD-Parteivorsitzende Saskia Esken in der Wahlkampagne versteckt wird. Was sagen Sie dazu?
Ich halte es für ein anmaßendes Gerücht des Wettbewerbs, der nicht nur auf dem rechten Auge sehgeschwächt ist, sondern auch beim Lesen der Zeitung, der sozialen Netzwerke oder beim Schauen von Politsendungen. Und klar ist auch: Mit der Kampagne wollten wir zeigen, worum es in dieser Wahl geht: die Nachfolge von Angela Merkel. Aber wenn sie mich direkt fragen: Ich sehe Saskia, die zeitgleich selbst in Baden-Württemberg kandidiert, häufiger live oder in Videocalls als Plakate von Armin Laschet.
Lange verfing Kanzlerkandidat Olaf Scholz nicht
Bislang ist die Kampagnenstrategie gut aufgegangen. Allerdings lag die SPD vor wenigen Wochen noch abgeschlagen zurück. Wird man da nervös?
Wir wussten, dass wir erst dann aufholen werden, wenn ganz Deutschland merkt und sieht, dass der Wahlkampf beginnt und Angela Merkel nicht mehr zur Wahl steht. Erst dann, wenn wir auch Plakate aufhängen und Spots zeigen. Genau das ist mit dem Start unseres Wahlkampfs und der Präsentation der Kampagne am 4. August eingetreten. Die SPD hat sich bestens vorbereitet und war auf dem Platz, als es losging. Ein perfektes Timing.
So präsidial, wie Sie Olaf Scholz auch inszenieren mögen, er hat keine blütenweiße Weste. CumEx, Wirecard oder die Rote-Socken-Kampagne – doch nichts scheint an ihm haften zu bleiben. Warum?
Es werden im Wettbewerb viele Patronen geschossen, die nicht verfangen. Zuletzt die Rote-Socken-Kampagne. Irgendwann wird es halt absurd, das sehen die Bürgerinnen und Bürger. Was unser Land hat, ist eine Sehnsucht nach Kompetenz, Verlässlichkeit und Seriosität, nach Respekt im Umgang miteinander. Olaf Scholz erfüllt alle diese Kriterien. Und ich muss nicht jeden Morgen sorgenvoll ins Handy schauen, ob der Spitzenkandidat schon wieder in ein Fettnäpfchen getreten ist, was gerade viral geht.
Martin Schulz flog hoch – und stürzte. Was ist heute anders?
Die Umfragen für Martin Schulz waren 2017 ebenfalls super – dann folgte der Absturz. Was hat die SPD aus dem vergangenen Wahlkampf gelernt?
Es gab nach der vergangenen Bundestagswahl bei der SPD eine intensive Fehleranalyse. Es wurden diverse Baustellen korrigiert, man hat das Willy-Brandt-Haus anders aufgestellt und tritt nun extrem geschlossen auf. Das ist das Verdienst vom gesamten Team um Lars Klingbeil. Als Agentur war dies neben der Geschlossenheit und einem starken Programm, welches das Leben der Mehrheit der Menschen in unseren Land verbessert, ein perfektes Sprungbrett für die Kreativ-Kampagne.
Geschlossenheit ist eigentlich eine Stärke, die die CDU jahrelang hatte. Auch Olaf Scholz inszeniert sich bemerkenswert merkelig. Spielen sie bewusst mit dem Image der Merkel 2.0?
Angela Merkel hat diesem Land 16 Jahre auf hervorragende Art und Weise gedient. Sie ist auch heute in allen Umfragen immer noch die mit Abstand beliebteste Politikerin. Natürlich kann man von ihr viel lernen. Jetzt gilt es, den nächsten Schritt zu machen, mit Respekt und Kompetenz für Deutschland. Dafür ist Olaf Scholz der Richtige. Er kann Kanzlerin.