• Foto: Marius Röer

Therapieplätze in Hamburg: Wenn psychische Gesundheit zur Luxusware wird

Psychische Erkrankungen sind oftmals unsichtbar, doch nicht weniger gefährlich als andere Krankheiten. Jährlich erleiden etwa 5,3 Millionen Menschen in Deutschland eine Depression – wie ein Parasit zerfrisst die Krankheit Betroffene von innen und raubt ihre Kraft. Dennoch müssen Kassenpatienten teils Monate auf einen Psychotherapieplatz warten.

So auch Tino C. Der 29-Jährige kämpft seit seiner frühen Jugend mit Depressionen. Dabei wirkt Tinos Leben auf den ersten Blick recht rosig. Er sieht gut aus, ist erfolgreich und immer unter Leuten – ein starker Kontrast zu seiner inneren Verfassung.

Hamburger spricht über Erfahrungen mit Depressionen

Über allem schwebt nämlich die erdrückende, für ihn jedoch alltägliche Frage: „Wofür bin ich überhaupt hier? Es gibt eigentlich keinen Tag, an dem ich wirklich leben will“, erklärt er sachlich.

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Von einer Depression spricht man immer dann, wenn mindestens zwei Wochen lang Symptome wie unter anderem innere Leere, Interessen- und Freudlosigkeit und ein Gefühl von Wertlosigkeit auftreten.

Depressionen werden zur Beziehungsprobe

Zustände, die auch Tino beschreibt: „Ich sehe die Welt nicht normal, sondern durch einen grauen Schleier. Alles ist trist. Für mich gibt es keine leuchtenden Farben oder Momente der Euphorie, da ist einfach diese Leere.“ Oft sorgte seine Depression für Missverständnisse und Konflikte, auch im Freundeskreis. Und in der Beziehung. Kein Einzelfall.

Etwa 50 Prozent der depressiven Menschen berichten, dass ihre Erkrankung Auswirkung auf ihre Partnerschaft hat. Rund 84 Prozent davon fühlen sich von ihrem Partner nicht richtig verstanden, bei etwa 45 Prozent geht die Partnerschaft zu Bruch, heißt es auf der Stiftungsseite „Deutsche Depressionshilfe“.

Depressionen: Die langen Wartezeiten werden zur Tortur

So auch bei Tino, dem dadurch klar wurde, dass er professionelle Hilfe benötigt. Bei fünf Ärzten ließ er sich auf die Warteliste setzen, ein Erstgespräch erhält er bereits nach zwei Wochen. Seinen ersten Termin bei seiner eigentlichen Psychologin aber erst vier Monate später – und hat damit sogar noch „Glück“.

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Laut Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) zählt Hamburg mit 18 Wochen sogar zu den Städten mit kürzeren Wartezeiten. Das sei aber noch immer „viel zu lang“, urteilt die BPtK. Zum Vergleich: In Berlin wartet man mit 13,4 Wochen am kürzesten, gefolgt von Hessen (16,7) und Baden Württemberg (17,0). Am längsten beträgt die Wartezeit in Thüringen mit 23,7 Wochen.

Das Gesundheitssystem ist noch nicht im Jahr 2020 angekommen

Der Grund für die langen Wartezeiten: Begrenzte Kassensitze, die es einem Psychologen ermöglichen auch Kassenpatienten und nicht nur Privatpatienten zu behandeln. 2018 gab es eine Reform, zur Schaffung weiterer Kassensitze. Nach dieser Novelle gab es 800 Sitze mehr in Deutschland.

Ein Problem jedoch bleibt: Nach wie vor beruht die Ermittlung des Bedarfs an Kassensitzen auf Zahlen von 1999 und richtet sich nicht nach der Anzahl der Erkrankten einer Region, sondern nach der Einwohnerzahl.

Kaum Psychologen in ärmeren Stadtteilen

Durch die Richtlinien gelten einige Orte als überversorgt, obwohl die Anzahl der Psychotherapeuten die Nachfrage nicht stillen kann. Psychotherapeuten, die keinen Kassensitz bekommen, siedeln sich in der Regel in einkommensstarken Gegenden an. Also dort, wo sich Menschen problemlos eine Behandlung leisten können. Das gilt auch für Hamburg.

In Blankenese kommen auf 13.730 Einwohner 20 Psychotherapeuten (3,75 Kassensitze) und in Eimsbüttel 89 (14 Kassensitze) auf 58.004 Einwohner. In armen Stadtteilen wie Jenfeld kommen auf 24.700 Einwohner allerdings nur zwei Psychotherapeuten, welche auch einen Kassensitz haben. Und in Billstedt sind es auf 70.409 Einwohner insgesamt vier Psychotherapeuten, davon zwei mit Kassensitz. Auf die 3,75 Kassensitze in Blankenese kommen so 3661,3 Einwohner, wenn man die rein privaten Psychotherapeuten außen vor lässt.  In einem armen Stadtteile wie Billstedt sind es 35.204,5 Einwohner auf zwei Kassensitze. Ein dramatischer Unterschied.

Doch weniger Einwohner heißt nicht gleich weniger Erkrankte. Privat-Praxen sind oftmals nicht voll ausgelastet und hätten theoretisch noch freie Plätze für Kassenpatienten. Die BPtK fordert deshalb eine grundlegende Reform der Bedarfsplanung: Mehr Kassensitze, um Wartezeiten zu verkürzen und somit eine gerechtere Verteilung zu gewährleisten.

Mehr Lebensqualität durch Psychotherapien

Das würde auch Menschen wie Tino helfen. Erst durch die Therapie, die einmal wöchentlich für ein halbes Jahr stattfand, hatte er letztendlich den Mut, sich seinen langjährigen Freunden anzuvertrauen. „All die Jahre hatte ich weder die Kraft, noch die Werkzeuge, um mich mitzuteilen“, sagt er.

Eine Last, die von seinen Schultern fiel. „Keiner wusste von meiner Depression, nicht einmal einer meiner besten Freunde, den ich seit 18 Jahren kenne. Endlich kann ich artikulieren, warum ich so bin, wie ich bin, und mache mich nicht mehr ständig selbst runter.“

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