Gefräßige Ziegen werden im Norden zu Naturschützern
Wo weder Maschinen noch Rinder hinkönnen, sind Schafe und Ziegen die Hoffnungsträger im Naturschutz. Damit das Schwansmoor in Süderlügum nicht verbuscht und zum Wald wird, muss Schäfer Tschörtner mit seiner kleinen Herde ran.
Hütehund Odin hat sie Sache voll im Griff. Der vierjährige Harzer Fuchs beobachtet die kleine Herde von Ziegen und Schafen, immer bereit, auf Geheiß von Ken Tschörtner loszurennen und die 40 Tiere zu versammeln. Der 33 Jahre alte Schäfer steht inmitten einer Landschaft knapp südlich der dänischen Grenze, die einmal ein mächtiges Hochmoor war. Das von Wald umrahmte Schwansmoor im nordfriesischen Süderlügum, zwischenzeitlich entwässert und jetzt in Teilen wieder vernässt, bietet einen großen Artenreichtum und gehört deshalb zu den besonders schützenswerten Landschaften in Schleswig-Holstein.
Ziegen und Schafe sollen gegen invasive Pflanzenart helfen
Wenn da nur nicht die aus Amerika stammende Spätblühende Traubenkirsche wäre, die wohl alle Förster im Norden verfluchen. Diese invasive Art macht sich in Wäldern breit, überwuchert Neuanpflanzungen und fühlt sich auch auf der Heidefläche wohl, auf der Tschörtners Herde grast. Abschneiden hilft nichts, der Busch verbreitet sich anschließend nur noch stärker.
Rausreißen ist teuer, der Einsatz von Maschinen oder Galloway-Rindern auf der Moorfläche keine Option. Doch Ziegen lieben die Blätter und Früchte der Traubenkirsche. Sie knicken die Zweige mit ihren Hörnern und Hufen, um an die jungen Triebe zu kommen. Als Folge des Verbisses fangen die Büsche an zu mickern, so dass Heide und manch andere wertvolle Pflanze nicht verdrängt werden.
Naturschutzprojekt ist zunächst auf zwei Jahre angelegt
Organisator des tierischen Landschaftsschutzes sind die Schleswig-Holsteinischen Landesforsten. Sie lassen sich das zunächst auf zwei Jahre angelegte Projekt 40.000 Euro im Jahr im Rahmen der vom Land Schleswig-Holstein finanzierten Gemeinwohlleistungen kosten, wie Udo Harriehausen sagt, der in den Landesforsten abteilungsleitend für Naturschutz zuständig ist. „Man muss die Flächen pflegen, um die Lebensraumtypen zu erhalten.“
Schäfer Tschörtner hat in diesem Sommer lange Arbeitstage. Morgens und am Nachmittag lässt er seine Tiere sich im Gelände ordentlich satt fressen, dazwischen geht es zurück auf eine Weide, die mit einem Elektrozaun gesichert ist. Gefressen werden muss viel, denn der Verbiss bietet wenig Nährstoffe und Energie.
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Ein Nebeneffekt der abgeschlossenen Weide: Die Tiere koten dort und tragen auf diese Weise Nährstoffe aus dem Moor. Denn Moore sind eigentlich nährstoffarme Biotope. Doch über die Luft werden heute große Mengen zum Beispiel von Stickstoff eingetragen, sagt Jennifer Herbert vom Landesamt für Umwelt.
Rangordnung zwischen Schäfer und Hütehund muss klar sein
Leben kann der Schäfer, der bald seinen Meister machen möchte, von dem Projekt mit seiner ersten eigenen Herde nicht. Zwischendurch arbeitet er noch bei einer Deichschäferei. Bei seinen Tieren legt der 33-Jährige großen Wert auf Robustheit. „Das ist eine Mischung mit allem drin“, sagt er. Es gehe nicht ums Aussehen oder die Rasse. Daher züchte er die Tiere zurück. Seine elf Schafe sind eine alte schwedische Rasse. Das Guteschaf sei den Schnucken ähnlich, nur größer, sagt Tschörtner.
Seine Aufgabe macht dem hoch gewachsenen, bärtigen Schäfer sichtlich Freude. „Ich bin kein Menschtyp“, räumt er ein. „Ich liebe meine Tiere und sie lieben mich.“ Schafe und Ziegen seien sehr gütig. Für die Strenge ist Odin zuständig. Der Hütehund verschafft sich auch schon mal Respekt, indem er einem Schaf oder einer Ziege in den Schenkel zwickt. Übertreiben darf Odin es aber nicht – dann ruft Tschörtner ihn mit einem kurzen scharfen Befehl zurück. Die Rangordnung muss immer klar, der Umgang immer respektvoll sein.
Försterin begrüßt das Naturschutzprojekt
Försterin Carolin Meinhardt von der Försterei Süderlügum schaut immer mal wieder bei der Herde vorbei, auch auf ein paar Worte mit Tschörtner. Das Projektgebiet gehört zur ihrem Revier. „Meine Hauptaufgabe ist der Waldumbau“, sagt sie, also der langsame Wandel des Waldes zu einer stabilen Mischung aus Laub- und Nadelbäumen.
Da sie aber eines von zwei Jugendwaldheimen in Schleswig-Holstein betreut, weiß sie die Anwesenheit des Schäfers doppelt zu schätzen: Die Schulkinder können in ihrem Revier neben dem Wald auch die Nutztiere und ein besonderes Naturschutzprojekt kennen lernen.
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Nur durch eine kleines Waldstück vom Moor getrennt, bieten die Süderlügumer Binnendünen ein seltenes und besonders wertvolles Biotop. Es gilt zu verhindern, dass Büsche und Bäume die offenen Flächen erobern. Auch dort fressen Tschörtners Schafe und Ziegen im Dienste des Naturschutzes. Nach den ersten zwei Jahren wollen das Landesamt für Umwelt und die Landesforsten entscheiden, ob die tierischen Helfer weiter im Einsatz bleiben. Tschörtner hofft darauf. Er mag die Arbeit in Süderlügum: „Ich fühle mich sehr willkommen“, sagt der Schäfer und ruft seine Herde zum kurzen Rückweg in die umzäunte Weide zusammen.