Wie einst die Walfänger: Rentner im Norden fertigt maritime Kunstwerke an
Auf Seereisen ritzten Walfänger früher Motive in die Zähne der erlegten Tiere. Die so entstandenen Scrimshaws sind heute wertvolle Sammlerstücke. Gert Rosenbohm aus Brake beherrscht die Gravurtechnik.
Schon als Kind hat sich Gert Rosenbohm (77) aus Brake im Landkreis Wesermarsch für eine ungewöhnliche Handwerkskunst interessiert: Scrimmen. So nennt sich eine Gravurtechnik, mit der bereits im 18. Jahrhundert Seeleute zum Zeitvertreib während langer Walfangreisen Motive in die Knochen und Zähne der erlegten Säugetiere ritzten. Dafür nutzten sie Nadeln und scharfe Klingen. Die Kerben wurden mit einem Ruß-Öl-Gemisch geschwärzt, um sie sichtbar zu machen.
Scrimshaws nennen sich die maritimen Kunstwerke. Die historischen Stücke sind noch heute bei Sammlern hoch begehrt. Ein antikes Meisterwerk wird von einem US-amerikanischen Antiquitätenhändler derzeit für knapp 300.000 Dollar angeboten.
Mit neun Jahren erstes Kunstwerk erstellt
Gert Rosenbohm gehört zu den wenigen Menschen, die die Gravurtechnik heute noch beherrschen. Er verzierte mit neun Jahren seinen ersten Walzahn. Im Buch „Moby Dick“ hatte er gelesen, wie das geht, und in einer Ausstellung in seiner Heimatstadt hatte er Exponate gesehen. Mit Mitte 30 vertiefte er sein Hobby: „Das hat mich nicht mehr losgelassen.“ Zuletzt erhielt er einen ganz besonderen Auftrag: Für den Film „Amrum“ von Regisseur Fatih Akin, der im Herbst 2025 in die Kinos kommt, bearbeitete er zwei Messergriffe aus Pottwalzähnen. Es musste schnell gehen: „Ich habe dafür Nachtschichten eingelegt“, berichtet Rosenbohm.
Seit 1986 gilt ein weltweites Walfangverbot, auch der Handel mit den Produkten ist verboten. „Nur historische Kunstobjekte, die nachweislich früher entstanden sind, dürfen verkauft werden“, sagt Annika Opitz vom Deutschen Schifffahrtsmuseum in Bremerhaven. Nach Rosenbohms Erfahrungen sind auch noch zahlreiche unverzierte Zähne und Knochen im Umlauf. „Es liegen viele in Kommoden und auf Schränken, vor allem hier in der Gegend“, sagte er.
Rosenbohm hat die Zeiten des kommerziellen Walfangs selbst miterlebt. Als er klein war, kamen Schiffe in den Braker Hafen, um Walöl für die örtliche Raffinerie zu liefern. „Das war für uns Jungs immer ein Erlebnis. Die Seeleute gingen teilweise mit ganzen Walrippen über der Schulter von Bord“, erinnert er sich. Die seien entweder als Souvenir mit nach Hause genommen oder in der nächsten Kneipe gegen Alkohol getauscht worden.
Scrimshaws sind Teil der Schifffahrtsgeschichte
Der Walfang war im 18. und 19. Jahrhundert ein einträgliches Geschäft. Vor allem das nicht rußende Öl des Pottwals war gefragt, es diente als Brennöl für Lampen. Auch wurde es für die Herstellung von hochwertigen Schmierölen verwendet. Für die Knochen und Zähne gab es dagegen kaum kommerzielle Verwendung. „Walöl der großen Furchenwale war bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts einer der Hauptbestandteile von Margarine“, sagt Annika Opitz. Das Schifffahrtsmuseum hat einen Ausstellungsbereich dem historischen Walfang gewidmet. Auch Scrimshaws sind dort zu sehen. „Sie sind Teil der Schifffahrtsgeschichte und der Walfanghistorie“, betont sie.
Zahlreiche Fälschungen im Umlauf
Die Technik des Gravierens von Zähnen und Knochen wurde bereits von den Inuit praktiziert, bevor sie durch die Scrimshaws nordamerikanischer Walfänger populär wurde. Nicht zuletzt US-Präsident John F. Kennedy verlieh als Sammler der Kunst weitere Bekanntheit. Die Nachfrage war irgendwann so groß, dass auch viele Fälschungen aus Kunststoff angeboten wurden, sagt Annika Opitz. „Es kursieren viele Repliken von Scrimshaws in diversen Privathaushalten“, weiß auch Rosenbohm. Sein Wissen nutzt der ehemalige Berufsschullehrer, um für Besitzer echte von unechten Stücken zu unterscheiden.
Erstes Werk auf Flohmarkt verkauft
Er selbst fiel schon auf eine Fälschung rein. Seinen ersten Zahn als Kind hatte er noch von seinem Onkel bekommen, der ihn von einem Seemann hatte. Den Zweiten kaufte Rosenbohm in einem Antikgeschäft – ein Plastikzahn, wie sich herausstellte. „Das hat mich so geärgert, dass ich mich sehr intensiv in das Thema Scrimshaw eingearbeitet habe.“ Zeitweise nutzte er auch Rinderknochen, Eckzähne vom Warzenschwein oder fossiles Mammutelfenbein für seine Handwerkskunst. Seine Motive findet er etwa in alten maritimen Skizzenbüchern.
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Sein erstes Werk, das er als Kind gefertigt hat, besitzt er nicht mehr. „In einem Anfall von jugendlichem Wahnsinn habe ich es vor vielen Jahren auf dem Flohmarkt verkauft“, erzählt Rosenbohm. Er hofft darauf, dass es irgendwann wieder zu ihm gelangt. Rosenbohm ist zuversichtlich: „Ich würde es sofort wiedererkennen.“ (dpa)