Meeresbiologe hat Hoffnung: „Unsere Meere erholen sich schneller, als wir denken“
Hamburg/Halifax –
Zerstörte Korallenriffe in Meeren voller Plastikmüll, verendete Wale, ein dramatisch steigender Meeresspiegel und immer mehr Fischarten, die bedroht sind: Um unsere Weltmeere und andere marine Lebensräume ist es nicht gut bestellt – soweit die hauptsächlich bekannten Horror-Meldungen. Doch es gibt noch Hoffnung für die Ozeane, sie erholen sich oft – und vor allem nahezu vollständig. Meeresbiologe Boris Worm erläutert im MOPO-Interview, warum noch nicht alles verloren ist – und was nötig, ist um sie weiter zu stärken.
Herr Worm, Sie haben als Co-Autor einer Metastudie, die im Fachmagazin „Nature“ erschien, überraschend viel Positives hinsichtlich unser Weltmeere herausgefunden. Wie steht es um sie?
Boris Worm: Tatsächlich haben wir gesehen, dass das Meer über erstaunliche Selbstheilungskräfte verfügt. Mehr als wir gedacht haben. Bei der Studie handelte es sich um eine globale Metastudie, bei der weltweit führende Biologen und Umweltökonomen mitgewirkt haben. Unsere Auswertungen zeigen vor allem, dass dort, wo lokale Schutzmaßnahmen eingesetzt werden, sich das Meer und Artbestände relativ schnell erholen. Auch wichtige Habitate wie Algenwaelder, Mangrovenhaine und Seegräserwiesen haben zum Teil erstaunliche Wachstumsraten.
Bei Fischbeständen hängt es sehr davon ab, wo wir nachschauen, im Mittelmeer zum Beispiel sind viele Bestände auf sehr niedrigem Niveau, im Nordpazifik hingegen nimmt die Hälfte der befischten Arten inzwischen wieder zu. Und auch bei den Meeressäugern gibt es gute Neuigkeiten. Zum Beispiel Buckelwale im Südpazifik: Die sind von ein paar Hundert auf 40000 Tiere angestiegen! Auch West-Papua im Osten von Indonesien ist ein super Beispiel für eine schnelle Erholung.
Inwiefern?
Dort war vor 20 Jahren die Hölle los: Haie und Schildkröten waren fast ausgerottet, Korallenriffe zum Teil zerbombt, es gab kaum noch Grossfische. Vor zehn Jahren fingen dann dort intensive Schutzmaßnahmen an, mit starker Beteiligung und Unterstützung der lokalen Bevölkerung. Jetzt nach weiteren zehn Jahren war ich wieder da – und erlebte eine wunderbare Überraschung: Riffe waren am Blühen, Krater von früheren Sprengungen waren kaum mehr zu sehen, auf fast jedem Tauchgang konnten wir wieder Haie und Schildkröten beobachten.
Hier sieht man: Wenn man dem Meer eine Chance gibt, findet Erholung statt – und das auf eine drastische Weise. Aber auch an anderen Orten sieht man oft Mutmachendes: An meinem Wohnort, Halifax in Kanada, habe ich in diesem Sommer direkt vor meinem Haus Thunfische, verschiedene Wale sowie Kegelrobben gesehen, also Tiere, die für lange Zeit von hier verschwunden waren und jetzt wieder auftauchen. An zuvor voll gemüllten Stränden in Indien, die mittlerweile vom Plastik befreit wurden, brüten jetzt wieder Meeresschildkröten. Auch die Corona-Pandemie zeigt uns: Die Natur wird schnell wieder sichtbarer, wenn sich die Menschen ein bisschen zurückhalten.
Über welchen Zeitraum sprechen wir bei dieser Erholung?
Unsere Daten zeigen dass innerhalb einer menschlichen Generation, also 20 bis 30 Jahren, da viel möglich ist. Doch bei aller Positivität darf man natürlich nicht vergessen, dass es noch viele Baustellen gibt. In Europa sind viele Fischbestände immer noch auf extrem niedrigem Niveau und es gibt vieles, was uns Meeresbiologen noch sehr beunruhigt.
Was ist das?
Übergreifend ist das natürlich der Klimawandel. Das Meer ist unser wichtigster Puffer, bis zu der Hälfte unserer CO2 Emissionen und über 90 Prozent der Wärme, die durch den Treibhauseffekt verursacht wird, wird im Meer gespeichert. Wenn das Meer nicht da wäre, wäre die Klimakatastrophe schon längst in voller Heftigkeit da – und wir noch viel direkter betroffen. Außerdem besorgt es mich, wie dramatisch das Great-Barrier-Riff in Australien ausgeblichen ist – vorrangig durch den Klimawandel. Dabei sind Riffe die größten, von Lebewesen geschaffenen Strukturen der Erde und einzigartige Ökosysteme mit einer unendlichen Vielfalt an Tier- und Pflanzenarten.
Und natürlich ist auch die Verschmutzung der Meere weiterhin bedrückend. Nahezu kein Fitzel des Ozeans kann der Plastikflut entgehen, irgendwie gelangt es in jede Ecke. Auch der Fischfang muss intelligenter werden. Die Beifang-Problematik ist hier besonders schwierig. Hierbei werden neben den Arten, die gefischt werden, andere Arten ungewollt mitgefangen. In den meisten Fällen werden diese dann tot oder sterbend ins Meer zurückgeworfen.
Die Frage ist also: Wie können wir fischen ohne anderen Arten und Habitate auszulöschen? Aber auch hier gibt es vereinzelt schon Erfolge. In den 80er Jahren verendeten jährlich Hundertausende von Delphinen in Thunfischnetzen – das kommt heute kaum noch vor.
Der Klimawandel betrifft natürlich auch uns Menschen in Küstenregionen sehr – welche Länder sind Ihrer Meinung hier besonders gefährdet?
Sturmfluten treten aufgrund des Meersspiegelanstiegs und der Erderwärmung immer häufiger auf und bedrohen Küstenregionen weltweit. Beispielsweise in Bangladesch, aber auch in den Niederlanden. Jedoch haben unsere Nachbarn mehr technische Möglichkeiten, dagegen zu wirken. In Bangladesch, einem großen und tiefliegendem Land, haben die Menschen nicht diese Möglichkeiten.
Aber auch hier gilt: Die besten Sturmflutpuffer kommen aus der Natur: Riffe, Algenwälder, Mangroven, Seegraswiesen – sie alle können Sturmschäden massiv verbessern. Wenn sie mehr geschützt und ihr Wachstum gefördert wird, ist das ein sehr ökonomischer Ansatz.
Apropos Ökonomie. Bisher galt eigentlich: Umweltschutz und ökonomischer Nutzen schließen sich aus. Sie und einige ihrer Kollegen widersprechen dem. Inwiefern?
Ganz im Gegensatz finden wir, dass Meeresschutz große ökonomische Vorteile bringt, zum Beispiel durch die Erholung wertvoller Fischbestände und den oben erwähnten Küstenschutz. Ein wichtiges Werkzeug sind sogenannte „Marine Protected Areas“ (MPA’s), also Meeresschutzgebiete, die immer mehr Küstennationen nutzen, um eine schnelle Erholung mariner Ressourcen zu bewirken . MPAs sind besonders in Ländern, deren Meere stark überfischt sind, sinnvoll.
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Und hier gilt: Je mehr es von diesen Gebieten gibt, in denen das Meer mit sinnvollen Maßnahmen geschützt wird, desto mehr Fischfang gibt es in angrenzenden Gebieten. Eine neue Studie hat gerade erwiesen, dass nur fünf Prozent mehr geschützte Meeersfläche bis zu 20 Prozent mehr Fischfang erbringen könnten, also 9 bis 12 Millionen Tonnen mehr essbaren Fisch pro Jahr als ohne zusätzlichen Meeresschutz. Also: Essensbeschaffung durch Küstenschutz sind zentrale Gründe für den Meeresschutz.