Stradivari der Orgelbauer: Arp Schnitger: Ein Ehe-Flüchtling wird zum Mega-Star
Arp Schnitger. Schon zu Lebzeiten ein absoluter Star. Ein Genie. Der Stradivari der Orgelbauer! Dass er 1682 nach Hamburg übersiedelte, geschah nicht freiwillig. Vielmehr war er auf der Flucht. In Stade hatte er einer jungen Frau, Margarethe Papier, die Ehe versprochen, die Verlobung dann aber wieder gelöst – damals ein Verbrechen! Nur hinter den schützenden Wallanlagen Hamburgs war er vor Strafverfolgung sicher.
Und hier hat er dann auch seinen Ruhm begründet: mit dem Bau des seinerzeit größten Musikinstruments der Welt – der Orgel für die St. Nikolaikirche in Hamburg. Aufträge aus ganz Europa folgten, sogar aus dem fernen Russland. Insgesamt hat Arp Schnitger etwa 170 Orgeln neu erbaut oder wesentlich umgebaut.
Arp Schnitger: So klingen seine Orgeln
Noch heute sind 30 seiner Instrumente erhalten, die meisten davon in Norddeutschland – im Alten Land und in Hamburg – viele aber auch in den Niederlanden. Jeder Kirchenorganist, der auf einer echten Arp Schnitger spielen darf, ist stolz wie Bolle und achtet auf das Instrument mit Argusaugen, schließlich ist es unersetzbar. Aber was eigentlich ist so besonders an einer Arp-Schnitger-Orgel?
Das kann niemand besser beantworten als Harald Vogel, der nicht nur selbst Orgel spielt, sondern sich vor allem wissenschaftlich damit beschäftigt. Aus seiner Sicht machen zwei Dinge eine Arp-Schnitger-Orgel aus: erstens die Bauweise. Die Instrumente sind handwerklich extrem gut gemacht – nur aus diesem Grund existieren so viele auch nach mehr als 300 Jahren noch.
Aber das Entscheidende ist der Klang: „Wenn man in der Kirche steht und die Orgel voll spielt, dann durchdringt es einen und umhüllt einen gleichzeitig“, so Vogel. Starke Bässe, Höhen so hell und klar wie Engelsgesang. „Das ist es, was bei den Schnitger-Orgeln so eindrucksvoll ist.“
Das Geburtsdatum des Meisters ist nicht überliefert. Getauft wird Arp Schnitger am 9. Juli 1648 in Golzwarden, einem Stadtteil von Brake an der Unterweser. Schon der Name deutet darauf hin, dass die Familie seit vielen Generationen mit der Verarbeitung von Holz beschäftigt ist. „Schnitker“ oder „Schnitger“ ist niederdeutsch und bedeutet nichts anderes als „Schnitzer“.
Orgelbauer Schnitger: So wuchs er auf
Arp Schnitgers Großvater Berendt war nachweislich Tischler und Vater Arp Schnitger sen. lebte als angesehener Tischlermeister im Dorf Schmalenfleth und wurde auch schon mal zu kleineren Orgelreparaturen herangezogen. Vielleicht kam der Sohn so früh mit diesem Instrument in Berührung.
Mit seinen fünf Geschwistern wächst Schnitger in einem reetgedeckten Fachwerkhaus auf, in dem es außer Wohnung und Werkstatt auch Stallungen fürs Vieh gibt. Der Sohn besucht sehr wahrscheinlich die Lateinschule, jedenfalls ist seine Allgemeinbildung überdurchschnittlich – dafür spricht, dass er zeit seines Lebens seiner Unterschrift statt des üblichen „mit eigen Hand“ das gehobene „manu propria“ hinzufügt. Das machen nur Gebildete.
Zunächst erlernt Arp Schnitger in der väterlichen Werkstatt den Tischlerberuf. Als der 18-jährige Geselle danach seinem Heimatdorf Lebewohl sagt, hat er alles im Gepäck, was er braucht, um eine erstaunliche Karriere hinzulegen: eine gute Schulbildung, eine überdurchschnittliche Tischlerausbildung, Musikalität, technisches Verständnis und Wissensdurst. Sein Ziel ist Glückstadt an der Unterelbe, wo er bei seinem aus dem Oldenburgischen stammenden Vetter (oder Onkel?) Berendt Huß eine spezielle, fünf Jahre dauernde Orgelbauerlehre absolviert.
Schnitger: Der Orgelbauer lernte in Stade
Fünf Gesellenjahre folgen. Schon in dieser Zeit erweist sich Schnitger als überaus begabt und erhält nach Fertigstellung der Orgel für die Stader St. Cosmae-Kirche 1673 von den Auftraggebern ein stattliches Geldgeschenk. Als der Lehrherr 1676 stirbt, führt Schnitger auf Bitten der Witwe die Werkstatt in eigener Regie weiter und arbeitet in den darauffolgenden Jahren noch die vielen Aufträge ab, die Huß vor seinem Tod angenommen hat. Dazu gehört auch ein Orgelneubau in der Kirche St. Wilhadi in Stade.
Wieso Schnitger die Verlobung mit der jungen Margarethe Papier löst, ist unbekannt. Jedenfalls verlässt er aus Sorge vor Strafverfolgung die Stadt und siedelt nach Hamburg über, wo er am 1. September 1682 den Bürgereid ablegt und damit zum hansestädtischen Vollbürger wird. Sein handwerkliches und künstlerisches Geschick hat sich längst herumgesprochen, und er erhält noch im selben Jahr vom Kirchenvorstand von St. Nikolai den ersten großen Auftrag: Er baut eine Orgel mit 67 Registern und mehr als 4000 Pfeifen, von denen die größte 860 Pfund wiegt.
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In fast fünfjähriger Arbeit erschaffen Arp Schnitger und seine Gesellen ein wahres Wunderwerk. Dieses Musikinstrument, das damals größte der Welt (es ist 1842 beim Großen Brand zerstört worden), begründet Schnitgers internationalen Ruhm. Orgelfachleute und Komponisten pilgern in die Hansestadt, denn dieses Instrument erregt ungemeines Aufsehen. Der bekannteste damalige Orgelmeister und Komponist, Dietrich Buxtehude, lässt sich sogar Urlaub geben, um das Instrument zu prüfen und zu spielen.
Arp Schnitger: Bach und Händel waren Fans seiner Orgeln
Auch Georg Friedrich Händel und Johann Sebastian Bach reisen später zu den großen Schnitger–Orgeln und sind von der bis dahin unerreichten Klangfülle begeistert. Schnitger wird zum berühmtesten Instrumentenbauer seiner Zeit. Aufträge kommen von überall. Schnitger liefert Orgeln nach England, Portugal, Spanien, Dänemark. Ab 1691 wird das niederländische Groningen zu einem weiteren Zentrum für Schnitger und seine Orgelbaukunst.
Selbst der russische Zar Peter der Große gehört zu den Kunden: Ihm liefert Schnitger ein Instrument nach St. Petersburg. Trotz all der internationalen Aufträge – die Kirchen der Heimat lässt Schnitger nicht im Stich. Zwischen 1689 und 1693 baut er die Orgel der Hamburger Hauptkirche St. Jacobi teilweise um, teilweise errichtet er sie neu. Das Ergebnis ist ein Instrument der Superlative mit einem traumhaft schönen Klang – heute gehört sie zu den größten erhaltenen Barockorgeln der Welt.
Arp Schnitger: Filialen in Stade, Bremen, Lübeck
Arp Schnitger ist nicht nur ein Genie in puncto Orgelbau, sondern auch ein äußerst geschäftstüchtiger Mann, dessen Unternehmen nach modernen Prinzipien aufgestellt ist: Neben seiner Hauptwerkstatt in Hamburg unterhält er ein Netz aus Filialen in Stade, Bremen, Groningen, Lübeck, Magdeburg und Berlin. Schnitger hat bald so etwas wie ein Monopol: 1699 werden Schnitger die Orgelbauprivilegien für die Grafschaften Oldenburg und Delmenhorst, die Herzogtümer Bremen und Verden sowie 1702 für Schleswig und Holstein verliehen.
1708 erfolgt Schnitgers Ernennung zum königlich-preußischen Hoforgelbauer – eine Position, die er bis 1714 innehat. Arp Schnitger wird als sehr fromm beschrieben. Sein tiefer Glaube kommt auch in Briefen und Orgel-Kontrakten zum Ausdruck, wo er – ähnlich wie auf seinen Orgeln selbst – für gewöhnlich den Schriftzug „Soli Deo Gloria“ hinterlässt. Seine Manuskripte beginnt er mit Sätzen wie „In Jesu Namen, Amen“ oder „Gott allein die Ehre“.
Arp Schnitger: Orgelbauer mit tiefem Glauben
Der tiefgläubige Christ ist uneigennützig und großherzig: Für nicht ganz so gut betuchte Gemeinden baut er Orgeln auch schon mal zum Selbstkostenpreis oder gewährt Ratenzahlung. Einer Kirche in Groningen schenkt er 1699 ein Instrument. Als sich die Gemeinde dafür mit 100 Reichstalern erkenntlich zeigt, fügt er ein zweites Manual und drei neue Bälge hinzu.
Arp Schnitger heiratet 1684 die wohlhabende Kaufmannstochter Gertrud Otte, mit der er sechs Kinder hat: Vier Söhne ergreifen ebenfalls den Orgelbauer-Beruf, von denen allerdings zwei noch vor dem Vater sterben. 1693 erwirbt Schnitger den Hof seines Schwiegervaters Otte in Hamburg-Neuenfelde. Dort lebt er ab 1705 und betreibt bis zu seinem Tod eine Orgelwerkstatt.
Der sogenannte „Orgelbauerhof“, ein wunderschönes Gebäude, steht noch und kann zumindest von außen besichtigt werden (Adresse: Vierzigstücken 91, 21129 Hamburg-Neuenfelde). Schnitgers erste Frau stirbt 1707. Er heiratet 1713 die Organistenwitwe Anna Elisabeth Koch aus Abbehausen. Sechs gemeinsame Jahre sind ihnen vergönnt.
Arp Schnitger: Reise brachte ihm den Tod
Die genauen Umstände von Schnitgers Tod sind nicht überliefert. Sicher ist nur, dass eine Reise nach Zwolle (Niederlande) im Winter 1718/19, wo er Verhandlungen über einen Orgelneubau führt, seine Gesundheit arg strapaziert. Vermutlich stirbt Schnitger in Itzehoe, wo er seit 1715 an einer Orgel arbeitet. Der Tag des Todes ist unbekannt.
Am 28. Juli 1719 wird Schnitger in einer Gruft in der Neuenfelder St. Pankratiuskirche beigesetzt, wo neben seiner Orgel auch das von ihm erbaute Kirchengestühl und die teils von ihm beeinflusste barocke Ausstattung bis heute erhalten sind.
Orgelbauer Schnitger: Hans Henny Jahn entdeckte ihn wieder
Im 19. Jahrhundert gerät Arp Schnitger völlig in Vergessenheit. Wiederentdeckt wird er erst in den 1920er Jahren. Dabei macht sich insbesondere der Hamburger Schriftsteller (und Orgelbauer) Hans Henny Jahnn (1894-1959) verdient. Heute sind fast alle erhaltenen Orgeln Schnitgers sorgfältig restauriert und befinden sich in einem exzellenten Zustand. Mancher Experte ist überzeugt, dass sie deshalb heute womöglich noch schöner klingen als zu Arp Schnittgers Zeiten.
Schnitger, der Stradivari der Orgelbauer, der geniale Handwerker, Klangkünstler und Unternehmer, hat in Norddeutschland und noch weit über die Grenzen des Landes hinaus Spuren hinterlassen. Hamburger haben das Glück, dass einige seiner schönsten Instrumente ganz in der Nähe zu finden sind: in der Hauptkirche St. Jacobi natürlich, aber auch im Alten Land. In Stade, Hollern, Steinkirchen und Oederquart gibt es Gemeinden, die stolz sind, dass in ihrer Kirche eine Arp-Schnitger-Orgel steht.