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„Einer von uns“: Vor zwanzig Jahren starb Enver Şimşek, das erste Opfer des NSU

Nürnberg –

„Einer von uns“ – so hat Außenminister Heiko Maas (SPD) in einem „Zeit“-Gastbeitrag Enver Şimşek genannt. Şimşek starb heute vor 20 Jahren – als erstes Opfer der rechten Terrorzelle NSU. Dass ein Bundesminister diese Worte öffentlich sagt, zeigt zum einen: Es hat sich Gott sei Dank einiges getan in den vergangenen zwei Jahrzehnten. Dass aber immer noch Nazis in Hanau und anderswo Migranten ermorden, zeigt andererseits: Wir haben noch viel zu tun, bis die Enver Şimşeks dieses Landes wirklich dazugehören – und das bedeutet: Nie wieder von „Döner-Morden“ oder Ähnlichem zu schreiben, sondern die Geschichte der Opfer zu erzählen.

Acht Schüsse feuerten seine Mörder auf den Blumenhändler Enver Şimşek, fünf in Kopf und Augen, drei weitere Schüsse fielen, als er schon am Boden lag – am helllichten Tag, mitten in Nürnberg, auf einem Parkplatz. Danach machten die Täter noch ein Foto, wie der Niedergeschossene schwerverletzt in seinem Blumentransporter lag, das sie später für ein Propaganda-Video nutzen wollten. Zwei Tage später, am 11. September 2000, starb Şimşek an den Folgen des Anschlags.

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Eine Straße in Bahrenfeld wurde nach dem Hamburger NSU-Opfer Süleyman Taşköprü benannt.

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hfr

Medien schrieben von „Döner-Morden“ und „Türken-Mafia“

Aber anstatt in die naheliegende Richtung zu ermitteln, dass Şimşek Opfer eines rechten Mordanschlags geworden war, suchten die Behörden die Schuldigen im Umfeld des Opfers – und die Medien griffen dies auf. Das Gleiche bei den neun weiteren Opfern der NSU-Terroristen, darunter der Hamburger Obst- und Gemüsehändler Süleyman Taşköprü. Ewig schrieben die Zeitungen von „Döner-Morden“ und „Türken-Mafia“. Wie sehr das die Angehörigen der Opfer belastete, kann man nur erahnen. Şimşeks Frau Adile litt deswegen jahrelang an Depressionen.

Ende der Siebziger hatten sie in der Türkei geheiratet, da waren sie gerade volljährig. Aus Liebe, wie Adile betont. 1985 immigrierte das Paar nach Deutschland, bekam zwei Kinder. Enver Şimşek arbeitete erst in der Fabrik am Fließband, fertigte Autoteile. Doch sein Traum war es, Blumenhändler zu werden, denn er liebte Blumen. Abends nach Feierabend brachte er sich selbst das Blumenbinden bei, verkaufte am Wochenende Gestecke auf dem Markt. Irgendwann konnte er sich den eigenen Laden leisten, beschäftigte mehrere Angestellte.

Enver Şimşek wollte eines Tages zurück in die Türkei

Sein zweiter Traum: Er wollte eines Tages in die Türkei zurückkehren. Umso sinnloser erscheine im Nachhinein der Mord der Rechtsterroristen des NSU, die „den Türken“, „den Fremden“ nicht in „ihrem“ Land haben wollten, sagte Rechtsanwältin Seda Basay-Yildiz in ihrem Plädoyer im NSU-Prozess.

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Anlässlich des 20. Jahrestages des Anschlags schrieb Cem Özdemir (Grüne) auf Twitter über Şimşek, Taşköprü und die anderen Opfer: „Bis heute treibt es mich um, wie damals Opfer und ihre Familien verdächtigt wurden, selbst schuldig zu sein. Sie waren Nachbarn, keine ,Fremden‘. Fremd sein müssen uns Nazis und Rassisten!“ Vielleicht sollten wir alle das mehr beherzigen. Damit die Şimşeks dieses Landes wissen, dass sie dazugehören.

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