Angela Merkel hat eine Auto-Biographie geschrieben. Erst Teile wurden nun veröffentlicht.
  • Angela Merkel hat eine Autobiografie geschrieben. Erste Teile wurden nun veröffentlicht.
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Kanzlerin-Memoiren: Ihre Russland-Politik war naiv – sie sollte das nicht schönreden

Hat Ex-Kanzlerin Angela Merkel (CDU) den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine durch ihre Politik erst ermöglicht? Dieser Vorwurf ist in Osteuropa und vor allem in der Ukraine durchaus verbreitet. Nun sind erste Auszüge aus Merkels Autobiografie „Freiheit“ veröffentlicht worden. Darin erklärt die 70-Jährige auch ihren damaligen Blick auf Russland. Interessant ist dabei aber vor allem, welche Konsequenzen sie (nicht) aus ihrer Analyse gezogen hat.

Beim NATO-Gipfel in Bukarest 2008 ging es um einen Beitritt der Ukraine und Georgiens zum westlichen Militär-Bündnis. Der Wunsch dazu ging neben den damaligen Regierungen der beiden Länder vor allem von US-Präsident George W. Bush aus. Am Ende verhinderten aber Frankreich und Deutschland den NATO-Beitritt. Randnotiz: Anders als vom Kreml und den „Putin-nach dem-Mund-Plapperern“ in Deutschland immer suggeriert, war 2008 das erste und einzige Mal, dass ein NATO-Beitritt der Ukraine tatsächlich auf der politischen Tagesordnung stand. Das Thema kam dann erst wieder nach dem Beginn des russischen Angriffskriegs 2022 auf, genauer vor einigen Monaten.

Merkel zog keine Konsequenzen aus ihrer Analyse

Merkel schreibt: „Ich verstand den Wunsch der mittel- und osteu­ropäischen Länder, so schnell wie möglich Mitglied der NATO zu werden. Aber: Die Aufnahme eines neuen Mitglieds sollte nicht nur ihm ein Mehr an Sicherheit bringen, sondern auch der NATO.“ Vor allem die Krim-Frage (wo damals die russische Schwarzmeer-Flotte stationiert war) ließ sie skeptisch auf einen NATO-Beitritt der Ukraine blicken.

Am Ende stand ein Kompromiss, über den Merkel schreibt: „Dass Georgien und die Ukraine keine Zusage für einen Beitrittskandidatenstatus bekamen, war für sie ein Nein zu ihren Hoffnungen. Dass die NATO ihnen zugleich eine generelle Zusage für ihre Mitgliedschaft in Aussicht stellte, war für Putin ein Ja zur NATO-Mitgliedschaft beider Länder, eine Kampfansage.“

Bei der Bundeswehr wurde munter weiter gespart

Diese Einschätzung klingt durchaus plausibel. Schon vor Jahren hatte die Ex-Kanzlerin einmal öffentlich erklärt, dass sie mit einer sofortigen Invasion Russlands gerechnet hatte, sollte sich die Ukraine in konkreteren Schritten der NATO annähern. Allerdings ergeben sich daraus Fragen: Wenn Merkel bereits damals wusste, dass Putin zu militärischen Abenteuern bereit ist – wieso hat sie nicht entsprechend gehandelt? Wieso ist die Bundeswehr unter ihrer Verantwortung immer weiter zusammengespart worden? Und wieso wechselte der Fokus der Bundeswehr immer weiter zu Auslands-Einsätzen, weg von der reinen Landesverteidigung?

Und die in diesem Zusammenhang wichtigste Frage bleibt auch noch unbeantwortet: Wieso drückte die Kanzlerin – gegen den ausdrücklichen Wunsch und den Warnungen Osteuropas, Frankreichs und der Amerikaner – die Gaspipeline Nord Stream 2 politisch durch? Die entsprechende Passage in Merkels Autobiografie ist noch nicht veröffentlicht.

Eine gängige Antwort lautet: Weil Deutschland so an (scheinbar) billiges Gas herankam, was der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft nutzte. Tatsächlich hat es uns aber in eine sehr starke Abhängigkeit von Putins Russland gebracht, der glaubte, Deutschland damit „aus dem Spiel nehmen zu können“, wenn er sein militärisches Abenteuer in der Ukraine beginnt.

Wir waren ein Volk von geostrategischen Analphabeten

Eine anderer Teil der Antwort ist auch nicht gerade schmeichelhaft: Die Deutschen waren damals tendenziell ein Volk von geostrategischen Analphabeten (den Autor dieser Zeilen eingeschlossen). Es konnte und/oder wollte die politischen Folgen seiner wirtschaftlichen Handlungen nicht bedenken und abschätzen. Gas aus Russland, militärischer Schutz durch die USA und China als Absatzmarkt – „Was kostet die Welt!?“ war damals das unausgesprochene Motto.

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Inzwischen sind wir in einer harten Wirklichkeit aufgewacht, aus der wir alle lernen müssen. Da das aber auch unangenehme Schlussfolgerungen für Gesellschaft und Politik nach sich ziehen kann (beispielsweise höhere Verteidigungsausgaben), dürfte es noch etwas dauern, bis wir in diesen Fragen wirklich „erwachsen“ werden.

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