Was nach Corona passieren muss: Hartz IV überwinden, Kinder fördern, Reiche besteuern!
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Hartz IV überwinden – und höhere Steuern für Reiche und Erbende. Das fordert Ex-Justizsenator Till Steffen in seinem Gastbeitrag für die MOPO.
Durch die Coronakrise verlieren viele Menschen ihre wirtschaftliche Existenz. Ein Leben in Armut droht. Ein Szenario, das für viele vorher weit weg war. Viele der zutage kommenden Ungerechtigkeiten existierten jedoch bereits davor. Deshalb müssen wir jetzt Hartz IV überwinden sowie faire Chancen für Kinder von Anfang an schaffen und eine faire Finanzierung durch Steuern auf hohe Vermögen in den Mittelpunkt der kommenden Bundestagswahl stellen.
In vielen Gesprächen, die ich im Moment führe, ist die Sorge vor sozialem Abstieg ganz real. Menschen, die im Einzelhandel, in der Gastronomie oder in der Kultur selbstständig sind, müssen – zumindest vorübergehend – Hartz IV beantragen. Noch härter betroffen sind Menschen, die in diesen Branchen mit befristeten Arbeitsverträgen beschäftigt waren. Ihr Einkommen ist einfach weggefallen. Auch fest angestellte Arbeitnehmer*innen, denen bereits im ersten Lockdown gekündigt wurde, landen nach der ersten Zeit im Arbeitslosengeld I auf der untersten Stufe der sozialen Sicherung.
Die Krise stürzt viele in Armut: Was jetzt passieren muss
Es gibt immer mehr Lebensläufe, die nicht mehr davon geprägt sind, 40 Jahre denselben Arbeitgeber zu haben. Unsere sozialen Sicherungssysteme unterstellen das aber als Normalfall. Wir brauchen deswegen eine armutsfeste Ausgestaltung unseres Sozialsystems. Eine Absicherung, die einspringt, wenn Krisen das Leben aus dem Takt bringen – seien es große Krisen wie Corona oder individuelle Krisen, wie sie durch viele Ursachen ausgelöst werden können. Wir Grünen haben uns nach sehr sorgfältiger Debatte in unserer Partei und mit Wissenschaftler*innen, Gewerkschaften und Sozialverbänden für das Modell der Grünen Garantiesicherung entschieden. Ein deutlich höherer Regelsatz, ausgeweitete Möglichkeiten, etwas hinzuzuverdienen, und ein deutlich höheres Schonvermögen sind die wesentlichen Elemente.
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Wer fast jeden Euro wieder abgeben muss, wird in der Arbeitslosigkeit gehalten, statt schnell Schritte zurück ins Erwerbsleben zu gehen. Und die gegenwärtige Anrechnung des beinahe gesamten Vermögens führt zum Verbrauch jeder Vorsorge und produziert zwangsläufig Altersarmut. Die Menschen sollten sich was trauen können! Ein eigenes Geschäft aufmachen, bei einem neuen Unternehmen anheuern. Das ist genau der Mut, den wir brauchen, wenn neue Arbeitsplätze entstehen sollen. Der Staat sollte da sein, wenn es doch nicht klappt.
Kinder leiden unter der Corona-Krise besonders
Flankiert werden muss ein solches Modell durch Löhne, von denen man leben kann. Dazu gehört der Ausbau der Tarifbindung und ein Mindestlohn von zwölf Euro.
Die jetzige Krise hat aber auch an anderer Stelle schwere Schäden hinterlassen: Kinder, die von zu Hause nicht genug Unterstützung bekommen, werden durch die langen Schulschließungen stark zurückgeworfen. Wir laufen Risiko, dass viele Kinder auf lange Sicht den Anschluss verlieren. Ich war 2019 – das war die Zeit, als die Dinge noch „normal“ liefen – zu Besuch in der Arche in Jenfeld. Tobias Lucht, der Leiter der Einrichtung, zeigte mir die beeindruckende Arbeit: Kindern wird dort durch individuelle Hilfe geholfen. Oft ist es gerade diese zusätzliche Hilfe, die darüber entscheidet, ob der Schulbesuch am Ende mit Erfolg abgeschlossen wird.
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In mehreren Interviews hat Tobias Lucht im letzten Jahr darauf hingewiesen, wie verheerend für viele der Kinder, die sonst in die Arche kommen, der Lockdown war. Erfolgreiches Home-Schooling war für viele nicht möglich. Wenn die Pandemie vorbei ist, sind die Folgen lange nicht vorbei. Wir werden wahrscheinlich deutlich mehr von solchen Einrichtungen für Kinder und Jugendliche brauchen, um die Schäden aufzufangen und Lebensläufe zu verhindern, die von struktureller Armut geprägt sind.
Armut bekämpfen kostet Geld. Und dies sind nur zwei Schlaglichter auf Handlungsfelder der Armutsbekämpfung. Der neueste Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung zeigt die krass ungleiche Verteilung von Vermögen in unserer Gesellschaft. Die unteren 50 Prozent der Bevölkerung haben zusammen ein Prozent des Vermögens, während den obersten zehn Prozent die Hälfte des gesamten Vermögens gehört.
Soziale Gerechtigkeit: Das Recht auch gegen Stärkere durchsetzen
Daher müssen starke Schultern einen höheren Anteil leisten. Wir brauchen eine Vermögenssteuer und ich finde es auch richtig, große Erbschaften stärker zu besteuern. Eine faire Chance für alle, in ihrem Leben auf eigenen Beinen zu stehen, sollte diesen Beitrag wert sein.
Das Gute ist: Die Diskussion geht an vielen Stellen in die richtige Richtung. Auch die SPD will sich von Hartz IV lösen und eine Vermögenssteuer einführen. Es wirkt etwas putzig, dass das mit Olaf Scholz genau der Politiker verkörpern soll, der wie kaum ein anderer für die Einführung dieses Systems steht. Und der eine erstaunliche Scheu hat, das große Geld energisch anzupacken.
Während ein Bundesfinanzminister Peer Steinbrück noch drohte, mit der Kavallerie nach Liechtenstein zu reiten, um Schwarzgeld nach Deutschland zurückzuholen, kriegt Olaf Scholz blaue Briefe von der EU-Kommission, weil im Geldwäscheparadies Deutschland die entsprechende EU-Richtlinie immer noch nicht ordnungsgemäß umgesetzt wird. So viel ist klar: Wer einen Beitrag der Wohlhabenden einfordert, darf sich nicht nur auf die beschränken, die sich gegenüber dem Finanzamt ehrlich machen. Soziale Gerechtigkeit bedeutet vor allem, das Recht auch gegenüber Stärkeren tatsächlich durchzusetzen.