Tschentschers Besuch im vergessenen Stadtteil
Nur sieben Minuten Fahrzeit sind es mit der S-Bahn vom Hauptbahnhof bis auf die Veddel. Zentraler geht es kaum. Und trotzdem fühlen sich viele Bewohner:innen der Elbinsel abgehängt, vergessen, an den Rand gedrängt. Sie helfen lieber einander, als auf die Politik zu vertrauen. Das bekam auch Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher zu spüren, als er sich mit Bezirksamtsleiter Falko Droßmann (beide SPD) zum Rundgang im Viertel aufmachte.
Die Veddel gilt als sozialer Brennpunkt mit einem schwierigen Image. Statistisch gesehen hat jeder Hamburger im Durchschnitt 38,8 Quadratmeter Wohnfläche für sich zur Verfügung – auf der Veddel sind es 28. Die Insel hat die dritthöchste Arbeitslosenquote aller Hamburger Stadtteile (8,8 Prozent) und den zweithöchsten Migrationsanteil (74,5 Prozent). Es gibt gerade mal einen Supermarkt für die rund 4500 Bewohner der Insel.
Tschentscher zu Besuch auf der Veddel
Auf dem Besuchsprogramm des Bürgermeisters stehen mehrere soziale Projekte. Im Gemeindetreff „Cafe Nova“ in der Wilhelmsburger Straße trifft Tschentscher auf Veddels älteste Einwohnerin: Die 93-jährige Elisabeth Scharlipp wohnt schon ihr Leben lang im sogenannten „Warmwasserblock“. Nun muss sie umziehen, weil der Block saniert werden soll. Dem Bürgermeister berichtet sie von ihrer schwierigen Wohnungssuche. „Wenn das mit dem Umzug nicht klappt, dann komme ich zu ihnen“, sagt sie mit einem Augenzwinkern.
Veddeler Stadtteilbücherei sucht neue Räume
Während des Rundgangs setzt ein starker Platzregen ein, trotzdem schließen sich einige Anwohner:innen dem Tross an. Den Bezirksamtsleiter kennen hier viele. Dass sich auch der Bürgermeister blicken lässt, ist neu. Nächster Stopp ist die Stadtteilbücherei, die vom Verein Veddel aktiv e.V. betrieben wird. Auch hier herrscht Ungewissheit, denn die Bibliothek muss bald ihre Räumlichkeiten in der Schule verlassen. Nach einer neuen Lösung wird noch gesucht.
Anwohner kritisieren Pläne für Elbdome
Tschentscher kannte den Stadtteil bisher nur aus Akten, wie er erzählt. Viele Bewohner kommen und möchten ein Selfie mit ihm machen. Aber Kritik muss er sich auch anhören. Statt der geplanten Sportarena „Elbdome“ hätten die Veddeler:innen lieber einen zweiten Supermarkt. Die Mega-Arena soll 7000 bis 9000 Zuschauer fassen können und voraussichtlich in der Nähe der S-Bahn-Station stehen. „Keiner von den Veddelern wird das nutzen, weil die sich die Eintrittspreise gar nicht leisten können“, sagt Kerstin Stutte von Veddel aktiv e.V. „Die Veddeler wollen den Elbdome nicht“, meint auch Anwohner Cengiz Senol. „Wir wurden nicht gefragt.“ Und er fügt hinzu: „Das alles hier würde es nicht geben, wenn sich die Veddeler nicht selbst engagiert hätten.“
„Es wird von oben über uns entschieden“
Bezirksamtsleiter Droßmann weiß, worauf es jetzt ankommt: „Wichtig ist, dass wir es schaffen, die Bedürfnisse der Veddeler in die Pläne der HafenCity GmbH einzubeziehen.“ Um die Veddel herum tut sich nämlich schon einiges: Die HafenCity nimmt weiter Form an, die Pläne für das neue Vorzeigequartier Kleiner Grasbrook gehen voran. Tschentscher hört sich alle Bedenken an. „Das Gefühl, die im Rathaus sind weit weg‘, gibt es in vielen Stadtteilen“, sagt er. Und verspricht: Er werde mit der HafenCity GmbH sprechen.
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Dann spricht der 23-jährige Ebou Uhlig das aus, was Viele denken: „Wir haben das Gefühl, dass von oben über uns entschieden wird. Unsere Anliegen werden nicht gehört.“ Zustimmendes Nicken. Uhlig engagiert sich als „Kiezläufer“ – das sind junge Veddeler, die als Ansprechpartner für die Jugendlichen vor Ort fungieren. Sie helfen bei Konflikten oder kicken eine Runde auf dem Bolzplatz mit.
Veddel: Beleuchtung für den Bolzplatz fehlt
Der Bolzplatz auf der Veddel, von den Bewohner:innen wegen seiner Beschichtung auch „Gummiplatz“ genannt, ist seit Jahren ein unliebsames Thema. Die Jugendlichen wünschen sich eine Beleuchtung für den Platz, um auch abends spielen zu können.
„Das Geld wurde schon vor Jahren bewilligt, aber bis heute wurden die Lampen nicht installiert“, sagt Klaus Lübke (SPD) zur MOPO, der auf der Veddel als „Stadtteilkümmerer“ bekannt ist. Als Bezirkspolitiker fühle er sich bei diesem Thema manchmal etwas allein gelassen. Auf Droßmann lässt er aber nix kommen, der habe die Veddel immer auf dem Schirm gehabt. Dieser Termin ist Droßmanns letzter als Bezirksamtsleiter in Mitte. Er kandidiert für den Bundestag.
Veddeler brauchen viel Geduld
„Manches braucht Zeit, aber langfristig bewegt sich schon etwas“, sagt Lübke. Die Veddel sei ein besonderer Ort, nah an der Innenstadt und doch eine Insel. „Wir haben Projekte, von denen wir hoffen, dass sie eine Verbesserung herbeiführen.“ So gäbe es erste Überlegungen, das Gemeindehaus neben der Kirche abzureißen und neu zu bauen. Ein gemeinsames Dach für Stadtteilbibliothek, Gemeindetreff und andere soziale Projekte könnte dort entstehen. Bis dahin müssen sich die Veddeler allerdings wieder gedulden – und sich weiter selber helfen.