Bremerhaven verbietet Gendern – und rudert dann zurück
Keine Bürger*innen oder auch Bürger:innen mehr: Die Stadtverordnetenversammlung in Bremerhaven hat beschlossen, nicht mehr über Vorlagen und Dokumente zu verhandeln, in denen mit Sonderzeichen gegendert wird. Genderstern und Doppelpunkt seien „rechtschreibwidrig“ – die Koalition aus SPD, CDU und FDP untersagte das Gendern sogar in der Verwaltung. Doch mit der über sie hereinbrechenden Kritik haben die Politiker dann doch nicht gerechnet.
Die Regierungskoalition in Bremerhaven lehnt die inklusiven Formen ab, weil Genderstern und Doppelpunkt zu umständlich seien, so die Begründung. Dabei sollen gerade durch diese Formen alle Menschen sprachlich einbezogen werden: Nichtbinäre, agender (also weder männlich noch weiblich) oder intergeschlechtliche Personen bleiben durch Doppel-Formulierungen wie Bürgerinnen und Bürger nämlich unbeachtet. In einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts von 2017 ist auch juristisch festgehalten worden, dass geschlechtliche Identität über die Klassifizierung von Frau und Mann hinausgeht.
Bremerhavener Koalition: Gendern verboten?
Hauke Hilz, der Vorsitzende der Bremerhavener FDP-Fraktion, bringt in der „taz“ die Barrierefreiheit als Argument gegen Genderstern und Doppelpunkt. Beispielsweise für Menschen mit Autismus, die auf eine klare Sprache angewiesen seien, könnten die Schreibweisen Hindernisse darstellen, heißt es. „Das ist für uns der Hauptgrund.“
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Die Stadt wolle außerdem niemanden ausschließen, sagt Hilz. Vielmehr sei gendersensible Sprache in Bremerhaven nun in der Form geregelt, dass „beide Geschlechter genannt werden oder ein genderneutrales Nomen“. Ziel sei auch, dass Dokumente einfach lesbar sind, so Hilz im Gespräch mit „Radio Bremen“.
Nicht nur Bettina Wilhelm, Landesfrauenbeauftragte für Bremen, die die Regelung als „Rückschritt“ bezeichnet, kritisierte die Entscheidung. Die Bremerhavener Grünen sind ebenfalls „fassungslos über die Borniertheit dieser Entscheidung“, berichtete „Radio Bremen“.
Kritik am Gender-Verbot
Doris Hoch, Fraktionsvorsitzende der Grünen, findet klare Worte: „Damit wird Diskriminierung aufgrund der geschlechtlichen Identität bei uns quasi zur Staatsräson.“ Zudem kritisierte sie die Einmischung der Koalition in die Arbeit der Verwaltung: „Wir werden das auch per Antrag in der Stadtverordnetenversammlung thematisieren. Diesen Beschluss wollen wir für nichtig erklären.“
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Auf Twitter macht auch Christian Erhardt, Chefredakteur von „Zimper Media“, auf den umstrittenen Beschluss aufmerksam: „Vorlagen mit #Genderstern behandelt die #Stadtverordnetenversammlung von #Bremerhaven nicht mehr. Das beschlossen SPD, CDU und FDP. Die Frauenbeauftragte und „Radio Bremen“ sind wütend. Auch der Verwaltung wurde untersagt zu #gendern“.
In den Kommentaren des Posts zeigen sich die meisten freudig über die Entscheidung – sogar der Verein Deutsche Sprache (VDS) schreibt sarkastisch: „Wir sind empöhört! Da hält sich jemand an die Rechtschreibregeln… was erlaube Stadtverordnetenversammlung? *@bockiHB|mitFußaufstampf*“.
Dass es in der Debatte nicht nur um Rechtschreibung und Lesbarkeit, sondern auch um Akzeptanz geht, macht Bremerhavener Grünen-Abgeordnete Kai Wargalla deutlich.
Die sich als „queer“ bezeichnende Wargalla ärgert sich öffentlich über den „politischen Backlash des queerfeindlichen Patriachats“.
Nach scharfer Kritik: Koalition hebt Beschluss wieder auf
Doch mit so zahlreicher, scharfer Kritik hatte die Koalition wohl nicht gerechnet – kleinlaut zogen SPD-, CDU- und FDP-Vorsitzende den Beschluss zurück. Sönke Allers (SPD), Thorsten Raschen (CDU) und Hauke Hilz (FDP) lassen sich von „Nord 24“ schriftlich zitieren: „Die unterschiedlichen Reaktionen auf den Magistratsbeschluss haben uns gezeigt, dass der gewählte Weg nicht der richtige gewesen ist“.
Die Kommunalpolitiker würden nun jedoch einen Vorschlag zu einer verbindlichen gesetzlichen Regelung für die Verwendung gendersensibler Sprache für beiden Stadtgemeinden vom Bremer Senat erwarten.