• Foto: imago images/Independent Photo Agency Int.

„Nacht des Wahnsinns“: Schlimme Szenen: Protest gegen Lockdown in Neapel eskaliert

Neapel –

Mehrere Hundert Menschen haben in der Nacht von Freitag auf Samstag in Neapel gegen strengere Corona-Regeln und einen geplanten Lockdown demonstriert. Die Proteste eskalierten in Gewalt, Polizisten und Journalisten wurden angegriffen. Medien sprachen von einer „Nacht des Wahnsinns“.

Es waren heftige Szenen: Ein wütender Mob hat in der Nacht zu Samstag in der süditalienischen Metropole Neapel für Chaos und Verwüstung gesorgt. Mülleimer wurden in Brand gesetzt, Polizisten attackiert, Scheiben von Streifenwagen eingeschlagen und sogar Journalisten bedroht. Was macht die Menschen derart wütend?

Drohender Lockdown in Kampanien löste Proteste aus

Entzündet hatte sich die Lage, nachdem zuerst Hunderte Neapolitaner friedlich gegen die drohenden Coronaregel-Verschärfungen protestiert hatten. Die zuständige Provinzregierung von Kampanien hatte zuvor als Reaktion auf die dramatisch gestiegenen Neuinfektionsraten einen Lockdown samt Ausgangssperre für die Region erlassen. 

Neuer Wütende Protestler zündeten in der Nacht zu Samstag Brandsätze und Feuerwerkskörper.

Wütende Protestler zündeten in der Nacht zu Samstag Brandsätze und Feuerwerkskörper.

Foto:

imago images/Independent Photo Agency Int.

Die Demonstranten skandierten am Freitagabend anfangs Slogans und zogen unter anderem vor den Sitz der Regionalregierung. Dort eskalierte dann die Situation: Es wurden Feuerwerkskörper geworfen und Rauchbomben gezündet, wie die Nachrichtenagentur Ansa berichtete. Die Polizei setzte demnach unter anderem Tränengas gegen die Protestierenden ein. Zwei Demonstranten seien festgenommen und des Widerstandes gegen ihre Festnahme angeklagt worden, hieß es. Zwei Polizisten wurden den Angaben zufolge leicht verletzt.

Videos zeigen Gewalt-Eskalation in Neapel

Auf Videos in sozialen Netzwerken ist zu sehen, wie wütende Neapolitaner versuchen, einen Journalisten des Senders Sky niederzuringen.

Auch Polizisten wurden attackiert: Videos zeigen, wie aggressive Neapolitaner auf einen Streifenwagen einschlagen, ihn mit Mülltonnen und anderen Gegenständen bewerfen und Knallkörper zünden. Der Journalist Mirko Calemme, der entsprechende Aufnahmen auf Twitter teilte, schrieb dazu: „Neapel ist völlig außer Kontrolle.“

Calemme weiter: „Die sozialen Spannungen haben sich seit Monaten aufgebaut und der drohende, erneute Lockdown – ohne zuvor ökonomische und soziale Vorkehrungen zu treffen – hat die gestrige Explosion verursacht.“ Er fürchte, so Calemme, dass das „nur der Anfang ist.“

Auch lokale Medien fanden drastische Worte. So sprach etwa die Tageszeitung „Corriere della Sera“ von einer „Nacht des Wahnsinns“. Der „Il Mattino“ schrieb, das sei ein „innerstädtischer Krieg“ gewesen.

Verantwortliche vermuten Mafia als Strippenzieher hinter den Protesten in Neapel

Viele vermuten, dass die Lage in der Nacht zu Samstag bewusst zur Eskalation gebracht worden seien. So sagte etwa Italiens Vize-Innenminister Matteo Mauri, die Proteste seien sicher „nicht spontan entstanden“. Nicola Morra, Präsident der Anti-Mafia-Kommission, ist sich sicher: „Das kommt alles aus Richtung der Clans der Camorra.“ 

Lesen Sie auch: Corona in Italien: Warum es dieses Mal sogar noch schlimmer kommen könnte

Der Lockdown samt Ausgangssperre hat in der Tat vor allem Auswirkungen auf die Organisierte Kriminalität. Da nach 23 Uhr und bis 5 Uhr morgens niemand ohne triftigen Grund mehr das Haus verlassen darf, fällt auch die Hauptumschlagzeit für Drogen der Camorra, der neapolitanischen Mafia, weg.

Mauri vermutet daher vor allem Camorristi, aber auch Hooligans und Ultra-Rechte als Drahtzieher hinter den Aufständen: „Sie wollen die schwierige ökonomische Situation ausnutzen, sich als Gegenspieler zum Staat präsentieren und Zustimmung einsammeln“, sagte er dem „Corriere“. Auch die Nachrichtenwebsite Fanpage beschuldigte Mitglieder der örtlichen Camorra und Hardcore-Hooligans aus Neapel, die Proteste, die auch von der neofaschistischen Partei Forza Nuova unterstützt wurden, angefacht zu haben. 

Shutdown in Kampanien kann bis zu 40 Tage dauern

Zuvor hatte Regionalpräsident Vincenzo De Luca als Reaktion auf schnell steigende Corona-Infektionszahlen Pläne für einen Lockdown angekündigt. In Kampanien waren am Freitag 2280 Neuansteckungen innerhalb eines Tages gemeldet worden, wie De Luca live bei Facebook mitteilte. Am Donnerstag waren es noch 1541 gewesen.

Einige Demonstranten zündeten auch Mülleimer und Unrat an.

Einige Demonstranten zündeten auch Mülleimer und Unrat an.

Foto:

imago images/Pacific Press Agency

Seit Freitag gilt nun eine Ausgangssperre von 23 Uhr bis 5.00 Uhr. „Wir werden nun alles schließen“, sagte De Luca. Der Shutdown könne einen Monat oder 40 Tage dauern. Die Situation sei schwierig, aber keine Tragödie, sagte er weiter. „Aber die Tragödie ist nur einen Schritt entfernt.“ Das regionale Dekret zur Umsetzung der Maßnahme soll entweder am Samstag oder am Sonntag angenommen werden, berichtete die Nachrichtenagentur Ansa unter Berufung auf Kreise der Regionalregierung. De Luca rief auch Rom dazu auf, einen landesweiten Lockdown zu verhängen.

Die offizielle Zahl der Neuinfektionen mit dem Coronavirus in ganz Italien lag am Freitag bei dem Rekordwert von 19.143. Damit stieg die Gesamtzahl der Infektionen seit Beginn der Pandemie auf 484.869. Gut 37.000 Italiener sind an oder mit Covid-19 gestorben. Mehr als 1000 Menschen werden derzeit intensivmedizinisch behandelt. (dpa)

Email
Share on facebook
Share on twitter
Share on whatsapp