Kommender Kanzler Merz: Auffahrunfall mit der Wirklichkeit
Wohl noch nie hat sich ein Kanzlerkandidat so schnell von einigen seiner zentralen Versprechen verabschiedet wie Friedrich Merz (CDU). Gleichzeitig stellt er sich bei der Anbahnung einer Koalition mit der SPD ungeschickt bis provokativ an. Der mögliche neue Regierungschef muss sich jetzt sehr schnell in der Wirklichkeit zurechtfinden.
Erinnern Sie sich noch? Monatelang tingelte Friedrich Merz durch die Talk-Shows des Landes und erklärte immer wieder – Krise hin oder her – er werde die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse nicht anfassen. Im ersten TV-Duell mit Olaf Scholz (SPD) erklärte er dann plötzlich, man könne über die Schulden-Obergrenze reden, das habe aber nicht Priorität.
Die seltsame Klage über das neue Wahlrecht
Am Montag nach der Wahl drang Merz und sein Umfeld plötzlich darauf, noch im „alten“ Bundestag die Schuldenbremse zu reformieren, um die notwendige Auf- und Ausrüstung der Bundeswehr finanzieren zu können. Denn im neuen Parlament gibt es – wie oft vorhergesagt – keine Zwei-Drittel-Mehrheit der Parteien der Mitte mehr für die notwendige Grundgesetzänderung. Nun fordert Merz, der alte Bundestag solle als letzte Amtshandlung statt einer Änderung der Schuldenbremse ein weiteres Sondervermögen für die Bundeswehr beschließen. Also zusätzliche Sonder-Schulden. Eine Finanzierung aus dem laufenden Haushalt erschien schon immer und erscheint auch heute noch völlig utopisch.
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Die Debatte um die Schulden zeigt Merz‘ mangelnde Erfahrung auf dieser politischen Flughöhe. Und ein weiterer Wortbruch steht im Raum: Vor allem Rechtspopulisten werfen dem CDU-Politiker nun vor, von einem weiteren zentralen Versprechen abgerückt zu sein: der Schließung der Grenzen. Das hat Merz zwar so nie versprochen (er redete von Grenzsicherung und Zurückweisungen), aber der Eindruck ist wohl bei vielen Wählern entstanden.
Das zeigt die mangelhafte Kommunikationsstrategie im Merz-Lager. Mit zwei weiteren Vorstößen verärgert Merz nun sogar seinen einzig politisch möglichen Koalitionspartner: die SPD. Bereits am Tag nach der Wahl beklagte er sich über die gerade eingeführte Wahlrechtsreform und machte damit eine weitere Änderung des Wahl-Modus praktisch zu einer Vorbedingung für ein Bündnis mit den Genossen.
Die Union nimmt plötzlich die NGOs ins Visier
Als noch größere Provokation wird in der SPD aber eine zeitlich perfekt platzierte Kleine Anfrage zu Nicht-Regierungs-Organisationen (NGOs) betrachtet. Darin wollen CDU/CSU von der Bundesregierung genau wissen, welche NGOs (wie Greenpeace, Correctiv, Attac oder die Umwelthilfe) vom Staat wie viel Geld erhalten. Zur Erinnerung: Die AfD ist mit mehr als 20 Prozent in den Bundestag eingezogen, was vielen Menschen große Sorgen bereitet. Dazu verliert Merz bisher kaum ein Wort und nimmt stattdessen weite Teile der Zivilgesellschaft ins Visier. Echt jetzt?
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Offenbar glaubt man in der Union, die NGOs steckten maßgeblich hinter den Demonstrationen „gegen Rechts“. Und diese hätten dazu beigetragen, dass die Union unter 30 Prozent landete. Auf die Idee, dass das relativ schlechte Abschneiden weniger mit den „Omas gegen Rechts“ Buxtehude zu tun haben könnte (die 8000 Euro für ein Anti-Rassismus-Projekt erhalten haben), sondern vielleicht auch mit dem Merz-Wortbruch bezüglich der AfD kommt man im Konrad-Adenauer-Haus offenbar gar nicht.
Politische Spielchen schaden dem Land gerade besonders
Eine vertrauensbildende Maßnahme gegenüber der SPD ist die NGO-Anfrage jedenfalls nicht. Die Reaktion der Sozialdemokraten ist allerdings auch überraschend. Fraktions- und Parteichef Lars Klingbeil sprach von einem „Foulspiel“. Die Union solle sich genau überlegen, ob sie diesen Weg weiter beschreiten wolle. Es ist aber natürlich auch nicht verboten, nach der Gemeinnützigkeit von mehr als 500 NGOs zu fragen, die in der vergangenen Wahlperiode mehr als 1,2 Milliarden Euro an Steuergeld erhalten haben.
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Trotzdem sind all das unterm Strich politische Spielchen. Doch wer in dieser Situation Spielchen spielt, statt sich auf die drängende Wirklichkeit einzustellen, versündigt sich an der Demokratie und am Land. Das gilt für alle Seiten.
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