„Echte Klatsche“: Gericht kassiert Günthers Windkraft-Pläne
Die Windkraft-Planung für den Norden Schleswig-Holsteins ist unwirksam. Klagen von Projektgesellschaften haben vor dem Oberverwaltungsgericht Erfolg. Innenministerin Sütterlin-Waack will ungeregelten Windkraftausbau im Norden verhindern.
Urteil mit Folgen für den Windkraft-Ausbau in Schleswig-Holstein: Das Oberverwaltungsgericht (OVG) hat am Mittwoch die regionale Windplanung für den Norden des Landes gekippt. Der 5. Senat erklärte den Regionalplan für den Planungsraum 1 für unwirksam, wie eine Gerichtssprecherin mitteilte. Das Gebiet umfasst die Kreise Nordfriesland und Schleswig-Flensburg sowie die Stadt Flensburg.
Schleswig-Holsteins Windkraft-Pläne vorerst gekippt
Zur Begründung hieß es, die Festlegung von Vorranggebieten für die Windenergie leide an einem Abwägungsmangel. Erfolg hatte die Normenkontrollklage einer Projektgesellschaft, die im nördlichen Kreis Schleswig-Flensburg ein Windrad errichten wollte.
Der Regionalplan führt die Landschaftsschutzgebiete Wiedingharder- und Gotteskoog sowie Ostenfeld-Schwabstedter Geest mit vorgelagerter Marsch (Kreis Nordfriesland) als Tabugebiete für Windkraft auf. Deren Ausweisung als Bereiche ohne Windräder beruhte laut Gericht jedoch auf Kreisverordnungen, die das OVG bereits im Mai 2020 mit Urteilen für unwirksam erklärt hatte. „Der Ausschluss dieser beiden Gebiete von der Windkraftplanung hätte demnach nur nach einer ergänzenden Abwägung erfolgen können; eine solche war jedoch unterblieben.“
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Der Fehler betreffe den gesamten Planungsraum 1. Dadurch verändere sich das Verhältnis von Positiv- zu Negativflächen insgesamt. Deshalb könne nicht mit ausreichender Sicherheit angenommen werden, dass der Plan mit den übrigen Festsetzungen genauso beschlossen worden wäre.
Mit dieser rechtlichen Würdigung hatte auch eine Bürgerwind-Gesellschaft in einem zeitgleich verhandelten Verfahren Erfolg. Sie will eine Anlage im Gebiet Wiedingharder- und Gotteskoog aufstellen. Mit der Unwirksamkeit des Regionalplans stünden diesem Vorhaben keine Ziele der Raumordnung mehr entgegen, so der Senat. Das Gericht ließ eine Revision gegen die Entscheidungen vom Mittwoch nicht zu. Gegen den Regionalplan für den Norden sind sieben weitere Normenkontrollanträge und eine weitere Klage anhängig.
Sütterlin-Waack: „enormen Druck“ um Windflächen ordnen
Schleswig-Holsteins Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU) will einen ungesteuerten Ausbau der Windkraft im Norden verhindern. Die Situation könne niemanden zufrieden stellen. Die Landesregierung werde im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten darauf reagieren.
„Es gilt, den enormen Druck zur Ausweisung von Windflächen in geordnete Bahnen zu lenken, um den Ausbau mit Akzeptanz und raumverträglich voranzubringen.“ Das Ministerium warte die schriftliche Urteilsbegründung und prüfe dann, ob sie gegen die Entscheidung Rechtsmittel einlegen könne und werde.
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Die Koalition wolle in den kommenden Jahren weitere Flächen für Windräder bereitstellen, sagte Sütterlin-Waack. „Dafür befindet sich die neue Planung für die gesamte Landesfläche bereits in Vorbereitung.“ Der Koalitionsvertrag sehe vor, dass dabei alle Kriterien mit Ausnahme der Abstände zu Wohnhäusern auf den Prüfstand gestellt werden.
Der Landesverband Windenergie sprach von einer frustrierenden Situation. „Sie bringt erneut Rechtsunsicherheit in die Branche“, sagte Geschäftsführer Marcus Hrach. Die Landesregierung müsse schnell für Rechtssicherheit sorgen. Der Windkraftausbau dürfe nicht noch einmal wertvolle Jahre verlieren. „Noch so einen langen Prozess wie nach dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts von 2015 kann und darf es nicht noch einmal geben.“
Wind-Pläne gescheitert: „echte Klatsche“ für Günther-Regierung
Oppositionsführer Thomas Losse-Müller (SPD) sprach von einer „echten Klatsche“ für die Landesregierung. Die unterschiedliche Anwendung von Abwägungskriterien und die politisch motivierten Änderungen an den Planungen seit dem Amtsantritt von Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) hätten sich mit Ansage zum Bumerang entwickelt. „Die politische Aussage hinter dem Urteil ist mehr und schneller Windkraftausbau.“
Anfang Juni will sich das Gericht mit dem Regionalplan 2 für Kiel und Neumünster sowie die Kreise Plön und Rendsburg-Eckernförde befassen. Dagegen wenden sich zwei Klägerinnen. Die Gemeinde Krummbek (Kreis Plön) meint, dass ein Vorranggebiet zu nah an ihr Gemeindegebiet heranreiche und ihre eigene Planungshoheit verletze. Eine private Antragstellerin wendet sich gegen die Aussparung ihrer Gründstücke im Kreis Rendsburg-Eckernförde, die in der Nähe einer Potenzialfläche gelegen sind. Zudem gibt es weitere 43 Normenkontrollanträge und zwei Klagen gegen den Regionalplan für den Süden des Landes.
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Erst Ende 2020 hatte die schwarz-grüne Landesregierung neue Regionalpläne beschlossen und 344 Vorranggebiete für Windenergie mit einer Gesamtfläche von 32.000 Hektar ausgewiesen. Das entspricht zwei Prozent der Landesfläche. Von 3200 Anlagen stehen 2317 innerhalb der Vorranggebiete. Dort ist nicht nur ein Neubau von Anlagen möglich, sondern auch ein langfristiges Repowering, also der Ersatz alter Windmühlen durch leistungsstärkere neue. Die 977 Anlagen außerhalb der Vorranggebiete haben Bestandsschutz, müssen mittelfristig aber abgebaut werden.
2015 hatte das Oberverwaltungsgericht die damaligen Regionalpläne gekippt. Um einen Wildwuchs zu verhindern, verhängte das Land daraufhin ein Moratorium für Neubauten. Jahrelang wurden neue Anlagen nur in Ausnahmefällen genehmigt. Mittlerweile gibt es wieder mehr Genehmigungen. (dpa/mp)