Streitgespräch: Macht Gender-Sprache Frauen stärker?
Geht es um Binnen-Is und Doppelpunkte, wird verbal schnell aufgerüstet – kaum eine Debatte wird derzeit so verbissen geführt wie jene über die Gender-Sprache. Auch der Komponist und Textdichter Rolf Zuckowski (74) und die Gender-Aktivistin Stevie Schmiedel (49) sind beim Thema so gar nicht einer Meinung. Im großen MOPO-Streitgespräch machen die beiden Hamburger Kulturschaffenden aus zwei Generationen trotzdem vor, wie Debatte geht – und sei das Thema noch so kontrovers.
Stevie Schmiedel: Herr Zuckowski, Sie sind nicht glücklich damit, dass einige MOPO-Redakteur:innen die Gender-Schreibweise nutzen. Und ich gebe Ihnen vollkommen Recht: Das sieht nicht hübsch aus. Sie verlängert unsere eh schon umständlichen deutschen Wörter noch mehr: Bürger:innensteig! Man denke an das englische „Pavement“, das muss man nicht mal gendern. Trotzdem: Bis eine bessere Lösung gefunden ist, freue ich mich über jede Person, die sprachlich gendert.
Rolf Zuckowski: Es geht mir gar nicht um das „hübsch aussehen“. Rein grafisch gesehen finde ich die Schreibweise nicht problematisch. Es geht mir darum, dass man beim inneren Lesen und erst recht beim Vorlesen des Doppelpunktes, Sternchens oder anderer Gender-Zeichen gezwungen wird, eine Lücke mit besonderer Bedeutung zu sprechen. Das ergibt nicht nur einen stolpernden Sprachfluss, sondern ich empfinde es (bei allem Respekt vor der Gleichberechtigung und Anerkennung der geschlechtlichen Vielfalt) als eine sich wiederholende Belehrung. Gleichberechtigung muss vor allem mit Inhalten, tatkräftigem Engagement und gelebten Beispielen vorangebracht werden.
„Starke Mädchen haben nicht schöne Augen, starke Mädchen haben Fantasie und Mut, starke Mädchen wissen selbst wozu sie taugen, starke Mädchen kennen ihre Chancen gut.
Starke Jungs, die können nicht nur Muskeln zeigen, starke Jungs, die zeigen Köpfchen und Gefühl,
starke Jungs wollen ihre Meinung nicht verschweigen, starke Jungs, die kommen lächelnd an ihr Ziel.“
Rolf Zuckowski, „Starke Kinder“, 1989
Schmiedel: Es stimmt, dass Sprache alleine noch keine Gleichberechtigung macht. Wir müssen früh Mädchen zeigen, dass Sie die Führung übernehmen können und Jungen, dass sie weinen und ihre Gefühle zeigen dürfen. Dann gibt es vielleicht auch mehr Ärztinnen, Rechtsanwältinnen und Politikerinnen einerseits und Erzieher, Pfleger und Lehrer andererseits. Wenn man aber weiter nur von Lehrerinnen und Ärzten spricht, wirkt das dieser motivierenden Erziehung entgegen.
Ich würde Ihnen gerne ein Beispiel dazu nennen. Es hat bei mir selbst dazu geführt, dass mir die Gender-Schreibweise wichtig wurde. Ich fand nämlich lange, dass die nicht wichtig sei. Dann bekam ich Kinder. Meine Tochter fragte mich einmal: Mama, warum sprichst du immer von meinen „Erziehern“? In der Kita ist doch nur Sven Erzieher, die anderen sind doch Erzieherinnen.“ Sie war drei oder vier. Wir hatten noch nie über Gendersprache gesprochen und auch in der Kita wurde damals nicht gegendert. Das hat mich umgehauen und mich überzeugt, dass da doch was dran ist: Kinder nehmen eine Welt, die männlich erklärt wird, auch als männlich war. Und Studien bezeugen das.
Zuckowski: Kleine Kinder wachsen in die Sprache hinein. Sie werden viele Wortinhalte und Ausdrucksformen, z.B. Ironie, nach und nach verstehen, wenn man sich die Zeit für Erklärungen nimmt. Bei bestimmten, klar definierten Berufsgruppen ist die gegenderte Form auch für mich schon lange eine Selbstverständlichkeit, vor allem in der Einzahl. Bei manchen Berufsgruppen finde ich das Gendern angebracht und hilfreich, bei „Erzieherinnen und Erziehern“ beispielsweise, um zu betonen, dass es dabei auch um Männer geht. Ich habe bereits 1984 ein ganzes Buch „Singen macht Spaß“ nur für die „Lehrerinnen und Chorleiterinnen“ geschrieben und die Männer (im Grundschulbereich in der Minderheit) im Vorwort aufgefordert, sich ebenso angesprochen zu fühlen.
Die „männliche Wahrnehmung“ vieler Worte kann effektiv und nachhaltig nur durch eine inhaltliche Definition und zeitgemäße Interpretation überwunden werden. Das würde eine zielführende Konsequenz aus den von Ihnen genannten „Studien“ sein. Die Sprache in allen beliebigen Zusammenhängen deswegen durch zu gendern macht sie noch komplizierter als sie im Deutschen ohnehin schon ist. Das bringt die Gleichberechtigung nach meiner Einschätzung nicht wesentlich voran. Eine feministisch motivierte Sprachelite mag das anders sehen, ich beobachte in der Breite der Bevölkerung eher eine Verunsicherung, die keine Sympathie für den Gender-Wandel in der Sprache aufbaut.
Wir wollen sichtbar sein, auch wenn es nervig erscheint
Wir haben kein Bock mehr auf „mitgemeint“
Ich bin ehrlich und sage, wenn mich eine Sache stört
Wenn jemand „Alle“ meint, und man nur Männer hört.
Es ist doch nicht so schwer, ich erklär’s noch mal
Wie wir reden macht Frauen total unsichtbar
Wenn ihr Chef sagt denke ich automatisch an ’nen Mann Aber ich kann doch nur werden, was ich auch sehen kann!
Song „Sichtbar sein“ von Pinkstinks, 2018
Schmiedel: Das mag sicher so sein: Aktuell, sagen Studien, sehen 65% der Bevölkerung keine Notwendigkeit für Gendersprache. Dennoch fühlen sich viele Frauen missachtet, wenn sie nicht mitgesprochen werden, und besonders, wenn sie in der männlichen Form, zum Beispiel „Käufer“ oder „Kunde“ angesprochen werden. Sollen die sich dann einfach mal locker machen?
Zuckowski: Es wird, soweit ich das wahrnehme, schon seit längerer Zeit nicht mehr nur von „Ärzten und Lehrerinnen“ gesprochen. Frauen werden nach meiner Wahrnehmung ebenfalls schon sehr lange als Kundin angesprochen. Bei Bedarf an der Kurzform, z.B. auf Hinweisschildern, steht sicherlich oft noch „Kunden“. Ich habe aber noch von keiner Frau gehört, dass sie sich damit nicht angesprochen oder gar missachtet fühlt. Bei direkter Ansprache und bei der Begrüßung ist die Doppelnennung Kundinnen und Kunden nach meinem Eindruck längst Standard.
Schmiedel: Jetzt bin ich erstaunt: 2020 hat die 84-jährige Marlies Krämer bis zum Bundesverfassungsgericht dagegen geklagt, im Sparkassen-Formular als „Kunde“ angesprochen zu werden. Sie wurde bundesweit von Frauen und jugendlichen Feminist:innen bejubelt und unterstützt, es gab sogar Marlies Krämer-T-Shirts. Das haben Sie doch bestimmt in der Presse gelesen?
Zuckowski: Ich habe von der Klage beim Verfassungsgericht gelesen, die Berichterstattung war ja nicht zu übersehen. Dass die einzelne Frau als Kundin angesprochen wird, finde ich völlig richtig, auch wenn Frau Krämer einen Rechtsanspruch darauf nicht durchsetzen konnte. Die Frauen in meinem Umfeld haben offenbar auch kein so großes Problem damit. Es ging beim Einstieg in unseren Diskurs aber ja vor allem um den Doppelpunkt und anderer Gender-Zeichen, sie bei Durchsagen im Supermarkt auszusprechen würde vermutlich viele Kundinnen irritieren. „Liebe Kund:innen!“
Schmiedel: Mit den Durchsagen in Lautsprecher-Anlagen ist das ja wie mit der Mode. Wenn die „Farben des Jahres“ rauskommen, denken wir alle „Echt jetzt? Mit mir nicht!“, Ende des Jahres finden wir die alle ganz schick. Wenn Claus Kleber und Petra Gerster gendern, verbreitet sich das schnell – nicht umsonst wollen inzwischen 35% der Menschen in Deutschland mehr Gendersprache hören. Die Entwicklung wird man nicht mehr eindämpfen können.
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Zuckowski: Dass Claus Kleber und Petra Gerster im ZDF die Genderlücke sprechen, hat mich dazu gebracht, ihre Sendungen nicht mehr anzuschauen, weil ich ihre Sprechweise als Erziehungsmaßnahme empfinde, was andere anders sehen mögen. Als Repräsentanten eines öffentlich-rechtlichen Senders haben sie jedenfalls eine besondere Verantwortung gegenüber dem Gesamtpublikum. Das durchgehende Gendern mit Doppelpunkt, Sternchen oder anderen Zeichen ist für mich vor allem bei Personengruppen, also in der Mehrzahl ein Problem. Dadurch wird die Sprache zum Stolpern gebracht und der herkömmliche Wortstamm, der bisher alle Geschlechter einbezog, männlich umdefiniert, was grammatisch falsch ist und weitgehende Konsequenzen mit sich bringt, z.B. bei zusammen gesetzten Wörtern und in vielen grammatischen Einzelfällen, wo die Genderschreibweise einfach nicht funktioniert. Das Ausweichen auf das Partizip ist grammatisch auch nicht unproblematisch: „Zu Fuß Gehende“, die plaudernd an einer Straßenecke stehen, sind genau genommen gerade mal nicht „Zu Fuß gehend“.
Schmiedel: Aber „Mann“ und „Mensch“ wurden in unserer Welt Jahrtausendelang gleichgesetzt, weshalb unsere Wortstämme eben doch ursprünglich männlich sind. Deshalb wünschen sich viele Feminist:innen eine neue Lösung für die Mehrzahl. Ich denke, über Grammatik können wir lange streiten. Und ich verstehe Sie, ich tue mich auch schwer mit Veränderung. Aber viele tolle Rapperinnen rappen in Gendersprache, das geht ganz hervorragend. Wenn wir also Sprachklang und Grammatik bei Seite lassen (und hoffen, dass ein Linguistik-Team noch eine für uns alle befriedigende Lösung findet), ist doch ihr Hauptpunkt, dass die Gendersprache elitär und bevormundend ist, richtig? Aktuell stimmt Ihnen 65% der Deutschen zu. Aber Sprache ist Politik, mit Sprache drücken wir auch Haltung aus. Ich bin Britin, in der BBC musste lange das elitäre Queens English gesprochen werden, jetzt sind alle Dialekte erlaubt und sogar erwünscht. Wenn ich gendere, sage ich: Ich finde die Sprache, so, wie sie ist, nicht in Ordnung. Das mag für Sie Belehrung sein, die sie nicht wünschen. Das kann ich verstehen. Aber muss ich deshalb meine Überzeugung wortwörtlich „herunterschlucken“? Eine ganze Jugend gendert inzwischen, Fridays for Future, Abiturient:innen, Student:innen. Ja, meist gebildete Eliten. Aber von denen kam auch der Kampf um Frauenrechte im 20. Jahrhundert.
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Zuckowski: Nein, sie müssen Ihre Überzeugung natürlich nicht hinunterschlucken, aber Sie müssen sich damit einrichten, dass sich Ihre Leserschaft (ebenso gilt das für die Hörerschaft an Radio und Fernsehen) an dieser Stelle spaltet, mit Konsequenzen für die Auflage bzw. Quote. Ich zähle zu denen, die diese Sprachform nicht lesen und hören mögen, es sei denn gezielt, z.B. in inhaltlichen Zusammenhängen der Diversität oder bei besonderem Kürzungsbedarf. Sehr problematisch ist aus meiner Sicht, dass in vielen Bereichen wie Universitäten, Hochschulen und Verwaltungen inzwischen die Gendersprache vorgeschrieben wird. Damit wird sie vielen Menschen hoheitlich aufgezwungen, die von sich aus so nicht schreiben oder reden würden.
Dass inzwischen „eine ganze Jugend“ gendert, ist mir bisher nicht aufgefallen und ich habe nicht wenig Kontakt zu Jugendlichen. Das mag aber je nach Szene und Lebensumfeld so sein. Ob es den Verlust an kulturellem und musischem Sprachfluss (es gibt ja nicht nur Rap-Musik) wert ist, in der Kommunikation durchweg zu gendern, möge jeder für sich beantworten. Ich finde jedenfalls, dass die Schönheit der Sprache ein großer Schatz ist, den wir hüten sollten. Bin u.a. geprägt von Hermann Hesse, Erich Kästner und Astrid Lindgren. Eine Trennung von Kommunikations- und Kultursprache wird auf Dauer nicht gelingen. In gegenderter Sprache können keine melodischen Lieder geschrieben werden, auch die Poesie und die allgemeine Theatersprache wird das nicht leisten können. Darüber werden sich viele der von Ihnen beobachteten gendernden Jugendlichen noch wenig Gedanken gemacht haben.