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Über 400 Stunden unbezahlt: Rettungssanitäter am Limit: „Sie denken, wir tun nichts“

Aurich/Hamburg –

Die Beschäftigten im kommunalen Rettungsdienst sind nach Ansicht des Auricher Notfallsanitäters Timo Niebuhr bei den aktuellen Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst nahezu vergessen worden. Mit einer Petition will er nun Druck auf die Arbeitgeber ausüben.

Die Beschäftigten der kommunalen Rettungsdienste sind nach Ansicht des Notfallsanitäters Timo Niebuhr bei dem Tarifabschluss für den öffentlichen Dienst nicht ausreichend berücksichtigt worden. Dabei sei die Arbeitsbelastung in den vergangenen Jahren gestiegen, sagt Niebuhr.

Sanitäter unterbezahlt: Betroffener startet Petition

Zusammen mit anderen Beschäftigten hat der Auricher nun eine Petition gestartet, um eine Nachverhandlung zu erreichen. Sie fordern von der Vereinigung kommunaler Arbeitgeberverbände (VKA) eine Reduzierung der Arbeitszeit oder aber mindestens eine Erhöhung der Wechselschichtzulagen.

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Der VKA betont dagegen, dass die Beschäftigten im Rettungsdienst auch von der allgemeinen Entgelterhöhung und Corona-Sonderzahlungen profitieren. Eine Nachverhandlung schließt die Vereinigung aus.

Von dem Tarifabschluss im öffentlichen Dienst profitieren viele Beschäftigte im Gesundheitswesen. Warum tut das der Rettungsdienst aus Ihrer Sicht nicht?

Wir sind mit nur einer Forderung in die Tarifverhandlungen gegangen, nämlich der Reduzierung der Arbeitszeit von 48 auf 45 Stunden. Das haben die Arbeitgeber vehement abgelehnt und auch kein akzeptables Gegenangebot gemacht. Es gab sogar die Forderung, im Rettungsdienst flächendeckend wieder in 24-Stunden-Schichten zu arbeiten. Das steht völlig im Gegensatz zu dem, was wir wollen.

Sie schreiben in Ihrer Petition, Sie arbeiten insgesamt über 400 Stunden pro Jahr ohne Bezahlung. Wie kommen Sie auf diese Zahl?

Der Tarifvertrag sieht eine Wochenarbeitszeit von 39 Stunden vor. Für den Rettungsdienst gilt aber eine Ausnahmeregelung. Da beträgt sie 48 Stunden. Unterm Strich bekommen wir 30 Stunden als Vollarbeitszeit vergütet, 18 weitere kommen als Bereitschaftszeit, also das Warten auf der Wache, oben drauf. Als der Vertrag einst so aufgesetzt wurde, war das sicher richtig.

Rettungssanitäter: „Mehr als 400 Stunden im Jahr unvergütet“

Heute ist die Arbeitsbelastung aber gestiegen und viel Arbeit wird auch in der Bereitschaftszeit geleistet. Diese Zeit wird aber nur zur Hälfte vergütet, die übrigen neun Stunden leisten wir unbezahlte Arbeit – das sind mehr als 400 Stunden pro Jahr. Der VKA geht davon aus, dass wir zu einem großen Teil unserer Arbeitszeit auf der Rettungswache sitzen, auf Einsätze warten und nichts tun. Das ist nicht so.

Wie genau ist denn die Arbeitsbelastung gestiegen?

Das lässt sich pauschal nicht sagen. Der kommunale Rettungsdienst hat Wachen in Städten und auf dem Land. Im ländlichen Bereich ist die Auslastung natürlich geringer als im städtischen Bereich. Auf dem Land gibt es Kollegen, die sagen, vier bis fünf Einsätze in 24 Stunden sind gut zu schaffen. Ich arbeite auf einer Wache, die städtisch gelegen ist. Wir haben 12-Stunden-Dienste. In diesen Schichten kann es durchaus sein, dass man 9 Stunden oder mehr mit dem Rettungswagen unterwegs ist oder auf der Wache arbeitet.

Was hat sich denn in den vergangenen Jahren verändert – warum ist die Arbeitsbelastung zuletzt gestiegen?

Früher war es oft so, wenn der Melder ansprang, sind wir zu einem Notfall gefahren. Da hatte der Patient akute Atemnot oder eine schwere Verletzung. Inzwischen ist die Hemmschwelle, den Notruf zu wählen, arg gesunken.

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Wir werden häufig zu Fällen alarmiert, mit denen die Patienten eigentlich zum Hausarzt gehen müssten – oder aber die Patienten haben kein Auto, wollen lange Wartezeiten vermeiden und rufen deshalb eher uns. Dazu kommt: Jetzt in der Corona-Pandemie haben wir einen deutlich erhöhten Hygieneaufwand.

Wäre eine Lösung nicht auch, dass die Kommunen mehr Personal einstellen könnten?

Wenn Stunden reduziert werden, braucht es mehr Personal. Wir verstehen auch nicht, dass sich die VKA dagegen wehrt, denn das Personal im Rettungsdienst ist refinanziert durch die Kostenträger, nämlich die Krankenkassen. Eine Reduzierung der Arbeitszeit würde die Kommunen also nichts kosten. Dass das möglich ist, zeigen die Hilfsorganisationen. Beispielsweise sind 45 Stunden Arbeitszeit im Tarifvertrag des Deutschen Roten Kreuzes bereits verankert.

Die Petition hat bislang 38.000 Unterzeichner. Sie ist für den VKA aber nicht bindend – welche Hoffnung verbinden Sie dennoch damit?

Wir wollen VKA-Präsident Mädge zeigen, dass er mit seiner Meinung, im Rettungsdienst könne man 48 Stunden pro Woche arbeiten, recht alleine dasteht. Die Hilfsorganisationen haben die Arbeitszeit teilweise auf 40 Stunden reduziert, und über 38.000 Menschen haben in kürzester Zeit ebenfalls gezeigt, dass sie die Haltung der VKA nicht nachvollziehen können. Durch die zunehmende mediale und öffentliche Aufmerksamkeit hoffen wir, dass Herr Mädge seine Entscheidung, uns im Regen stehen zu lassen, revidiert. (dpa/lni) 

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