Fall Niels Högel: Das fordern die Staatsanwälte für die Klinik-Chefs
Hätte der Patientenmörder Niels Högel gestoppt werden können? Das beleuchtet der Prozess gegen sieben ehemalige Vorgesetzte des Pflegers, der sich dem Ende zuneigt. Das Urteil in zwei Wochen wird keine Überraschung mehr werden.
Welche Mitschuld tragen ehemalige Kollegen, Ärzte und Klinikleitungen an den Taten des verurteilten Patientenmörders Niels Högel? Seit Februar sucht das Landgericht Oldenburg in einem Prozess gegen sieben ehemalige Vorgesetzte nach Antworten. Dabei hat sich herausgestellt: An den Kliniken in Oldenburg und Delmenhorst gab es viel Gerede über Högel, das Misstrauen war groß. Dennoch wurde am Mittwoch einmal mehr deutlich, dass die Angeklagten keine Verurteilung befürchten müssen. Selbst die Staatsanwaltschaft forderte in ihrem Plädoyer Freisprüche.
Keine Schuld des Klinikpersonals
Einzelne Angeklagte hätten zwar „Schuld auf sich geladen“, sagte Staatsanwältin Gesa Weiß. Es seien massive Fehler gemacht worden. „Auf Verdachtsmomente wurde falsch reagiert“, so Weiß. Dies sei aber „nicht justiziabel“. Bei keinem der Angeklagten sei ein Vorsatz zur Beihilfe zum Totschlag beziehungsweise versuchter Totschlag durch Unterlassen zu erkennen. Angeklagt sind drei Ärzte, zwei leitende Pflegerinnen und ein leitender Pfleger sowie ein Ex-Geschäftsführer.
Auch die Verteidigung plädierte am Mittwoch auf Freispruch. Die Anwältin einer Angeklagten sprach erneut von „monströsen Vorwürfen“ seitens der Anklage, von denen ihre Mandantin während des Verfahrens vollständig entlastet worden sei. Die leitende Pflegerin habe Högels Taten nicht erkennen können.
Högel tötete 85 Patienten für eigenen Ruhm
Högel wurde 2019 wegen 85-fachen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Er tötete Patienten, indem er ihnen nicht verordnete Medikamente spritzte. Laut Gericht wollte er sich mit Reanimationen profilieren. Die Verbrechen begannen im Jahr 2000 im Klinikum Oldenburg und endeten 2005 im Klinikum Delmenhorst, nachdem eine Kollegin Högel auf frischer Tat ertappte.
In dem Prozess gegen seine ehemaligen Vorgesetzten geht es um acht Fälle: sechs Morde und zwei Mordversuche.
Staatsanwältin Weiß sagte, Kollegen und Vorgesetzte am Klinikum Oldenburg hätten Högel zunehmend misstraut, vor allem nach einem Wochenende, an dem besonders viele Patienten reanimiert worden seien. „Infusionen von Patienten wurden ausgetauscht, wenn Högel Dienst hatte“, berichtete sie. Schließlich hätten drei Ärzte die Zusammenarbeit mit Högel verweigert, offiziell wegen Vertrauensbruchs. „Über die wahren Gründe wurde geschwiegen“, sagte Weiß. Tatsächlich hätten sie Högel als „zu gefährlich“ für ihre Patienten angesehen. Einen Tötungsvorsatz hätten aber auch sie mit ihrem Wissen von damals nicht erkennen können, betonte Weiß.
Staatsanwältin vergleicht Vorgehen der Klinikleitung mit dem der katholischen Kirche
Högel sei schließlich von der Klinik nahegelegt worden, selbst zu kündigen. Mit einem guten Zeugnis wechselte er 2002 nach Delmenhorst, wo er seine Taten fortsetzte. Weiß verglich die Vorgehensweise in Oldenburg mit dem der katholischen Kirche in Bezug auf Missbrauchsfälle. Priester wurden ebenfalls vielfach versetzt. „Hauptsache aus dem Verantwortungsbereich weg“, sagte Weiß. Selbst als der erste Todesfall in Delmenhorst bekannt wurde, habe die Klinikleitung in Oldenburg nicht mitgeteilt, dass es bereits in ihrem Haus Auffälligkeiten mit Högel gegeben habe.
Am Donnerstag wollte die Verteidigung mit ihren Plädoyers fortfahren. Das Urteil wird in zwei Wochen gesprochen. Für Verfahrensbeobachter wird es keine Überraschung geben: Das Landgericht hatte in einer vorläufigen Einschätzung vor drei Wochen bereits mitgeteilt, die Beweisaufnahme habe ein vorsätzliches Handeln der Angeklagten nicht mit ausreichender Gewissheit belegt. Das Unbehagen gegenüber Högels Verhalten sei für die Feststellung eines auch nur bedingt vorsätzlichen Verhaltens nicht ausreichend. Dies jedoch wäre Voraussetzung für eine Verurteilung.
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Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, sagte, das Strafrecht sei nicht in der Lage, die Verantwortung von Högels Vorgesetzten aufzuarbeiten. „Auch deshalb müssen die Krankenhäuser und der Gesetzgeber auf Prävention setzen. Es braucht eine Kultur des Hinschauens auf allen Ebenen in der Alten- und Krankenpflege.“ (dpa)