Feuer in Moria: „Als hätte eine Atombombe eingeschlagen“
Ein Feuer verbrennt behelfsmäßige Zelte im Flüchtlingslager Moria auf der nordöstilichen Ägäisinsel Lesbos.
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Die Feuer sollen am Morgen wieder aufgelodert sein.
Foto: Stand by me Lesvos
Thomas von der Osten-Sacken ist Journalist und Geschäftsführer der deutsch-irakischen Hilfsorganisation Wadi e.V. und unterstützt Flüchtlingshilfsorganisationen auf Lesbos im Ort Mytilini. Er war in der Nacht vom Feuer vor Ort. Im Gespräch mit der MOPO schildert er Bedrückendes.
MOPO: Herr von der Osten-Sacken, wie war die Stimmung im Camp in den letzten Wochen?
Thomas von der Osten-Sacken: Nicht nur, dass dieses Camp seit sechs Monaten in diesem Corona-Ausnahmezustand eh ein Höllenloch ist, sondern dass seit zwei Wochen die Corona-Problematik gerade mit voller Wucht auf Lesbos trifft. Wir wussten, das gibt eine Katastrophe bei den Leuten, die da aufeinander sitzen müssen.
Und am Tag vor dem Feuer?
Die Stimmung war eh schon kurz vorm Kippen. Man hat oft genug davor gewarnt. Am Dienstag sind also Mitarbeiter der Behörden und NGOs zu den Zelten gegangen, wo Leute positiv getestet wurden, um sie für zwei Wochen auf die Isolationsstation zu schicken – ohne, soweit ich das gehört habe, mit der entsprechenden Sensibilität zu erklären, worum es geht, gerade bei Leuten, die symptomfrei sind. Man muss erstmal verstehen, was dieses Corona ist, um dann zu kooperieren. Das hat wohl sehr schnell zu einer sehr angespannten und aggressiven Stimmung geführt. Die Leute haben sich geweigert und man hat ihnen klar gemacht, dass man das notfalls mit der Polizei macht. Es kam es zu einer Demonstration vor der Station, aus der dann die, die schon drinnen waren, ausgebrochen sind. Dann ist die Station auseinander genommen worden ist. Das ging so kurz vor 22 Uhr gestern Abend los. Und da wussten wir schon, der kleinste Funke kann hier zur Explosion führen.
Wie kam es zum Feuer?
Zuerst gab es kleinere Brände, was auch nicht so ungewöhnlich ist. Das ist in den letzten Wochen immer mal passiert. Nur am Dienstag war diese explosive Mischung aus aggressiver Stimmung, ein bisschen Demonstration, eine Aufstandsstimmung und dann Brände, wo nicht ganz klar war, wer die gelegt hat. Es kann sein, dass es die Flüchtlinge oder Rechtsradikale waren, die zünden da auch gerne in der Campumgebung. Da ist es knochentrocken. Nur ein Wiesenhain mit Campingzelten, die brennen natürlich wie Zunder. Dann begannen plötzlich Brände immer an unterschiedlichen Orten. Es war wahnsinnig stürmisch. Der Sturm hat das enorm verstärkt. Und gegen Mitternacht stand das Camp in Flammen.
Es gab dann noch Versuche im Zentralcamp, diesem Militärlager, in den Abschiebeknast einzubrechen, um diese Leute zu befreien und dann wurden die Verwaltungsgebäude gestürmt und dann stand irgendwann alles unter Flammen. Jetzt war es ein Inferno. Die Menschen haben versucht, zu fliehen und herauszukommen, die Flammen griffen immer mehr um sich. Die Feuerwehr wurde zum Teil daran gehindert, hineinzukommen. Es ist nicht ganz klar von wem, ob das Flüchtlinge oder Dorfbewohner waren. Die Feuerwehr kam jedenfalls zu spät. Die Polizei hatte auch Angst, weil es in diesem Camp auch einige unangenehme Elemente gibt. Nachts kontrollieren sie nicht, nachts ist es quasi unter der Kontrolle von kriminellen Banden. Nur damit Sie sich vorstellen können, was für ein „wunderbarer“ Ort das ist.
Wann sind Sie hingefahren?
Wir haben Schulen im Camp und um Mitternacht haben wir den ganzen Sicherheitsleuten, die nachts auf unsere Sachen aufpassen, gesagt, sie sollen unbedingt raus. Zwischen 12 und 2 Uhr brannte es überall. Wir wurden informiert, dass Flüchtlingsmitarbeiter von uns in einer Gruppe von 40 Leuten an einer Stelle von den Flammen eingekreist wurden.
Dann sind wir selbst ins Camp bis zum möglichen Checkpoint gefahren, um dort auch mit der Feuerwehr zu klären, dass diese Leute in extremer Lebensgefahr schweben. Das hat alles relativ lange gedauert, bis wir wussten, dass alle Mitarbeiter, Kollegen und Freunde in Sicherheit waren.
Wie sieht es jetzt in Moria aus?
Eine dieser Zeltzonen ist wirklich komplett heruntergebrannt, als hätte eine Atombombe eingeschlagen. Das ist nur noch Asche, verbrannte Olivenbaumstümpfe. Das Feuer hat alles wegrasiert. Auch das Zentralcamp hat es extrem übel erwischt. Die anderen Zonen sind so 50:50. Es ist nicht alles komplett heruntergebrannt und es gibt Teile, die noch stehen. Aber der Strom ist Dienstagnacht, das haben wir um halb 4 miterlebt, zusammengebrochen. Es war stockduster.
Es gibt immer noch keinen Strom im Camp, auch kein Wasser. Und das ganze Gift, alles was gebrannt hat, das ganze Plastik, die Container, das war schwarzer, ekelhaft stinkender Rauch, der natürlich durch den Sturm über das ganze Camp gezogen ist. Ich vermute mal, nach dem Stand einer deutschen Gesundheitsbehörde, würde das Ding als komplett vergiftet gelten.
Wie hat die Polizei reagiert?
Die Polizei ist völlig überarbeitet. Es ist eine völlige Sauerei, dass eine Kleinstadt wie Mytilini mit so etwas konfrontiert wird. Die Polizei war völlig überfordert, das reine Chaos: Als ich da am Checkpoint gestanden habe, kam Polizei, dann Feuerwehr, dann sind Minderjährige aus dem Camp gelaufen und wussten nicht, wo sie hin sollen. Die wurden angemault, es gab keine Betreuungsperson. Jetzt ist auf Lesbos der Notstand ausgerufen worden: Jeder kann erstmal irgendwo bleiben. Das ist in Corona-Zeiten die Hölle, weil die Infizierten auch unterwegs sind. Das heißt, wir können davon ausgehen, dass die Corona-Zahlen nochmal viel höher gehen und die Krankenhäuser sind schon überlastet. Jetzt sitzen hier zwischen 4500 und 7000 Flüchtlinge, die heute Nacht keine Unterkunft haben.
Kyriakos Mitsotakis ordnete bereits eine Krisensitzung an und der Regierungssprecher Stelios Petras soll gesagt haben, dass man Brandstiftung vermutet…
Das war kein Blitzeinschlag, weil es kein Gewitter gab. Natürlich sind die Brände die Folge dieser Spannung. Es können auch gleichzeitig Flüchtlinge und Rechtsradikale gewesen sein, auch weil die Auseinandersetzung über die Zukunft des Camps innenpolitisch wahnsinnig steigt. Die griechische Regierung möchte es behalten, das ist komplett gegen den Wunsch der Leute hier, vor allem der lokalen Politiker.
Das heißt, es gibt auch intern wahnsinnige Spannungen, die genau zum falschen Zeitpunkt kommen, die sich auch in den Medien manifestiert haben. Es haben so viele Leute ein Interesse daran, dass das Ding in die Luft fliegt und es gibt viele, die auch mal Lust haben Benzin zu gießen und ein Streichholz zu werfen. Aber wie gesagt, die ursprünglichen Brandstifter sitzen wirklich woanders.