Mit neuer Methode: Polizei im Norden ist „Designerdrogen” auf der Spur
Pharmafirmen verändern Substanzen, das ist völlig normal. Geschieht dies allerdings bei Rauschgift, entstehen sogenannte Designerdrogen – was die Polizei lange vor Probleme stellte. Jetzt hat das Landeskriminalamt Niedersachsen die Lösung.
Hilfe für die Polizei auf der Jagd nach synthetischen Drogen: Mit neuen Methoden untersucht das Landeskriminalamt Niedersachsen seit kurzem nicht nur die Designerdrogen, sondern auch Blut auf sogenannte neue psychoaktive Substanzen.
Dazu werde eine Datenbank aufgebaut, in die bekanntgewordene Substanzen einfließen, sagte Christian Vidal, Dezernatsleiter Chemie beim Landeskriminalamt, der Deutschen Presse-Agentur. Nach Angaben von Projektleiterin Lena-Maria Mehling gab es schon einige Treffer.
Frage: Was hat es auf sich mit den neuen psychoaktiven Stoffen?
Mehling: Die neuen psychoaktiven Substanzen sind seit ungefähr 2008 bekannt, sie sollen übliche Drogen ersetzen und ergänzen. Es gibt gewissermaßen synthetische Substanzen zu den schon bekannten Betäubungsmitteln, wie beispielsweise die Gruppe der synthetischen Cannabinoide. Jeder kennt Cannabis, jeder kennt THC. Die neuen psychoaktiven Stoffe aber lassen sich nicht so leicht nachweisen, also bedarf es einer speziellen Methodik, die seit Anfang November bei uns mitläuft.
Was ist daran so speziell?
Mehling: Wir haben den Vorteil, dass wir Substanzproben asserviert bekommen von der Polizei. Wir sehen so, was in der Bevölkerung konsumiert wird, mit was gedealt wird und was man dann im Blut finden kann.
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Vidal: Das Besondere ist, dass wir sowohl das sichergestellte Pulver zur Analyse eingesandt bekommen als auch die Blutproben, etwa von Verkehrskontrollen. Das ist einzigartig. Es gibt auch andere, die Pulver untersuchen, es gibt medizinische Institute, die Blut untersuchen. Die haben aber immer das Problem, dass sie nicht die Verbindung zwischen beidem herstellen können. Rechtsmedizinische Institute haben außerdem das Problem, an die illegalen Substanzen heranzukommen. Für uns ist es günstig, dass wir die wegen der Beschlagnahmungen im Haus haben.
Wie neu ist die Vorgehensweise?
Mehling: Die Technik an sich ist eigentlich gar nicht so neu. Das Gerät ist ein Hochleistungsflüssigkeits-Chromatograph, eigentlich ein weit verbreitetes Gerät in der Analytik. Nur dadurch, dass wir den Zusammenhang schaffen können zwischen beschlagnahmten Stoffen und dem regionalen Konsum, konnten wir unsere Methode so anpassen, dass wir sehen, was hier in der Region vor sich geht.
Vidal: Neu ist eigentlich, dass wir uns permanent auf dem neuesten Stand halten. Es ist nicht damit getan, die Methode zu entwickeln. Sondern: Wenn wir neue Substanzen identifizieren, die es so vorher noch gar nicht gab, dann werden die mit dem Gerät eingemessen, wie wir das nennen, und in einer Referenzdatenbank verfügbar gemacht.
Letztlich geht es um den Pflegeaufwand. Wir müssen uns immer wieder mit neuartigen Substanzen befassen, um diese Datenbank auf Ballhöhe zu halten. Das ist ein sehr dynamisches Geschehen, wir haben jeden Monat mehrere völlig neue Substanzen, die es vorher noch nicht gab.
Warum werden immer neue Substanzen geschaffen?
Vidal: Die Triebkraft, die dahinter steckt, ist immer die Umgehung des Gesetzes. Das Betäubungsmittelgesetz kennt ausschließlich die Aufstellung von Einzelsubstanzen. Darin ist aufgeführt: Kokain ist in Deutschland verboten, THC ist in Deutschland verboten. Das sind ein paar hundert Substanzen, die da aufgeführt sind. Das hat eine Weile sehr gut geklappt, weil es nicht viele Drogen gab. Es gab die Klassiker Heroin, Kokain, Amphetamine, bis der Drogenmarkt die synthetischen Substanzen entdeckte.
Dann hat man angefangen, Substanzen zu modifizieren. Und das am besten so geringfügig, dass die Wirkung nicht verändert, im besten Fall sogar verstärkt wird. Man versucht Drogen so zu verändern, dass sie nicht mehr dem Gesetz unterliegen. So entstehen synthetische Drogen – und darauf hat der Gesetzgeber lange keine Antwort gefunden. Das neue Gesetz unterstellt erstmals Baupläne von Molekülen.
Mehling: Man hat gesagt: Da wir nicht so schnell sind, verbieten wir einfach bestimmte Molekülgerüste. Im Endeffekt können wir sofort reagieren, sobald das Pulver beschlagnahmt ist und wir es untersucht und die Substanz identifiziert haben. Dann nehmen wir diese in unsere Datenbank auf.
Bleiben Sie damit tatsächlich auf der Höhe des Geschehens?
Vidal: Es bleibt immer ein Katz- und Mausspiel. Aber wir sind dadurch, dass wir das Pulver untersuchen, ganz nah am Geschehen des Marktes. Sobald es eine neue Substanz gibt, die in Niedersachsen gehandelt wird, haben wir die 14 Tage später auf jeden Fall im Labor – und dann sind wir in der Lage, sie auch im Blut nachzuweisen. Wir sind da sehr dicht dran.
Ist der Aufwand nicht gewaltig, die Datenbank immer aktuell zu halten?
Vidal: Das ist in der Tat Aufwand. Aber wir müssen die neuen Substanzen ja charakterisieren und herausfinden, was in dem Pulver drin ist. Das ist keine Forschung im Elfenbeinturm, sondern wirklich alltägliche Polizeiarbeit, nur eben im Labor.
Was ist aus Ihrer Sicht dabei die größte Herausforderung?
Vidal: Es geht um sehr, sehr kleine Unterschiede. Man muss da analytisch schon genau hinschauen, um verschiedene Substanzen zu unterscheiden. In einigen nicht forensischen Bereichen gibt es Schnelltests, die bestimmte Gruppen von Molekülen erfassen.
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In der Notfalldiagnostik will ich wissen: Hat jemand Schlafmittel genommen oder nicht? Dazu gibt es Gruppennachweise für Schlafmittel. Aber das ist forensisch nicht verwertbar, wir müssen ja einen Beweis führen. Und einen Beweis kann ich nur führen, wenn ich wirklich den Stoff eins zu eins identifiziert habe und sagen kann: Ein Mensch hat diesen oder jenen Stoff gehandelt oder eingenommen.
Sind Sie so schon oft fündig geworden?
Mehling: Wir haben jetzt einige Fälle untersucht, es waren hauptsächlich Straßenverkehrsdelikte. Tötungsdelikte kommen prozentual zum Glück nicht so häufig vor. Wir hatten einen größeren Fall: Das war eine Todesermittlung, bei der man Pulver in einer Wohnung gefunden hat. Das haben wir dann analysiert und festgestellt, dass eventuell neue psychoaktive Substanzen konsumiert wurden – und das konnten wir im Blut dann auch nachweisen.
Wie wirken diese synthetischen Drogen?
Mehling: Synthetische Drogen orientieren sich immer an vorhandenen Drogen. Aber bei der Synthese kann man die Potenz erheblich steigern – sowohl beim Wirkspektrum als auch beim Spektrum der Nebenwirkungen, die im Übrigen in der Drogenszene oft zu den erwünschten Wirkungen gehören. Ein gutes Beispiel sind die synthetischen Cannabinoide. Der eigentliche Ursprung ist THC, also Cannabis.
Aber der synthetische Wirkstoff ist nicht in der Pflanze enthalten, sondern wird auf das Pflanzenmaterial aufgesprüht. Die Pflanzen haben unterschiedliche Wirkstoffgehalte. Wenn man das kombiniert mit einem synthetischen Wirkstoff, und der Konsument raucht die gleiche Menge, kann es zu erheblichen Nebenwirkungen kommen, wie etwa Herzrasen, Übelkeit oder auch Bewusstlosigkeit.
Wie groß ist ungefähr der Anteil, den die neuen psychoaktiven Substanzen inzwischen erreicht haben?
Vidal: Wir gehen davon aus, dass es ein erhebliches Dunkelfeld gibt. Und es ist eines unserer Ziele, dieses Dunkelfeld zu erhellen. Oder zumindest etwas Licht ins Dunkel zu bringen, da bis jetzt die Messmöglichkeiten sehr eingeschränkt waren und es nirgends die Verbindung zwischen sichergestelltem Pulver und eingenommenen Substanzen gab. Bis jetzt scheiterte das Ganze wirklich an der dünnen Erkenntnislage.
Zur Person: Christian Vidal, 51, ist Dezernatsleiter Chemie beim Landeskriminalamt Niedersachsen. Lena-Maria Mehling, 34, ist Sachverständige und Projektleiterin beim Landeskriminalamt.