„Wie im Häuserkampf vorgegangen“: Fallschirmjäger tötet die Liebsten seiner Ex
Als Fallschirmjäger kennt sich der Angeklagte mit Waffen aus. Er weiß, wie ein Häuserkampf abläuft. Seine Erfahrung soll der Soldat für schreckliche Taten genutzt haben.
Schon bei der Planung der Mordserie soll der Soldat wie bei einer militärischen Aktion vorgegangen sein. Primäres Ziel: der neue Partner und die beste Freundin seiner Ehefrau. Sekundäres Ziel: die Eltern des neuen Partners. In der Kaserne habe er seine Waffen geladen, sich mit Molotow-Cocktails und Nebeltopf ausgerüstet. Nachts sei er wie beim Häuserkampf in die Häuser der Opfer eingedrungen. Dann fallen Schüsse. Am Ende sind vier Menschen tot. So schildert es die Staatsanwältin zu Prozessbeginn am Landgericht Verden. Sie wirft dem Deutschen Mord vor – heimtückisch und aus niedrigen Beweggründen.
Angeklagter schweigt zu den Vorwürfen
Mit erhobenem Haupt betritt der Angeklagte die Stadthalle in Verden, die für den Prozess extra zum Gerichtssaal umfunktioniert wurde. Die Haare akkurat gescheitelt, ohne sein Gesicht vor den Kameras zu verstecken. Als die Richterinnen und Richter den Saal betreten, steht er stramm. Die Fragen des Gerichts zu seinen persönlichen Angaben beantwortet er mit einem knappen, aber klar verständlichen „Richtig“. Zu den Vorwürfen gegen ihn verliert er kein Wort.
So trägt am ersten Verhandlungstag nur die Staatsanwältin den Anklagesatz vor, ein Ausschnitt der mehr als 50-seitigen Anklage. Elf Minuten lang schildert sie das mutmaßliche Vorgehen des Fallschirmjägers. Sie berichtet von „ehelichen Differenzen“, weil der Angeklagte gefühlskarg und wegen seiner Arbeit bei der Bundeswehr nicht oft bei seiner Ehefrau und dem vierjährigen Sohn gewesen sei. Für das Scheitern der Ehe habe er Menschen aus dem Umfeld seiner Frau verantwortlich gemacht: ihre beste Freundin, ihren neuen Partner und dessen Eltern. Er habe sich an ihnen rächen und verhindern wollen, dass sie weiter Kontakt zu seinem Sohn haben.
Mord aus Besitzanspruch – Partnerin das eigentliche Opfer
Bei einem sogenannten Stellvertreter-Femizid bestrafe der Täter seine Partnerin, in dem er ihr nahestehende Menschen töte, erklärt Johanna Wiest, Referentin für Häusliche und Sexualisierte Gewalt bei der Frauenrechtsorganisation Terre de Femmes. Die Frau sei das eigentliche Opfer, werde aber am Leben gelassen. „Stellvertreter-Femizide sind eine besonders perfide Form der psychologischen Gewalt gegen die Ex-Partnerin.“ Dabei gebe es meist um vermeintliche Besitzansprüche, die auf einem patriarchalen Weltbild beruhen. „Der Moment der Trennung wird vom Täter als Kontrollverlust erlebt, dem er mit der höchsten Form der Macht- und Kontrollausübung begegnet – der Auslöschung eines oder mehrerer Leben.“
Nach Angaben des Bundeskriminalamts wurden im vergangenen Jahr 155 Frauen von ihrem Partner oder Ex-Partner in Deutschland getötet. Zahlen zu Stellvertreter-Femiziden gibt es nicht, weil keine Daten dazu erhoben werden. Es liegen nur die Erkenntnisse eines Forschungsprojekts vor, das von der Europäischen Union gefördert wurde: Laut dem FEM-UNITED Comparative Report werden bei zwölf Prozent der in Deutschland erfassten Femizide weitere Menschen getötet – etwa Kinder oder neue Partner.
Wie beim Häuserkampf: Soldat soll Opfer im Schlaf überrascht haben
Der ausgebildete Fallschirmjäger der Bundeswehr sei wie bei einer militärischen Aktion vorgegangen, sagte die Staatsanwältin. Er habe aus vier Sektflaschen und Benzin Molotowcocktails gebastelt und sich mit einer halbautomatischen Pistole, einem Selbstladegewehr, Munition und einem Spalthammer bewaffnet. Dann sei er aufgebrochen, um seine Opfer im Schlaf zu überraschen.
Laut Anklage drang der damals 32-Jährige zuerst in ein Einfamilienhaus in Scheeßel ein, wo der neue Partner seiner Frau mit seinem sechsjährigen Sohn und seinen Eltern lebte. Dort soll er die schlafende, 55-jährige Mutter mit zwei gezielten Schüssen in den Hinterkopf umgebracht haben. Von den Geräuschen sei der 30-jährige Sohn aufgewacht, er habe noch versucht zu fliehen. Doch der Angeklagte habe mindestens zehnmal auf ihn geschossen, der Mann starb sofort.
Anschließend sei der Angeklagte zum Haus der besten Freundin seiner Frau gefahren, in die nur wenige Kilometer entfernte Gemeinde Bothel. Nach Angaben der Staatsanwältin öffnete er das Badezimmerfenster mit dem Spalthammer und feuerte blind fünf Schüsse ab. Die 33-Jährige sei in Panik in das Zimmer ihrer dreijährigen Tochter gestürmt. Sie habe das schlafende Mädchen in den Arm genommen und habe noch versucht, den Soldaten von seinen Plänen abzubringen – ohne Erfolg. Mindestens 14 Mal soll er aus kurzer Distanz auf die Mutter und ihr Kind geschossen haben. Beide starben auf dem Kinderbett.
Angeklagter muss mit langer Zeit hinter Gittern rechnen
Nach der Mordserie soll der Angeklagte zu einem See in Rotenburg an der Wümme gefahren sein. Dort habe er einst seine Frau kennengelernt, berichtete die Staatsanwältin. Er habe seine Waffen abgelegt und vier Flaschen Bier getrunken. Später soll er sich vor der Kaserne in Rotenburg gestellt haben.
Schon zu Beginn des Prozesses steht fest: Der Angeklagte muss mit einer langen Haftstrafe rechnen. Der Vorsitzende Richter erteilt noch in der ersten halben Stunde den rechtlichen Hinweis, dass in dem Fall eine besondere Schwere der Schuld festgestellt werden könnte. Und die Staatsanwältin erwägt eine Sicherungsverwahrung, damit wäre der mutmaßliche Täter auch nach dem Absetzen seiner Haftstrafe nicht auf freiem Fuß. Für die Verhandlung sind 35 Tage angesetzt, ein Urteil könnte Ende März fallen.