Kriegszustand und über hundert Tote : Was ist da eigentlich los in Bergkarabach?
Bergkarabach –
Krieg um einen Staat, den es eigentlich gar nicht gibt, gezielte Angriffe auf Wohnhäuser, hundert tote Zivilisten und irgendwie haben Putin und Erdogan schon wieder ihre Finger im Spiel: Was ist da eigentlich los in Bergkarabach? Die MOPO klärt auf.
Bergkarabach liegt mitten in der ehemaligen Sowjet-Republik Aserbaidschan und ist seit Jahrzehnten Ursache von Konflikten mit dem Nachbarland Armenien, ebenfalls ehemaliger Teil der Sowjetunion. 99 Prozent der etwa 150.000 Einwohner der umstrittenen Region sind laut einer Volkszählung von 2005 nämlich Armenier – und beanspruchen das Gebiet für sich.
Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan: Was ist da eigentlich los in Bergkarabach?
1991, kurz vor dem Ende der Sowjetunion, taten die Armenier in Bergkarabach dann etwas, was Aserbaidschan als absolute Provokation aufnahm: Sie riefen einen eigenen Staat aus, die „Republik Arzach“. Bis heute wird die allerdings von keinem Land der Welt als Staat anerkannt. Anfang 1992 eskalierte der Konflikt mit pogromartigen Überfällen auf beiden Seiten. Armenien wurde dabei laut Asrbaidschan von russischen Truppen unterstützt, beide Seiten waren jedoch für schlimme Massaker verantwortlich. Der darauf folgende heftigste Krieg in der Geschichte der Region dauerte von 1992 bis 1994 an und kostete zwischen 30.000 und 50.000 Menschen das Leben – hauptsächlich Zivilisten.
Die Oberhand behielten damals die Armenier. Arzach gewann den Krieg, eroberte sogar noch weitere Gebiete. Dieser Nachkriegszustand bestand im Großen und Ganzen bis zu diesem Jahr – Arzach als ein stabilisierter De-facto-Staat, der von der internationalen Gemeinschaft nicht anerkannt wird.
Kämpfe in Bergkarabach: Mehr als hundert Opfer und Angriffe auf Wohnhäuser
Doch unter der Oberfläche brodelt es. Denn während Armenien Arzach auf lange Sicht nicht als unabhängigen Staat erhalten, sondern fest an sich binden möchte, will Aserbaidschan die Region Bergkarabach um jeden Preis zurückerobern.
So kam es Ende Juli wieder zu Kämpfen an der armenisch-aserbaidschanischen Grenze, die mehrere Menschen das Leben kosteten. Weil es seit Jahrzehnten keine Bewegung in dem Konflikt gebe, werde er jetzt eben selbst tätig, donnerte der aserbaidschanische Präsident Ilham Aliyev.
Seit Ende September wird die Situation dramatischer, Wohnhäuser wurden und werden angegriffen, es starben bereits über hundert Zivilisten. Sowohl Armenien als auch Aserbaidschan haben den Kriegszustand ausgerufen, sind beide bis an die Zähne bewaffnet. Die Schuld für die erneute Eskalation gibt man sich gegenseitig.
Erdogan, Putin und Bergkarabach: Droht ein Krieg zwischen der Türkei und Russland?
Und dann haben da auch noch Putin und Erdogan ihre Finger im Spiel. Russland unterstützt zwar beide Ex-Sowjet-Republiken mit Waffenlieferungen, warb bereits für ein Ende des Konflikts und bot sich als Vermittler an, fühlt sich aber vor allem als Schutzmacht des christlichen Armeniens. Die Türkei ist aufseiten des hauptsächlich schiitisch-islamischen Aserbaidschans bereits aktiv in den Konflikt involviert, beteiligte sich dort Ende Juli an Militärübungen, entsandte Militärberater und drohte den Armeniern, sie würden „definitiv für ihre Aktionen bezahlen“.
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Armenien wirft der Türkei sogar vor, verbündete Kämpfer aus Syrien zur Unterstützung seines „muslimischen Bruderstaats“ Aserbaidschans entsandt zu haben – Aserbaidschan bezeichnet diese Berichte als „absolut gegenstandslos“. Man habe eine professionelle Armee, die selbst stark genug sei.
Russischer Militärexperte: „Wenn die Türkei sich einmischt, wird auch Russland militärisch eingreifen“
Müssen wir jetzt einen Stellvertreterkrieg zwischen Russland und der Türkei befürchten? Für Putin dürfte kein großes Interesse daran bestehen, plädierte er doch für einen Waffenstillstand zwischen Armenien und Aserbaidschan. Dennoch warnte der russische Militärexperte Alexej Arbatow: Wenn die Türkei sich militärisch einmische, dann drohe ein neuer Völkermord in Armenien und auch Russland würde militärisch eingreifen. Es sei „verpflichtet, Armenien zu unterstützen.“
Erdogan seinerseits will sicher keinen Krieg mit Putin provozieren, ihn höchstens zu Zugeständnissen in anderen konfliktreichen Gebieten bewegen. Vor allem aber möchte er die innenpolitische Lage beruhigen: Um seine Wählerbasis zu stärken und nationalistische Gefühle zu wecken, sucht er die außenpolitische Konfrontationen. Und er hat Erfolg mit seiner Strategie: Sogar der Großteil der Opposition im Land unterstützt sein Eingreifen in Bergkarabach.
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Ein türkisch-russischer Krieg ist unwahrscheinlich. In der Region Bergkarabach aber brodelt es weiter, sterben weiter Menschen. Erdogan betont, man werde den ethnisch verwandten, turk-sprachigen Aserbaidschanern beistehen. In einem offenen Brief an den türkischen Präsidenten schrieb der aserbaidschanische Staatschef, die Worte Erdoğans hätten gezeigt, dass Aserbaidschan „nicht allein steht mit seinem gerechten Anliegen“, die eroberten Gebiete in und um Bergkarabach zurückzugewinnen.