Mit Harris, Swift und Olympia gegen die Apokalypse: Gute Laune als Wunderwaffe
Neulich, ich sah ein wenig abwesend den Frauen im olympischen Hochsprung-Finale beim hoch Springen zu, da war ich plötzlich ganz verzaubert. Die Favoritin meisterte jeden Sprung mit einem strahlenden Lächeln im Gesicht. Wer scheiterte, wurde von den Konkurrentinnen getröstet. Und am Ende lagen sich alle freundschaftlich in den Armen. Weil das bei einem eigentlich recht zynischen Strolch wie mir ein so wohliges Gefühl hinterließ, habe ich plötzlich auch ein besseres Gefühl, was die US-Wahl betrifft.
Denn am Abend sah ich im Netz das Video eines Interviews mit Kamala Harris. Es ging um ihr lautes Lachen, das Trump als „irre“ gebrandmarkt hatte und rechte Pöbler im Netz nutzen, um die Kandidatin zu diskreditieren. Die Präsidentschafts-Kandidatin der Demokraten erwiderte sehr souverän, dass bei ihr von Haus aus viel gelacht werde und ihre Mutter dabei noch viel lauter gewesen sei und sie das toll und gut finde.
Es ist – zugegeben – eine Wort-zum-Sonntag-Weisheit, dass eine positive Grundeinstellung das Leben für einen selbst und auch das der Menschen um einen herum deutlich angenehmer machen kann. Aber die Wirkung beider Beiträge auf mich fand ich dennoch erstaunlich.
Und erstaunlich ist zumindest auch, dass in Amerika auf einmal eine rational anmutende Frau und ein fröhlicher Halbglatzen-Daddy und Ex-Lehrer den noch vor wenigen Wochen als unaufhaltsam und unsterblich geltenden Trump in vielen Umfragen überflügeln – obwohl sich doch an den Fakten nichts geändert hat und parallel die von den Demokraten zu verantwortenden Wirtschafts-Daten zuletzt einen harten Dämpfer erlitten hatten.
… und der HSV ist auch wieder nicht aufgestiegen
Das jahrelange Trommelfeuer aus schlechten Nachrichten und Kriegen und die emotionale Verheerung, die die Pandemie ausgelöst hat, lassen die öffentlichen Debatten in der westlichen Welt verlässlich um ein Themenfeld kreisen: die nahende Apokalypse. Die Zutatenliste dieser geloopten Untergangs-Playlist: wirtschaftlicher Niedergang, unaufhaltbare Klima-Katastrophe, schmarotzende, systemüberfordernde Migranten. Dann noch ständig Stau, die Digitalisierung läuft nicht. Und der HSV ist auch wieder nicht aufgestiegen.
Es scheint, als wäre es für uns ohne Alternative, uns ohne Unterlass in all der Negativität, den Verallgemeinerungen, der Zuspitzung, der Selbstgeißelung zu suhlen. Und so sind wir einerseits ja auch.
Elon Musk: „Ein Bürgerkrieg ist unausweichlich“
Aber zugleich reiben es uns eben interessierte Gruppen unentwegt rein, über alle Kanäle. Weil die Destruktivität, die das verbreitet, Spalten hinterlässt in unserem bestehenden Gemeinwesen, das trotz aller Schwächen grundsätzlich auf Ausgleich und Zusammenarbeit fußt. Und das sie zerstören wollen, um ihren eigenen Einfluss zu vergrößern. Haben Sie mitbekommen, was der Tesla-Chef Elon Musk, reichster Mann der Welt, auf seinem gigantisch großen Social-Media-Netzwerk twitterte, nachdem in England Neonazi-Horden mit falschen Informationen zu einem Mädchenmord, die über „X“ geteilt wurden, aufgestachelt wurden? „Ein Bürgerkrieg ist unausweichlich.“
MOPO-Kolumnist Stefan Kruecken musste neulich auf seiner von Hunderttausenden abonnierten Facebook-Seite erleben, wie ganz normale Leute es für nötig hielten, den Ertrinkungs-Tod eines 42-jährigen Familienvaters in der Ostsee mit naseweisen Eiskalt-Kommentaren zu versehen: „Null Mitleid, echt jetzt!“
Wie vertrocknete Primeln in der Wüste
Das ist so empathielos und vor allem mit dem Mitteilungsdrang dazu so abstoßend selbstgefällig, dass einen fröstelt. Und liegt so irgendwie im Zeitgeist.
Es klingt ja sehr naiv. Aber als ich Kamala Harris und ihren Vize-Kandidaten Tim Walz reden hörte, da fragte ich mich, ob viele von uns wie vertrocknende Primeln in einer Wüste aus Negativität stehen und geradezu sehnsüchtig auf ein bisschen Menschlichkeit warten. Und ich musste dran denken, wie die Swifties Hunderte Euro zahlen, um bei den Konzerten des derzeit größten Popstars der Welt in den Stadien für ein paar Stunden in eine warme Welle der Harmonie einzutauchen.
Nichts implodiert in der Politik schneller als schöner Schein mit nichts dahinter
Wie groß ist das Potenzial dieser Sehnsucht? Wie sehr kann schon allein ein Bemühen um guten Stil Gräben zuschütten? Die Wahlkampf-Teams der Demokraten, verstärkt auch durch Veteranen, die schon für Obama die „Yes, we can!“-Erzählung formuliert hatten, reizen auf den Social-Media-Kanälen die Geschichte von der „Rückkehr der Freude“ und des Miteinanders jedenfalls mit Vollgas aus, zeigen die Kandidaten bei herzigen Telefonaten miteinander. Alles munter und beschwingt – und natürlich knallhart durchinszeniert. Nutzt sich das in den nächsten Wochen ab, oder verfestigt sich das Bild?
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Bisher jedenfalls funktioniert es. Und ja, es ist noch kein politisches Problem gelöst. Keine überzeugende Antwort gegeben auf die großen Fragen wie Migration und soziale Spaltung. Und: Nichts implodiert in der Politik schneller als schöner Schein mit nichts dahinter. Aber nichts wäre tröstender in diesen Zeiten, als wenn die gute alte Botschaft des Optimismus und Miteinanders am Ende doch stärker wäre als die der Lügen und der Zwietracht.
Ich bin gespannt. Und überlege, wer eigentlich in Deutschland so eine Botschaft glaubwürdig formulieren könnte …