Zwei Männer geben sich die Hand
  • Sie sind sich einig: Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD, r.) und MSC-Chef Soren Toft.
  • Foto: dpa

„Senat nach Strich und Faden übern Tisch gezogen“: Wut über MSC-Deal – darum geht’s

40 Jahre soll die Partnerschaft dauern, aus Sicht des rot-grünen Senats auch gerne länger. Hafenarbeiter fürchten dagegen eine Katastrophe, wenn die Reederei MSC beim Hafenlogistiker HHLA einsteigt.

Die Hamburgische Bürgerschaft muss als letzte Instanz dem umstrittenen Deal zum Einstieg der weltgrößten Reederei MSC beim Hafenlogistiker HHLA zustimmen. Eigentlich will die rot-grüne Koalition die Pläne gerne am Mittwoch in der letzten Sitzung vor der Sommerpause absegnen. CDU und Linke haben aber angekündigt, der von Rot-Grün geplanten Abstimmung in zweiter und letzter Lesung zu widersprechen. Das dafür notwendige Fünftel der Mandate halten die beiden Parteien. Auch die AfD hatte sich gegen den Deal ausgesprochen. Die Opposition kann die endgültige Entscheidung zwar bis nach der Sommerpause verzögern, aber nicht verhindern. An der Zustimmung der Bürgerschaft zu dem mindestens 40 Jahre laufenden Vertrag besteht angesichts der rot-grünen Zweidrittelmehrheit kein Zweifel. Doch worum geht es bei dem Geschäft überhaupt? Ein Überblick: 

Wer ist die HHLA?

Die Hamburger Hafen und Logistik AG, kurz HHLA, ist nicht irgendein Umschlagbetrieb. Das aus der 1885 gegründeten Hamburger Freihafen-Lagerhaus-Gesellschaft (HFLG) hervorgegangene Unternehmen ist das Herz des Hamburger Hafens. So wurden an seinen drei Containerterminals – Tollerort, Altenwerder und Burchardkai – im vergangenen Jahr rund 5,9 Millionen Standardcontainer (TEU) umgeschlagen. Das entspricht rund 77 Prozent des Hamburger Gesamtumschlags von etwa 7,7 Millionen TEU. Darüber hinaus ist die HHLA mit ihren knapp 6800 Beschäftigten engagiert bei Terminals im ukrainischen Hafen Odessa, im italienischen Triest sowie im estnischen Hafen Muuga.

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Mindestens genauso wichtig wie die Terminals sind für die HHLA ihre Unternehmen zum Weitertransport der Container auf der Straße und der Schiene. Für Bahntransporte hat die HHLA ihre Tochter Metrans, die im vergangenen Jahr knapp 1,4 Millionen TEU vor allem in zahlreiche Länder in Mittel- und Südosteuropa gefahren hat. Rechnerisch entspräche das mehr als der Hälfte aller im Hamburger Hafen per Bahn bewegten rund 2,5 Millionen TEU, wobei die Metrans auch in anderen Häfen aktiv ist. 

Eine Kuriosität und der Geschichte geschuldet ist das Engagement des Hafenlogistikers im Immobilienbereich. Weil die HFLG als ihr Vorgängerunternehmen die Speicherstadt als damals größten Lagerhauskomplex der Welt entwickelt und gebaut hat, ist die HHLA noch heute für das Unesco-Weltkulturerbe zuständig, hat dort auch ihren Konzernsitz. Zudem kümmert sich die HHLA unter anderem um Immobilien rund um den vor allem bei Touristen beliebten Hamburger Fischmarkt.

Wie geht es der HHLA?

Die Lage ist schwierig. Als international ausgerichtetes Unternehmen treffen die Krisen der Welt die HHLA oft unmittelbar und hart. So blieb im vergangenen Jahr bei einem Umsatz von rund 1,45 Milliarden Euro gerade mal ein Gewinn von 20 Millionen Euro übrig. Der Containerumschlag ging um 7,5 Prozent zurück, der Containertransport um 5,4 Prozent – und bestätigte damit anders als bei den Hauptkonkurrenzhäfen Rotterdam und Antwerpen einen seit der Weltfinanzkrise 2008 mal mehr mal weniger anhaltenden Trend. Im ersten Quartal dieses Jahres ist die HHLA sogar in die roten Zahlen gerutscht. Bei 363,6 Millionen Euro Umsatz verbuchte sie einen Nettoverlust von 1,1 Millionen Euro.

Hinzu kommen Umbrüche bei den großen Reedereien, die sich etwa wie Maersk und Hapag-Lloyd in der „Gemini Cooperation“ zusammenschließen und zum Ärger der HHLA künftig vorrangig Häfen anlaufen wollen, in denen sie selbst Terminals besitzen oder kontrollieren – in Deutschland etwa Bremerhaven und Wilhelmshaven. Hapag-Lloyd hat bereits einen Ladungsrückgang von zehn Prozent im Hamburger Hafen angekündigt. Entsprechend hat sich auch der Aktienkurs der seit 2007 börsennotierten HHLA entwickelt. Gestartet mit 59 Euro je Aktie krebste sie zuletzt bei elf bis zwölf Euro herum. Dabei braucht die HHLA dringend Geld für die Modernisierung und Automatisierung ihrer Terminals.

Was tun?

Hamburgs rot-grüner Senat – die Stadt hielt bislang rund 70 Prozent der Aktien, der Rest war in Streubesitz – entschied sich für eine Rosskur bislang ungekannten Ausmaßes. Am frühen Morgen des 13. September 2023 traten Bürgermeister Peter Tschentscher, Wirtschaftssenatorin Melanie Leonhard, Finanzsenator Andreas Dressel (alle SPD) überraschend vor die Presse und verkündeten, dass die weltgrößte Reederei MSC bei der HHLA einsteigen und künftig 49,9 Prozent des Unternehmens halten werde. Die Stadt werde ihren Anteil auf 50,1 Prozent reduzieren. Tschentscher sprach von einer wegweisenden Transaktion, die zu einer strategischen Partnerschaft der Stadt mit dem in Genf ansässigen Konzern der italienischen Reederfamilie Aponte führe. „Dies kann unserer gesamten maritimen Wirtschaft die Schubkraft geben, die in schwierigen Zeiten gebraucht wird.“

Was ist genau verabredet?

Für knapp die Hälfte der Anteile wird die Reederei Mediterranean Shipping Company (MSC) ihr Ladungsaufkommen an den HHLA-Terminals laut Drucksache von 2025 an erhöhen und bis 2031 auf eine Million TEU pro Jahr steigern. Außerdem werde sie in der Hafencity eine neue Deutschlandzentrale bauen, in die auch die Kreuzfahrtsparte MSC Cruises einziehen werde; die Mitarbeiterzahl werde sich mit zusätzlich 700 Jobs in Hamburg mehr als verdoppeln. Zudem wollen MSC und die Stadt das Eigenkapital der HHLA um 450 Millionen Euro erhöhen. Finanzsenator Dressel sagte, im Vordergrund der Verhandlungen für den über mindestens 40 Jahre laufenden Vertrag hätten zwei Punkte gestanden: „Wir müssen die Mehrheit behalten und wir müssen die Mitbestimmung gewährleisten.“ Beides sei erreicht. „Wir haben als Stadt auch weiterhin das Vorschlagsrecht für die CEO- und die Aufsichtsvorsitz-Positionen.“

Was passierte nach dem Auftritt des Senats?

Kurz: Es brach ein Sturm der Entrüstung los. Hafenarbeiterinnen und Hafenarbeiter gingen mehrmals auf die Straße, machten in wütenden Demonstrationen ihrem Ärger Luft, schreckten gar vor einem wilden Streik nicht zurück. Betriebsräte, die Gewerkschaft Verdi, ja selbst Sachverständige warnten in Expertenanhörungen und in einer Öffentlichen Anhörung der Hamburgischen Bürgerschaft vor einem „historischen Fehler“ und flehten die Abgeordneten schon fast an: „Führen Sie uns nicht in die Katastrophe.“ So steht etwa in der Drucksache, dass betriebsbedingte Kündigungen, wesentliche Änderungen der Mitarbeiterzahl oder das Verlassen der Arbeitgeberverbände „nicht vor Ablauf von fünf Jahren (…) in Betracht kommen“. Sehr wohl aber danach, sind Kritiker überzeugt.

Vor allem das Geschäftsgebaren von MSC steht im Feuer. Ist MSC doch nicht gerade für ein Engagement in Sachen Mitbestimmung bekannt, feuerte in einem Tochterunternehmen in Hamburg auch schon mal einen früheren Betriebsratschef. Oder MSC-Chef Soren Toft selbst, der in Hamburg kein Unbekannter ist: So versprach er 2017 noch als Vorstandschef der weltweit zweitgrößten Reederei Maersk nach Übernahme der Reederei Hamburg Süd, dass diese eine „kommerziell unabhängige Marke“ bleibe. 2021 feierte sie noch ihr 150-jähriges Bestehen, seit 2023 gibt es nicht einmal mehr den Namen.

Wo entzündete sich die Kritik am MSC-Deal noch?

Am Preis. Etliche Kritiker sind sich sicher, dass der ausgehandelte Preis von 16,75 Euro pro Aktie und damit knapp 233 Millionen Euro für die städtischen HHLA-Anteile viel zu niedrig angesetzt sind. So sagte der frühere Präsident des Unternehmensverbands Hafen Hamburg, Gunter Bonz, dem „Hamburger Abendblatt“: „Glückwunsch an MSC. Das Unternehmen hat alles richtig gemacht und den Senat nach Strich und Faden über den Tisch gezogen.“ Die HHLA sei viel mehr wert, allein die Metrans schon zwei Milliarden Euro. Der hafenpolitische Sprecher der CDU-Bürgerschaftsfraktion, Götz Wiese, hat deshalb bereits Beschwerde bei der Europäischen Kommission eingelegt. „Geheimverhandlungen, keine Ausschreibung, keine Bewertung nach anerkannten Grundsätzen der Wirtschaftsprüfer, unabhängige Experten durften die Vertragsunterlagen nicht einsehen“, begründete er sein Vorgehen.

Wer ist überhaupt MSC?

Da ist schwer zu beantworten. Bekannt ist: MSC ist die größte Container-Reederei der Welt. Ihre Container-Sparte umfasst nach Unternehmensangaben 760 Schiffe, die 520 Häfen in 155 Ländern anlaufen. Über die Tochter TiL ist das Unternehmen an rund 70 Terminals weltweit beteiligt. In Bremerhaven ist MSC in einem Joint Venture mit Eurogate mit 50 Prozent am MSC Gate Bremerhaven beteiligt. Das war es dann im Grunde aber auch schon an offiziellen Informationen. MSC-Chef Toft sagte bereits: „Wir geben die Informationen, die wir geben müssen.“ – mehr aber auch nicht. Umsatz und Gewinn der Reederei beispielsweise bleiben unter Verschluss. Angeblich soll MSC im Jahr 2022 mehr 86 Milliarden Euro Umsatz und 36 Milliarden Euro Gewinn erwirtschaftet haben, was Analysten zumindest für nicht unwahrscheinlich halten – allein der Gewinn entspräche fast dem Doppelhaushalt 2023/24 der Hansestadt Hamburg.

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