• Boris Johnson beim Besuch eines Labors, das PCR-Tests auf das Coronavirus verarbeitet.
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Der Profiteur: Wie Boris Johnson das Impfdesaster in der EU für sich ausnutzen kann

London –

Der langsame Impffortschritt in der EU und der Streit der Kommission mit Astrazeneca sind innenpolitisch ein Glücksfall für den britischen Premierminister Boris Johnson. Der hatte in der Corona-Pandemie bisher eine miserable Figur abgegeben, doch nun könnte sich das Blatt wenden.

Mit gesenktem Kopf war Johnson in der vergangenen Woche auf den Titelblättern mehrerer Zeitungen in Großbritannien zu sehen gewesen. Das Land hatte offiziell die Marke von 100.000 Toten in der Corona-Pandemie überschritten, mehr als jedes andere in Europa. Die Regierung und allen voran der Premierminister mussten sich schwere Vorwürfe gefallen lassen.

Großbritannien impft schneller als EU-Länder

Doch nun könnte sich das Blatt für den konservativen Politiker wenden. Denn mit seiner Impfkampagne ist Großbritannien beeindruckend weit vorne. Vor allem weit vor der Europäischen Union. Im vergangenen Jahr hatte die Regierung in London noch Kritik einstecken müssen, weil sie nicht am gemeinsamen Beschaffungsprogramm der EU teilnehmen wollte. Inzwischen wird sie daheim dafür geradezu gefeiert.

Boris Johnson, Premierminister von Großbritannien, gibt in der Downing Street eine Pressekonferenz zur Corona-Pandemie

„Bleiben Sie zuhause, schützen Sie das Gesundheitssystem, retten Sie Leben“, fordert Premier Boris Johnson von seinen Landsleuten. Bisher verpuffte dieser Appell oft ungehört.

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Beinahe acht Millionen Menschen wurden im Vereinigten Königreich bereits mit einer ersten Dosis geimpft. Zum Vergleich: In Deutschland sind es gerade einmal 1,8 Millionen und in anderen Mitgliedsstaaten sieht es kaum besser aus. Das ist Wasser auf die Mühlen von Johnson, der wie kein anderer den EU-Austritt seines Landes betrieben hatte und darauf brennt zu beweisen, dass es sich gelohnt hat.

Pleiten, Pech und Pannen beim Thema Brexit

Beim Thema Brexit lief es für Johnson nicht gerade rund in den vergangenen Wochen. Berichte über Schwierigkeiten beim Handel mit dem Kontinent, vor allem für die Fischer, deren Interessen sich der Premier auf die Fahnen geschrieben hatte, ließen Zweifel am Sinn des Projekts aufkommen.

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Doch auch hier hat Johnson Grund zur Hoffnung – dank des Streits der Europäischen Kommission mit Astrazenecea. Brüssels wütende Reaktion auf die Ankündigung des Impfstoffherstellers, zunächst nur einen Teil der versprochenen Dosen zu liefern, erweckt in Großbritannien immer mehr den Eindruck einer Neiddebatte.

„Nein EU, du kriegst unsere Impfungen nicht“

Seit Tagen titeln nicht nur die Boulevardblätter im Land mit Schlagzeilen wie „Nein EU, (du) kriegst unsere Impfungen nicht“ und „EU verlangt britischen Impfstoff“. Der Tenor ist stets derselbe, Europa habe bei der Impfstoffbeschaffung seine Hausaufgaben nicht gemacht und wolle sich nun beim Nachbarn schadlos halten.

Britischer Apotheker zieht eine Dosis vom AstraZeneca-Impfstoff auf.

Für Krebskranke gibt es keine sofortige Impfung, hat ein Gericht jetzt entschieden.

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Den größten Schub erhielt das anti-europäische Lager jedoch, als die Kommission in Brüssel am Freitagabend ein Dokument veröffentlichte, das Exportkontrollen von Impfstoffen regeln soll. Darin hieß es, die EU könne sich auf einen Notfallmechanismus im Brexit-Abkommen berufen, um zu kontrollieren, ob und wieviel Impfstoff über die Grenze vom Mitgliedsland Irland ins britische Nordirland gelangt. Beim Thema Nordirland hatte sich die EU bei den Brexit-Verhandlungen aus Sicht der Briten geradezu schulmeisterlich aufgeführt.

Aggressiver Akt der EU an der irisch-nordirischen Grenze?

Es ging stets darum, zu verhindern, dass Grenzkontrollen zwischen den beiden Teilen Irlands eingeführt werden, weil sonst um den fragilen Frieden in der ehemaligen Bürgerkriegsregion gefürchtet wurde. Nun wollte also Brüssel ausgerechnet den Warenverkehr an dieser Grenze kontrollieren? Die Empörung in Großbritannien kannte über alle politischen Lager hinweg kaum Grenzen. Nordirlands Regierungschefin Arlene Foster von der protestantisch-unionistischen DUP sprach gar von einem „unglaublich feindseligen und aggressiven Akt“.

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Auch die Regierung in Dublin, die offenbar nicht einmal zu Rate gezogen worden war, war verärgert. „Es ist, als wollten sie unbedingt jeden, der für den Verbleib in der EU gestimmte hatte, davon überzeugen, dass der Brexit doch eine gute Idee war“, brachte ein britischer Nachrichtensprecher die Stimmung auf den Punkt. Da half es auch nichts, dass Brüssel innerhalb von Stunden zurückruderte.

Hinzu kam, dass britische Medien den französischen Präsidenten Emmanuel Macron, ohnehin das erklärte Feindbild der Brexiteers, mit den Worten zitierten, der Astrazeneca-Impfstoff sei bei älteren Menschen praktisch wirkungslos. Das eigentliche Thema des Impfstoffstreits geriet dabei völlig aus den Augen.

Astrazeneca: Zuerst Vertrag mit Großbritannien!

Astrazeneca hatte die Lieferprobleme mit Schwierigkeiten bei der Produktion in den Werken in Belgien und den Niederlanden begründet. Die Werke in Großbritannien hingegen produzieren im Hochbetrieb, wie Geschäftsführer Pascal Soriot im Interview mehrerer europäischer Blätter erklärte. Doch London habe nun mal seinen Vertrag mit Astrazeneca drei Monate früher vereinbart als Brüssel und darin sei festgelegt, dass die Werke auf britischem Boden zuerst nur für den britischen Markt produzieren dürften.

Das hatte für Wut und Empörung in Brüssel gesorgt. Schließlich hatte die EU Solidarität als oberstes Credo ausgegeben und keinerlei Anstalten gemacht, die Impfstoffexporte zu begrenzen. Seit Dezember wird der in Belgien und Deutschland hergestellte Impfstoff von Pfizer und Biontech unter anderem nach Großbritannien geliefert.

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Doch auf Forderungen, Impfstoff an die EU abzugeben, reagierte Johnson bislang schmallippig. „Wir sind zuversichtlich, was unsere Versorgung betrifft, und vertrauen auf die Verträge, die wir haben“, sagte er. Der Streit betreffe allein die EU und Astrazeneca. Zuhause wird er mit dieser Haltung als echter Staatsmann wahrgenommen – vielleicht zum ersten Mal in seiner Karriere. (dpa)

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