„Nazis wissen, wo ich wohne“: Warum Grüne im Osten um ihr Leben fürchten müssen
Zwickau/Schwerin –
Mit traumhaften Umfragewerten liegen sie teils vor der CDU, die SPD haben sie längst abgehängt und dürfen sich ernsthafte Hoffnungen aufs Kanzleramt machen: Für die Grünen könnte es im Moment kaum besser laufen. Doch während die Partei auf Bundesebene auf einer Erfolgswelle reitet, müssen ihre Vertreter im Osten teils buchstäblich um ihr Leben fürchten.
Kaum ein politisches Thema ist derzeit medial so präsent wie der rasante Aufstieg der Grünen. Tatsächlich aber scheint die Partei vor allem im Westen zu punkten – im Osten des Landes ist die Ausgangslage eine komplett andere. Im Landtag Mecklenburg-Vorpommerns etwa sind die Grünen derzeit nicht einmal vertreten. Dafür aber die AfD – sie besetzt gleich 14 Plätze, gut halb so viele wie die Partei von Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD). Ähnlich sieht es in den anderen vier ostdeutschen Parlamenten aus: Dort ist die Klimaschutzpartei zwar überall vertreten, bringt es in Sachsen aber gerade einmal auf 12 Sitze (AfD 36), in Thüringen auf 5 (AfD 22), in Brandenburg auf 10 (AfD 23) und in Sachsen-Anhalt auf 5 (AfD 21).
Im Osten werden die Grünen von der AfD abgehängt
Nun stehen etwa in Letzterem bald Wahlen an: Am 6. Juni wählt Sachsen-Anhalt einen neuen Landtag. Einer aktuellen Sonntagsumfrage des Instituts „INSA“ zufolge würden es die Grünen dabei immerhin auf 12 Prozent bringen – die AfD auf einen doppelt so hohen Wert.
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Während die Grünen in Westdeutschland vom Umfrage-Einbruch der Union profitieren und viele Wähler aus der politischen Mitte zu sich holen können, sieht es im Osten anders aus: Dort werden die Grünen zunehmend von der AfD abgehängt.
Warum kommen die Grünen in Ostdeutschland so schlecht an?
Die Gründe für das schlechte Abschneiden der Grünen im Osten sind vielfältig. Zum einen hat die Partei dort eine viel jüngere Geschichte – erst am 9. Februar 1990 wurde die „Grüne Partei in der DDR“ gegründet, fusionierte im Dezember 1990 mit den westdeutschen Grünen. Die gab es immerhin schon seit 1980.
Hinzu kommt, dass, wie die Bundeszentrale für politische Bildung schreibt, die Grünen am wenigsten bei Menschen über 60 ankommen. Die fünf ostdeutschen sind jedoch zugleich auch die Bundesländer mit der ältesten Bevölkerung. Auch bei Arbeitslosen sind die Grünen eher unbeliebt – die Ost-Arbeitslosenquote liegt – Stand 2019 – mit 7,6 Prozent deutlich über der im Westen (5,7).
Bedroht, beleidigt und angespuckt: Die Grünen fühlen sich im Osten nicht sicher
Ultrarechte und Neonazis schüchtern Vertreter vielerorts massiv ein, wie Jakob Springfeld von der „Grünen Jugend“ aus Zwickau in Sachsen dem „Spiegel“ erzählt: „Ich weiß, wie es sich anfühlt, auf der Straße bedroht, beleidigt oder angespuckt zu werden. Das Gefühl der Angst kenne ich wie alle anderen, die in Zwickau gegen rechts oder den Klimawandel protestieren.“
Der Hass der Rechtsradikalen auf Klimaschützer sei riesig – und beängstigend: „Nazis in Zwickau wissen, wo meine Familie und ich wohnen.“, so Springfeld. Er könne nachts zum Teil nicht mehr schlafen und wache öfter auf. „Wir sind nicht mehr sicher in dieser Stadt“.
Aber nicht nur er erlebt schlimme Dinge: „Vor einigen Tagen standen fünf vermummte Neonazis vor der Tür eines Freundes. Um 23 Uhr wurde die Polizei informiert, eine Landtagsabgeordnete der Grünen machte am Telefon Druck. Kurz vor Mitternacht tauchte ein Streifenwagen auf. Bis dahin hatten die Rechtsextremen schon den Briefkasten beschmiert und waren auf und davon.“ Und das sei längst nicht alles: „Solche Berichte kenne ich zuhauf aus den vergangenen Jahren.“ Springfeld ist sich sicher: „Wie früher entspannt in die Disco zu gehen, ist momentan nicht drin und wird wohl nie wieder möglich sein. Die Bedrohungslage ist ernst.“
Baerbock will im Osten punkten
Parteivorsitzende und Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock möchte das Image der Grünen bei den ostdeutschen Wählern nun aufpolieren – mit dem Einsatz für Daseinsvorsorge und gleichwertige Lebensverhältnisse, mit besserer Infrastruktur. Das sagte sie im Januar auf einer digitalen „Ostkonferenz“ der Partei.
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Und räumte Fehler ein: In der Zeit nach der Wende hätte man die Chance, eine neue Gesellschaft zu schaffen, verpasst. Jetzt sehen sich die Grünen vor allem als „Brandmauer gegen Rechts“, würden in „Ostdeutschland für Demokratie kämpfen“, so Bundesgeschäftsführer Michael Kellner. Dafür muss es aber erst einmal ein Umdenken in vielen ostdeutschen Köpfen geben.