Bundesverfassungsgericht urteilt: Deutschland macht zu wenig in Sachen Klimaschutz
Karlsruhe –
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist eindeutig: Die Politik muss beim Klimaschutz nachbessern, um die Freiheitsrechte künftiger Generationen zu schützen. Für dieses Ziel greife das Bundes-Klimaschutzgesetz zu kurz, so das Gericht. Mehrere Klimaschützer hatten Verfassungsbeschwerde eingereicht: Darunter auch vier Jugendliche aus dem Norden.
Für Sophie, Hannes, Jakob und Paul Backsen von der Nordseeinsel Pellworm war es ein erfolgreicher Tag. Die vier 16- bis 22-Jährigen hatten geklagt, weil sie ihre Grundrechte verletzt sehen durch eine Politik, die nicht genug für den Klimaschutz tut. Anders als ihre Eltern, die gemeinsam mit zwei anderen deutschen Familien – unter anderem der Bio-Bauern-Familie Blohm aus dem Alten Land – und der Organisation Greenpeace vor zwei Jahren mit einer ähnlichen Klage vor dem Verwaltungsgericht in Berlin gescheitert waren, hatten die zwei Jugendlichen Erfolg.
Die Karlsruher Richter verpflichteten den Gesetzgeber nach dem Urteil am Donnerstag, bis Ende kommenden Jahres die Reduktionsziele für Treibhausgasemissionen für die Zeit nach 2030 näher zu regeln und erklärten, dass die teils noch sehr jungen Beschwerdeführer durch Regelungen in dem Gesetz in ihren Freiheitsrechten verletzt seien. „Die Vorschriften verschieben hohe Emissionsminderungslasten unumkehrbar auf Zeiträume nach 2030.“ Wenn das CO2-Budget schon bis zum Jahr 2030 umfangreich verbraucht werde, verschärfe dies das Risiko „schwerwiegender Freiheitseinbußen“, weil die Zeitspanne für technische und soziale Entwicklungen knapper werde.
„Dringendere und kurzfristigere Maßnahmen“ zum Erreichen des 1,5-Grad-Ziels
Einen Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur wie geplant auf deutlich unter 2 Grad und möglichst auf 1,5 Grad zu begrenzen, sei dann nur mit immer dringenderen und kurzfristigeren Maßnahmen machbar.
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„Von diesen künftigen Emissionsminderungspflichten ist praktisch jegliche Freiheit potenziell betroffen, weil noch nahezu alle Bereiche menschlichen Lebens mit der Emission von Treibhausgasen verbunden und damit nach 2030 von drastischen Einschränkungen bedroht sind“, heißt es in der Erklärung des obersten deutschen Gerichts. Zur Wahrung grundrechtlich gesicherter Freiheit hätte der Gesetzgeber Vorkehrungen treffen müssen, „um diese hohen Lasten abzumildern“.
Gravierende Freiheitseinbußen sind zum Schutz des Klimas „verhältnismäßig“
In Artikel 20a des Grundgesetzes heißt es: „Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.“ – Hierauf bezieht sich das Gericht. Demnach könnten künftig selbst gravierende Freiheitseinbußen zum Schutz des Klimas verhältnismäßig und verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein.
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Mit den natürlichen Lebensgrundlagen müsse sorgsam umgegangen werden, mahnten die Richter. Und sie müssten der Nachwelt in einem Zustand hinterlassen werden, „dass nachfolgende Generationen diese nicht nur um den Preis radikaler eigener Enthaltsamkeit weiter bewahren könnten“. Knapp ein Dutzend Klimaaktivisten von Fridays for Future demonstrierten am Donnerstagmorgen vor dem Gericht. Sie hatten Plakate dabei, auf denen unter anderem zu lesen war: „Hört auf die Wissenschaft! Klimaschutz jetzt!“
Urteil in Sachen Klimaschutz: Das fordert das Bundesverfassungsgericht von der Politik
Bundestag und Bundesrat hatten Ende 2019 dem Klimapaket der Bundesregierung zugestimmt, nachdem Bund und Länder noch Kompromisse ausgehandelt hatten. Wesentlicher Punkt ist das Klimaschutzgesetz. Es legt für einzelne Bereiche wie Verkehr, Landwirtschaft oder Gebäude fest, wie viel Treibhausgase sie in welchem Jahr ausstoßen dürfen.
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Das Verfassungsgericht fordert frühzeitig transparente Maßgaben für die weitere Ausgestaltung der Treibhausgasreduktion. Damit verbinden die Richter Entwicklungsdruck und Planungssicherheit. Verfassungsrechtlich unerlässlich sei dafür zum einen, dass weitere Reduktionsmaßgaben rechtzeitig über das Jahr 2030 hinaus und zugleich hinreichend weit in die Zukunft hinein festgelegt werden. Zum anderen müssten zwecks konkreter Orientierung weitere Jahresemissionsmengen und Reduktionsmaßgaben differenziert festgelegt werden.
Umweltschutzverbände: „Bahnbrechendes Urteil“
Umweltverbände bezeichneten das Klimaschutz-Urteil des Bundesverfassungsgerichts als bahnbrechend. Luisa Neubauer von Fridays for Future sagte am Donnerstag: „Es ist ein unfassbar großer Tag für viele“. Klimaschutz sei ein Grundrecht.
Neubauer gehörte zu den Klägerinnen. Felix Ekardt als rechtlicher Vertreter sagte, dass das Gericht der Bundesregierung eine schallende Ohrfeige verpasst habe. Der Rechtsanwalt Remo Klinger sprach von einem Meilenstein. Die Klimaziele bis 2030 müssten deutlich verschärft werden.
Sophie Backsen aus Pellworm sagte: „Wir sind superglücklich und erleichtert.“ Wirksamer Klimaschutz müsse nun umgesetzt werden und nicht erst in zehn Jahren, wenn es zu spät sei. (prei/dpa)