Diskussion mit Tschentscher: Wie gefährlich ist das iranische Regime?
Vor zwei Jahren starb Jina Mahsa Amini, zu Tode geprügelt von der iranischen Polizei, weil sie sich angeblich „unislamisch“ gekleidet hatte. Im gesamten Land kam es daraufhin zu großen Protesten. Auch in westlichen Ländern gingen Menschen auf die Straße – unter anderem in Hamburg, der Stadt mit der größten iranischen Community der Europäischen Union. Über die Zukunft des Mullah-Regimes und seinen Einfluss auf Hamburg und die Welt sprachen Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD), die deutsch-iranische ARD-Journalistin Natalie Amiri und der iranischstämmige SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Danial Ilkhanipour bei einer Podiumsdiskussion am vergangenen Sonntag.
Die 360 Plätze in der „Patriotischen Gesellschaft“ in der Altstadt sind an diesem Nachmittag voll besetzt. Das Thema ist brisant, die Gäste hochrangig. Die Leute begrüßen sich, auf Deutsch, auf Persisch. Ein akustisches Durcheinander. Viele tragen kleine politische Erkennungszeichen. Broschen mit der Flagge Irans, Ketten mit der Aufschrift „Frauen. Leben. Freiheit“, dem Motto der Proteste, oder bedruckte T-Shirts.
Was hat sich seit dem Tod von Jina Mahsa Amini verändert?
Durch Aminis Tod habe sich die internationale Wahrnehmung des Irans geändert, glaubt Danial Ilkhanipour, der seit 2015 für die SPD in der Bürgerschaft sitzt. „Die politische Situation im Iran ist kein Nischenthema mehr. Deutschland wird zunehmend klar, dass es nicht mehr nur um die Menschen im Iran geht, sondern um die ganze Welt. In der Vergangenheit ist man nach Protesten im Iran irgendwann immer wieder zum Alltag zurückgekehrt, hat weiterhin mit dem Iran als Partner verhandelt. Das ist dieses Mal anders: Seit zwei Jahren gibt es eine Druckkulisse, das Bewusstsein für die Situation vor Ort ist ein anderes“, sagt der 43-Jährige. Mittlerweile sei das Verhältnis zwischen Deutschland und dem Iran angespannt.
Auch die Lage im Iran selbst habe sich verändert, erzählt die Journalistin Natalie Amiri. „Eine Bekannte hat mir erzählt, dass bei einem Konzert neulich rund 90 Prozent der Frauen ohne Kopftuch da waren. Es war jahrelang ein Symbol der Unterdrückung, aber jetzt hat das Regime diese Kontrolle verloren.“ Das mache Hoffnung.
IZH-Verbot und Schließung der „Blauen Moschee“: Was kommt jetzt?
Das Islamische Zentrum Hamburg (IZH) galt als Propagandazentrale des Iran. Im August wurde es nach jahrelangem Hin und Her geschlossen und die dazugehörige „Blaue Moschee“ an der Schönen Aussicht vom Bund beschlagnahmt. Dieses Vorgehen muss jetzt juristisch geprüft werden. Erst danach kann über die weitere Nutzung der Moschee entschieden werden. „Grundsätzlich gibt es zwei Ideen: Das Gebäude könnte wieder zu einer schiitischen Moschee werden. Oder es wird ein iranisches Kulturzentrum errichtet. In jedem Fall muss verhindert werden, dass das iranische Regime sich diesen Ort noch einmal zu eigen macht“, so Bürgermeister Peter Tschentscher.
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Die Bundesregierung wird häufig für ihre Iran-Politik kritisiert. Man lasse sich zu leicht von den Drohungen, deutschen Gefangenen vor Ort etwas anzutun, einschüchtern. Außerdem müsse die Revolutionsgarde auf die EU-Terrorliste gesetzt werden. Sie gilt als mächtigste Institution der Regierung.
Wie sollte die deutsche Politik jetzt mit Iran umgehen?
„Wir brauchen eine neue Iran-Politk – neue Strategien, um mit dem Regime umzugehen“, fordert Daniel Ilkhanipour. Fälle wie jene der Deutsch-Iranerin Nahid Taghavi, die seit vier Jahren in Teheran im Gefängnis sitzt und deren Haft das iranische Regime als Druckmittel bei diplomatischen Gesprächen missbraucht, müssten geklärt werden.
„Die Geiseldiplomatie kann so nicht fortgesetzt werden. Man darf sich nicht mehr erpressen lassen. Wir müssen selbst aktiv werden“, so Ilkhanipour. Er fordert außerdem Maßnahmen seitens der EU: „Die Revolutionsgarden müssen auf die Terrorliste der Europäischen Union. Außerdem sollten weitere Sanktionsmechanismen geprüft werden, die direkt das Regime treffen.“
Was macht Hamburg im Umgang mit dem Regime besser als der Bund?
„In Hamburg gibt es eine sehr große iranische Community, die größte in der EU. Deswegen gibt es in der Stadt eine große Sensibilität und Expertise für das Thema. Bestimmte Maßnahmen wie die Terrorlistung der Revolutionsgarde wurden hier sehr früh gefordert. Auch das IZH-Verbot wurde maßgeblich von der Stadt aus vorangetrieben. Das darf sich nicht ändern“, so Ilkhanipour.
Wie gefährlich ist das iranische Regime für Deutschland?
Die iranische Diaspora warnt ausdrücklich, der Einfluss des Regimes dürfe nicht unterschätzt werden. Es stelle auch für die Menschen in Deutschland zunehmend eine Bedrohung dar, sagt Natalie Amiri.
„Die iranischen Machthaber haben zum einen eigene Agenten hier stationiert. Zum anderen machen sie sich vermehrt bestehende Netzwerke zu Nutze“, erklärt die ehemalige Leiterin des ARD-Studios in Teheran. „Für Anschläge engagieren sie mittlerweile Auftragskiller und arbeiten mit Gruppen wie den ‚Hells Angels‘ zusammen. So wird es immer schwieriger, die Terroristen zu erkennen.“ Außerdem solle der außenpolitische Einfluss Irans nicht unterschätzt werden. Das Regime finanziere Terrorgruppierungen wie die Hamas, die Hisbollah und die Huthi-Rebellen, die maßgeblich an den internationalen Konflikten unserer Zeit beteiligt sind.
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Auch Peter Tschentscher stimmt dem zu. „Der Iran wurde lange unterschätzt. Auch in den Medien war er jahrelang kein dominantes Thema. Dabei bringt der Iran sich international sehr ein – und zwar im negativen Sinne. Zum Beispiel mit Drohnen- und Raktenlieferungen nach Russland. Da wird deutlich, dass das Regime nicht nur innenpolitisch seine fundamentalistischen Ideen durchsetzen kann. Der Iran ist international ein starker Akteur.“
Wie lange kann sich das iranische Regime noch halten?
Daniel Ilkhanipour hat große Hoffnung, dass die Tage des Regimes bald gezählt sind. „Wir sehen, wie kaputt das System im Iran ist. Dem Regime gleitet die Macht Stück für Stück aus der Hand. Es ist so schwach wie nie zuvor. Wirtschaftlich ist Teheran am Boden. Außerdem haben sie die Bevölkerung gegen sich. Das sind die perfekten Bedingungen für einen Sturz“, so Ilkhanipour.