Streit der Generationen: „Ihr nervt mit eurer Moral!“ – „Und ihr seid wischi-waschi“
Der Satiriker und Abgeordnete Nico Semsrott tritt aus der „Partei“ aus. Grund seien die rassistischen Tweets des Partei-Gründers.
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Volontärin Charlotte Nzimiro (27) hat eine weiße Mutter und einen schwarzen Vater. Sie ist Aktivistin gegen Rassismus.
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MOPO-Redakteurin Stephanie Lamprecht (53) gehört zur Generation der Babyboomer.
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Volontärin Sina Riebe (29) ist Feministin. Sie ist Mit-Gastgeberin des MOPO-Podcasts „Laut & weiblich“.
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Los ging es mit dem Parteiaustritt des Satirikers Nico Semsrott (34) aus der Partei „Die Partei“. Grund: Parteigründer und Satiriker Martin Sonneborn (55) hatte sich auf einem T-Shirt über die Aussprache von Chinesen lustig gemacht. Wie kann man sich über sowas dermaßen moralisch echauffieren?, fragte sich Boomer-Redakteurin Stephanie Lamprecht (53). Die Volontärinnen Sina Riebe (29) und Charlotte Nzimiro (27) aus der Generation der Millenials klärten sie auf.
Charlotte: Eins noch, bevor wir anfangen: Wir sprechen das N- und das Z-Wort nicht aus. Also, wir sagen „N-Wort“ und „Z-Wort“, nicht die Begriffe.
Stephanie: Ich habe noch keinen Ton gesagt und schon gibt es Vorschriften, wie ich zu sprechen habe. Das geht ja gut los hier. Das „N-Wort“ als Begriff für schwarze Menschen ist mir bekannt, das nutze ich sowieso nicht, beim Z-Wort weiß ich nicht einmal, was das ist.
Charlotte: Da ist so schrecklich, ich spreche das nicht aus. Das ist ein beleidigendes Wort für Sinti und Roma.
Stephanie: Ach so. Ich habe mal das Oberhaupt einer Sintifamilie interviewt und der Mann hat sich selbst als „Zigeunerkönig“ bezeichnet.
Charlotte: Es ist etwas anderes, wenn die Gruppe sich selbst so nennt.
Stephanie: Das ist richtig. Lasst uns loslegen. Es geht um den Chinesenwitz auf dem T-Shirt von Martin Sonneborn. Wie findet ihr den?
Charlotte: Der ist einfach nicht witzig. Er bedient sich eines rassistischen Stereotyps, das früher oft von den Medien benutzt wurde. Das ist rassistisch, geschmacklos und für chinesischstämmige Menschen verletzend.
Stephanie: Es hat sich aber kein Chinese beschwert, sondern Nico Semsrott stellt sich hin und behauptet stellvertretend für die Chinesen, dass man das nicht darf.
Charlotte: Da ist ein sehr wichtiger Schritt, dass sich eine weiße Person hinstellt und ihr „white privilege“ nutzt, weil man ihr eher zuhört als Menschen, die von Diskriminierung betroffen sind. Außerdem ging es ihm auch um Sonneborns Reaktion auf Kritik.
Stephanie: Vielleicht ist es den Chinesen total wumpe, was ein deutscher Parteivorsitzender auf seinem T-Shirt stehen hat.
Sina: Es geht nicht darum, was wumpe ist, sondern, was richtig ist. Warum sollte es uns wichtig sein, Witze auf Kosten einer Kultur zu machen, die wir nicht einmal richtig kennen? Das ist immer eine Art der Unterdrückung. Wir stellen uns mit unseren weißen Privilegien über andere Personen und das sollte nicht sein.
Stephanie: Da ist er ja schon, der moralische Zeigefinger eurer Generation. Natürlich darf man Witze machen, über jeden.
Charlotte: Nein.
Stephanie: Doch. Man darf über alles Witze machen, das ist ein Merkmal unserer liberalen Gesellschaft. Ich finde Sonneborns Chinesen-Witz auch bescheuert. Der ist altbacken und unlustig, aber er ist erlaubt. Das ist in einer Demokratie so. Es gibt nicht nur Häschen-Witze.
Diskussion: Worüber darf man sich noch lustig machen?
Sina: Mal andersrum gefragt: Warum ist es dir wichtig, dass man Witze über Randgruppen macht?
Stephanie: Ich möchte nicht in so einer moralinsauren, freudlosen Gesellschaft leben, wo man einen Witz nicht mehr doof findet, sondern verbietenswert. Es gibt ein Recht darauf, geschmacklose Witze zu machen. Quasi: Witzigkeit ist die Witzigkeit der Andersdenkenden.
Sina: Der Kernpunkt ist doch, dass man sich bei solchen Witzen nicht auf Augenhöhe übereinander lustig macht, sondern man macht Witze über eine Gruppe, der man gesellschaftlich übergeordnet ist.
Charlotte: Es geht ja nicht darum, dass wir eine spaßbefreite Gesellschaft wollen. Wir wollen eine gleichgestellte Gesellschaft. Und das Tolle an unserer Generation, an den Millenials ist ja, dass wir diese Dinge anprangern. Jeder soll sich ja in dieser Gesellschaft willkommen fühlen und wenn sich dann alte weiße Männer und alte weiße Frauen herausnehmen, zu sagen ,Man darf über alles Witze machen‘, dann sage ich: Diese Witze treffen Minderheiten, die historisch gesehen unterdrückt wurden.
Stephanie: Wo zieht ihr da die Grenze? Der MOPO wurden Brandsätze ins Verlagsgebäude geworfen, weil wir nach den Anschlägen von Paris die Mohamed-Karikaturen gedruckt haben. Darf man die nicht mehr zeigen? Und wie sieht es mit der Kirche aus? Sonneborn hat den Papst in bepinkelter Soutane gezeigt, da mussten die Christen auch mit leben.
Sina: Es gibt ja einen Unterschied zwischen Herkunft und Religion. Religion ist auch immer noch eine Wahl, die Hautfarbe nicht. Man kann es natürlich nicht verbieten, diese Karikaturen zu veröffentlichen, aber Satire muss dann einfach mit Gegenwind rechnen, dabei darf es aber nicht um Anschläge gehen, sondern um konstruktive Kritik. Und zur Kirche: Christen sind keine unterdrückte Gruppe, insofern sind Witze über Christen was anderes als über schwarze Personen.
Charlotte: Sonneborn hat sich ja auch des Blackfacings schuldig gemacht. Der hat sich schwarz angemalt auf einem Plakat und „Ick bin Obama“ drüber geschrieben. Das ist doch zutiefst rassistisch im historischen Kontext.
Stephanie: Ich finde, es ist generell gefährlich, wenn sich eine Gruppe, in eurem Fall, die Millenials, hinstellt und sagt: Wir definieren, was richtig und erlaubt ist und alles, was davon abweicht, wird bestraft. Warum kann der Semsrott nicht einfach sagen „Der Sonneborn ist doof und rassistisch, der geht mir auf den Sack“. Warum so moralisch rigide auf eine Entschuldigung pochen?
Sina: Der Chinesen-Witz ist ja keine Meinung. Rassismus oder auch die Unterdrückung von Frauen sind ja keine Sachen, die man so einfach hinnehmen kann. Wenn die Frauen vor 50 Jahren alles hingenommen hätten, wären wir jetzt nicht da, wo wir sind.
Boomer vs. Millennials – Streit der Generationen
Stephanie: Das sind übrigens die alten weißen Frauen, denen ihr euch so überlegen fühlt.
Sina: Nee, das verstehst du falsch. Es geht bei dem Begriff „alte weiße Männer und Frauen“ um Platzhalter für Menschen, die sich ihrer Privilegien bewusst sein müssen. Um Menschen, die mit Diskriminierung niemals in Berührung kommen.
Charlotte: Sie nutzen ihr „white privilege“ nicht, um sich gegen Diskriminierung einzusetzen, sondern ruhen sich einfach darauf aus. Dabei würde man euch wahrscheinlich mehr zuhören als mir als schwarzer Frau.
Stephanie: Wenn mich online was nervt, scroll ich weiter. Ihr gebt jedem, der was aus eurer Sicht Unerlaubtes sagt, sofort auf den Deckel.
Charlotte: Warum soll ich weiterscrollen, wenn ich vor meinen Augen Ungerechtigkeit sehe? Ist es nicht das, was wir in Deutschland schon mal hatten, dass zu viele Leute zugeguckt und nichts gesagt haben, weil sie nicht betroffen waren?
Stephanie: Au weia, was für ne Keule. Ihr sitzt auf einem moralisch sehr hohen Ross.
Charlotte: Warum sollen wir uns mit weniger zufrieden geben, als wir verdienen, als Frau, als schwarze Person, als Sinti und Roma? Ich verstehe nicht, dass man so unpassioniert sein kann, was Gerechtigkeit angeht. Ich möchte mich als schwarze Frau in der Gesellschaft auch willkommen fühlen, aber das geht nicht, wenn jemand mit einer verbalen Walze ankommt. Als Kind habe ich den Otto-Film gesehen mit den sieben Zwergen und da wird dieser Witz gemacht, der Jäger wird mit dem N-Wort verwechselt und im Kino haben alle gelacht. Ich habe das nicht kapiert und mein schwarzer Vater auch nicht. Was ist daran so lustig? Und das war 2004.
Stephanie: Dass das N-Wort verpönt ist, finde ich richtig. Ich habe auf Kindergeburtstagen noch N-Wort-Küsse gegessen und es ist gut, dass sich die Sprache da weiterentwickelt hat. Geht nicht in einem Film von 2004, da sind wir uns einig.
Sina: Wir machen doch im Prinzip nichts anderes, als das, was eure Generation gefordert hat zum Thema Gleichberechtigung von Mann und Frau. Wir führen das, was ihr erreicht habt jetzt weiter, wir fordern Gleichberechtigung auch in der Sprache.
Stephanie: Gutes Stichwort. Wenn jemand sagt „Journalisten haben von nix ne Ahnung“ fühle ich mich mit angesprochen. Ich nehme aber zur Kenntnis, dass das generische Maskulinum auf dem Rückzug ist. Vielleicht sind die Boomer die letzte Generation, die Sternchen beim Lesen hinderlich findet und stutzt, wenn im Radio von Arbeitnehmer…innen die Rede ist. Aber damit muss ich klar kommen und ich sehe auch, dass dahinter ein guter Gedanke steht. Trotzdem würde ich mich ungern zum Sternchen zwingen lassen.
Sina: Es gibt ein gutes Beispiel: Vater und Sohn haben einen Unfall, der Vater stirbt, der Sohn kommt ins Krankenhaus und der Chirurg sagt: „Den kann ich nicht operieren, das ist mein Sohn“. Wer ist der Chirurg?
Stephanie: Keine Ahnung. Der Samenspender?
Sina: Die Mutter. Weil Frauen beim generischen Maskulinum ja immer mitgemeint sind.
Charlotte: Das ist das beste Beispiel!
Stephanie: Das ist ein schlechtes Beispiel. Das generische Maskulinum bezeichnet ja gerade keine Einzelpersonen, sondern Gruppen. Es gibt ja den Begriff der Chirurgin. Aber ich verstehe, was du meinst.
Charlotte: Mich hat das Gender-Sternchen zuerst auch genervt, einfach, weil es mehr Arbeit macht. Aber es macht einfach einen Riesenunterschied in der Sprache inklusiv zu sein. Auch, wenn man bedenkt, dass die Bilder in den Köpfen durch Sprache geprägt werden.
Sina: Wir wollen uns ja gar nicht als Moralapostel hinstellen, wir wollen in den Diskurs gehen, aber die Boomer hören nicht zu, wenn wir nicht laut sind.
Charlotte: Vieles haben wir nur erreicht, weil wir so nervig und penetrant sind. Wir nerven euch ja sogar auf Social Media, wir verfolgen euch bis in eure vier Wände. Wir sind überall.
Stephanie: Jetzt krieg ich Angst … Ist das nicht wahnsinnig anstrengend, immer so wütend zu sein?
Charlotte: Doch! Das ist wahnsinnig anstrengend und manchmal weint man auch, aber ich kämpfe für eine bessere Welt. Ich möchte, dass mein Kind keinen Rassismus erlebt im Kindergarten.
Stephanie: Das möchte ich auch, liebe Charlotte. Unbedingt. Ich glaube, was uns unterscheidet, ist die Bedeutung, die wir Dingen zumessen. Für mich ist ein blöder Spruch auf Martin Sonneborns T-Shirt hinzunehmen, Ausgrenzung im Kindergarten nicht. Eure Skandal-Schwelle ist unheimlich niedrig. Für euch gibt es keine unwichtigen Sachen, keine doofen Witze, für mich schon.
Charlotte: Wir wollen die Probleme im Keim ersticken, solange sie noch klein sind.
Sina: Wozu es führt, wenn man zu lange untätig zusieht, sieht man ja jetzt in den USA. Die haben Trump machen lassen und am Ende hatten sie den Mob im Kapitol. Ein Beispiel dafür, dass es hilft, nervig zu sein: Zwei Frauen haben eine Petition gestartet, mit dem Ergebnis, dass es seit diesem Jahr strafbar ist, einer Frau unter den Rock zu fotografieren. Das ist ein riesiger Erfolg, der sehr klein angefangen hat.
Stephanie: Okay, letzte Frage: Ich wünsch mir von euch ein bisschen mehr Lockerheit und weniger moralischen Furor. Was wünscht ihr euch von uns?
Charlotte: Mehr Haltung, weniger von dem „Sind-ja-nur-dumme-Witze“-Wischiwaschi.
Sina: Dass wir mehr auf Augenhöhe miteinander reden.