Prozess gegen KZ-Sekretärin: Überlebende schildert Todesmärsche
Der Prozess gegen eine ehemalige Chef-Sekretärin des Konzentrationslagers Stutthof wurde am Dienstag fortgesetzt. Vor dem Landgericht Itzehoe beschrieb die Überlebende Asia Shindelman in einer Videoschalte ihren grausamen Leidensweg. Nachdem die Deutschen den Krieg im Januar 1945 schon verloren wussten, trieben sie die Lagerinsassen auf Todesmärschen durch Deutschland. „Die Leichen lagen auf und neben den verschneiten Straßen“, berichtete Shindelman. Man habe Schüsse gehört. „Gnadenschüsse, für jene, die nicht mehr konnten und am Wegesrand zusammengebrochen sind“.
Irgendwann hätten die Deutschen sie und die Frauen, die mit ihr unterwegs waren, in eine Scheune getrieben. Hätten sie dort eingesperrt. Immer mehr Menschen seien gestorben, die Leichen in einen Schneehaufen hinter der Scheune geworfen worden. Drei Wochen lebten sie dort, „wenn man das Leben nennen kann“, berichtet die heute 93-jährige Shindelman. Eines Tages entfernten die Frauen die Bretter der schon baufälligen Scheune und krochen ins Freie. Dort sahen sie all die Leichen ihrer ehemaligen Mitgefangenen auf einem Haufen. Auf einem anderen Haufen ihre deutschen Bewacher, ebenfalls tot. Die vorrückenden Russen hatten sie getötet – aber in der Nacht die Gefangenen in der Scheune nicht befreit.
KZ-Überlebende: Ein Russe schenkte ihr einen goldenen Ring
Erst nach mehreren Tagen kamen wieder Russen. Sie konnten aber nicht alle Frauen mitnehmen. Die Überlebenden waren in einem fürchterlichen Zustand, krank und entkräftet. Die Russen hätten nur angeboten, das damals junge Mädchen, Asia Shindelman mitzunehmen. Sie hätte abgelehnt, wollte bei ihrer Mutter bleiben, die krank dahinsiechte. Einer der Russen gab ihr einen Goldring. „Du bist so alt wie meine Tochter“, sagte er und schenkte Shindelman den Ring. Sie lief ins nächste Dorf und rief einen Pferdekutscher. Im Austausch für den Ring kam er einige Frauen aus der Scheune abholen. Nicht alle hätten auf den Schlitten gepasst. Andere seien später von einem anderen Trupp Russen gerettet worden.
Stutthof-Prozess: Die Angeklagte Irmgard F. lauscht regungslos
Die Angeklagte Irmgard F. lauschte der zweistündigen Schilderung fast regungslos. Die 96 Jahre alte Angeklagte hat von Juni 1943 bis April 1945 im Konzentrationslagers Stutthof bei Danzig als Sekretärin gearbeitet. Von dort waren die Frauen um Asia Shindelman auf ihren Todesmarsch geschickt worden. Irmgard F. soll den Verantwortlichen des Lagers bei der systematischen Tötung von mehr als 11.000 Lagerinsassen geholfen haben. Hier lernte sie offenbar auch ihren späteren Mann kennen, den SS-Oberscharführer Heinz F. Der hieß einst Furchtsam. Aber er hatte den Namen abgelegt. Das passe nicht zu einem SS-Mann, so die Begründung.
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Irmgard F. zog nach dem Krieg nach Schleswig-Holstein und arbeitete weiter als Schreibkraft. Inzwischen lebt sie als Rentnerin in Quickborn im Kreis Pinneberg. 75 Jahre blieb sie unbehelligt. Nun wird ihr in Itzehoe der Prozess gemacht. Sie soll wesentlich dazu beigetragen haben, dass im Konzentratiosnlager Stutthof die Mordmaschine reibungslos funktionierte. Eine Mordmaschine, der Asia Shindelman nur knapp entkommen ist. Vor Gericht sagte sie, es sei das erste Mal, dass eine deutsche Behörde Kontakt zu ihr aufgenommen habe. Nach 75 Jahren.