• Fabio de Masi sitzt seit 2017 für die Linke im Bundestag, will aber im Herbst aufhören.
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Abrechnung zum Abschied: Hamburger Politiker: „Ich wünsche der Linken mehr Demut“

Cum-Ex, Panama Papers, Warburg-Skandal, die Macht von Facebook & Co.: Der Hamburger Bundestagsabgeordnete Fabio de Masi ist der Mann für komplizierte Themen – und als solcher über Parteigrenzen hinweg anerkannt. Jetzt verlässt er den Bundestag, tritt nicht mehr an. In seinem Abschiedsschreiben rechnet er auch mit einer linken Politik ab, die „die kleinen Leute“ nicht mehr im Blick hat, die heikle Themen tabuisiert, eine elitäre Sprache spricht und einfache Bürger mit erhobenem Zeigefinger drangsaliert. Die MOPO veröffentlicht in Absprache mit de Masi den Text in Auszügen als Standpunkt.

Viele Menschen kämpfen in der Corona-Krise um ihre Existenz. Ich habe immer versucht, für jene Menschen Politik zu machen, die versuchen, ihre kleinen Träume zu verwirklichen und dabei anständig zu bleiben.

Fabio de Masi dankt Menschen in Hamburg-St. Pauli

Ich bin insbesondere den Menschen in Hamburg und in meinem Viertel in St. Pauli dankbar. Es war eine Ehre, ihnen im Parlament zu dienen. Ihr beweist jeden Tag in diesen schweren Zeiten großen Zusammenhalt, und ich bin stolz auf Euch!

Es war nicht selbstverständlich, dass ich einmal dem Deutschen Bundestag angehören werde. Ich bin der Sohn einer alleinerziehenden Volkshochschullehrerin. Mein Vater arbeitete zeitweilig im Lager bei Wertkauf.

Hamburger Politiker: „Müssen lernen, respektvoll zu streiten“ 

Meine italienischen Großeltern besuchten nur wenige Jahre die Schule. Mein Großvater kämpfte als Partisane im Piemont für die Befreiung Italiens und musste sich dabei in dunklen Erdlöchern verstecken. Meine Großmutter trällerte ein Lied, wenn die Luft rein war, und schmuggelte geheime Botschaften in einer Salami auf dem Motorrad. Mein Großvater hätte meinem deutschen Großvater im Krieg gegenüberstehen können. Er wäre unfassbar stolz, dass ich einmal dem deutschen Parlament angehörte. (…)

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Ich habe den politischen Meinungsstreit – gerade mit Konservativen und Liberalen – immer als eine Bereicherung empfunden. Denn Widerspruch schult die eigenen Argumente. Wir müssen lernen, respektvoll miteinander zu streiten – so wie in jedem Dorf, in jeder Familie, in jedem Sportverein und in jedem Freundeskreis.

Forderung von Fabio de Masi: Politik nicht nur über Haltung definieren

Es gibt in verschiedenen politischen Spektren und vor allem in den sozialen Medien die Tendenz, Politik nur noch über Moral und Haltungen zu debattieren. Ich halte dies für einen Rückschritt. Werte und Moral sind das Fundament politischer Überzeugungen. Wer jedoch meint, dass alleine die „richtige Haltung“ über „richtig oder falsch“ entscheidet, versucht in Wahrheit, den Streit mit rationalen Argumenten zu verhindern.

Die US-Demokratin Alexandria Ocasio-Cortez.

Die US-Demokratin Alexandria Ocasio-Cortez.

Foto:

imago images/ZUMA Press

Eine solche Debattenkultur hat nichts mit Aufklärung zu tun, sondern ist Ausdruck eines elitären Wahrheitsanspruchs, wie ihn die Kirche im Mittelalter bediente. Vor allem verstärkt dies aber Spaltungen in der Gesellschaft, wovon rechte Demagogen weltweit profitieren. Dies hilft Kräften wie der AfD, sich als Anwältin der kleinen Leute aufzuspielen, obwohl ihnen die Schweizer Franken zu den Ohren herauskommen.

Fabio de Masi: „Maulheldentum“ ersetzt keine praktischen Antworten 

Die Kunst der Politik besteht darin, auch an die Lebensrealität und die Sprache jener Menschen anzuknüpfen, die um die Kontrolle über ihr Leben fürchten. Die politische Linke darf das menschliche Grundbedürfnis nach Sicherheit – in einem umfassenden Sinne – nicht vernachlässigen. Dabei sollte man weder Ressentiments schüren noch so sprechen, dass normale Menschen einen Duden brauchen.

Aber auch „Maulheldentum“ ersetzt keine praktischen Antworten auf konkrete Probleme. Es werden die Parteien gewählt, denen man zutraut, Existenzen in der Corona-Krise zu sichern, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen und zu verhindern, dass Kinder aus ärmeren Stadtteilen ihr Recht auf Bildung einbüßen!

De Masi fordert: mehr Kapitalismuskritik, weniger Zeigefinger

Parteien in der Tradition der Arbeiterbewegung waren immer lebensnah. Sie kannten die Lebenswirklichkeit der Menschen, die von ihrer Hände Arbeit lebten. Sie haben Grundwerte wie Solidarität durch Verankerung in der Lebenswelt der Beschäftigten verteidigt. Die Debatten der Meinungsführer in den akademischen Milieus, die Codes der digitalen Empörung und Hashtags, die häufig nur wenige Stunden überdauern und nichts kosten, sind dafür kein Ersatz. 

Bernie Sanders – für Fabio de Masi ein Vorbild.

Bernie Sanders – für Fabio de Masi ein Vorbild.

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imago images/ZUMA Wire

Das Leben ist voller Widersprüche: Wir müssen mehr Kapitalismuskritik und weniger erhobenen Zeigefinger wagen. Ein Akademiker mit hohem ökologischen Bewusstsein und hohem Einkommen, der öfters eine Fernreise unternimmt, verfügt über einen höheren ökologischen Fußabdruck als eine „Umweltsau“, die sich keinen Urlaub leisten kann. Wer sich die Miete in den Innenstädten nicht mehr leisten kann, muss häufiger mit dem Auto zur Arbeit pendeln, wenn zu wenige Busse und Bahnen auf dem Land fahren.

Fabio de Masi verabschiedet sich als Bundestagsabgeordneter

Die humanitäre Katastrophe im Mittelmeer ist eine Schande. Aber die Zerstörung der Lebensgrundlagen von Millionen Menschen durch Krieg, unfaire Handelspolitik und Klimawandel wird auch nicht durch die Abschaffung von Grenzen beendet. Es braucht immer beides: Perspektiven in Herkunftsländern und starke Kommunen, die Geflüchteten Zukunft jenseits von Massenunterkünften im Industriegebiet bieten können.(…)

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Millionen Frauen im Niedriglohnsektor brauchen Schutz vor Ausbeutung und müssen sich täglich gegen Respektlosigkeiten und Übergriffe von Männern wehren. Auch viele dieser Frauen sind selbstbewusst, aber nicht immer geübt in geschlechtsneutraler Sprache.

De Masi: Sanders und Ocasio-Cortez  Vorbilder für politische Linke

Bernie Sanders ist ein alter weißer Mann. Aber er hat sich ein Leben lang für anständige Löhne und eine Krankenversicherung für Millionen von Arbeiterinnen und Arbeitern in McJobs engagiert, die überwiegend von Latinos und Afroamerikanern verrichtet werden.

Identität ist wichtig im Leben. Sie darf aber nicht dazu führen, dass nur noch Unterschiede statt Gemeinsamkeiten zwischen Menschen betont werden und sich nur noch „woke“ Akademiker in Innenstädten angesprochen fühlen. Eine Politik, die nur noch an das Ego und die individuelle Betroffenheit, aber nicht mehr an die Gemeinschaft appelliert, ist auch Donald Trump nicht fremd.

Fabio de Masi: Linke darf nicht weltfremd wirken

Viele Menschen teilen unsere Werte. Aber wir gewinnen nichts, wenn wir weltfremd wirken oder Stress in der Gesellschaft tabuisieren, weil wir Angst haben, auf konkrete Probleme auch konkrete Antworten liefern zu müssen. Dies schließt übrigens „linken Populismus“ überhaupt nicht aus. Wir müssen populärer werden – aber mit Hand und Fuß und den richtigen Schwerpunkten.

Die Corona-Krise ist eine enorme Chance für die politische Linke, auf Angriff zu spielen und Staats- und Marktversagen im Gesundheitssystem sowie bei der kritischen Infrastruktur zu thematisieren. Die wachsende Ungleichheit, die Macht der neuen Daten- und Techkonzerne, die mächtiger sind als die größten Banken und Öl-Tycoons, die extremen Anpassungskosten und wiederkehrenden Schocks durch den Klimawandel, die Aufrüstung, der Krieg und der Terror in den internationalen Beziehungen – all dies macht linke Antworten nötiger denn je. Bernie Sanders und Alexandria Ocasio-Cortez haben in den USA vorgemacht, wie man dies populär und erfolgreich macht.

De Masi fordert von der Linken mehr Demut

Ich wünsche der Linken, dass sie sich ein Stück neu erfindet, und linke Politik wieder stärker mit dem Einsatz für die Interessen der sogenannten „einfachen Leute“ in Verbindung gebracht wird. Ich wünsche meiner Partei Demut gegenüber den Wählerinnen und Wählern, die wir verloren haben. Ich wünsche unseren Abgeordneten die Fähigkeit, sich auch selbst kritisch zu hinterfragen, welchen Beitrag zur Stärkung linker Politik man in der Öffentlichkeit noch leistet.

Denn unser Job ist ein Privileg, das man sich jeden Tag aufs Neue verdienen muss.

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