„Jeden Tag Kollegen, die weinen“: Corona-Situation wird in Belgien immer dramatischer
Charleroi –
Die Intensivstationen sind voll belegt, das Krankenhauspersonal ist völlig erschöpft – doch die Infektionszahlen steigen weiter: Mit 15.432 Corona-Neuinfektionen binnen eines Tages meldete Belgien am Wochenende einen neuen Höchstwert. Die Stimmung in den belgischen Kliniken ist angespannt, eine Verbesserung der Lage ist derzeit nicht in Sicht.
Fast stündlich werden neue Corona-Patienten in der Uniklinik von Charleroi eingeliefert. Die Krankenpfleger arbeiten so gut und zügig sie können, dennoch kommen sie kaum mit ihrer Arbeit hinterher. Wie die „Tagesschau“ berichtet, wurden alleine am Freitag 585 Menschen in die Kliniken aufgenommen. Einige waren so schwer erkrankt, dass sie auf die Intensivstation mussten. Gleichzeitig ist die Personaldecke dermaßen dünn, dass selbst mit Corona infiziertes Medizinpersonal arbeiten muss – solange es keine Symptome aufweist.
Belgien: 15.432 Neuinfektionen – Krankenhäuser und Personal am Limit
Die Krankenschwester Joséphine Casano steckt in einem Ganzkörperschutzanzug, mit Maske, Schutzbrille und Visier. Trotz der vollen Montur ist zu erkennen, wie abgekämpft sie ist. „Am meisten belastet mich die Reaktion der Familien, die nicht kommen können…“, weinend unterbricht sie sich. „Psychologisch ist es echt schwer. Ich schlafe schlecht und ich bin da nicht die einzige.“
Die Distanz zu den Patienten zu wahren, das ist nicht leicht. Es sei herzzerreißend, wenn es eine Person nicht schaffe, um die man sich mehrere Tage lang gekümmert habe, erzählt eine andere Krankenschwester der „Tagesschau“.
Ein Patient, der den Kampf gegen die Krankheit gewonnen hat und nun entlassen werden kann, erzählt: „Ich hatte große Angst. Dieses Virus ist furchtbar. Ich hab es anfangs nicht ernst genommen, aber jetzt weiß ich: Man muss es sehr, sehr ernst nehmen.“
Angespannte Lage in der Provinz Lüttich
In der belgischen Provinz Lüttich an der Grenze zu Deutschland ist die Lage ebenfalls extrem angespannt. Es existiert hier bereits die Sorge, zu einem zweiten Bergamo zu werden. Dem Pflegepersonal in den Krankenhäusern geht es auch hier nicht besser als in Charleroi. „Jeden Tag sehe ich Kollegen, die weinen – und wir stehen erst am Anfang“, erzählt Philippe Devos. Er arbeitet als Arzt auf der Intensivstation der CHC Lüttich. „Wir alle haben noch die Bilder vom März aus der Lombardei im Kopf. Wir wissen: Genau das wird uns erwarten, und davor fürchten sich alle.“
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Das Problem ist nicht, dass es zu wenige Betten gibt: Es gibt zu wenig Personal. Ärzte, Krankenschwestern und Pfleger waren schon vor Corona rar, doch nun haben sie zusätzlich noch wesentlich mehr Arbeit. In den letzten Jahren wurde im Gesundheitswesen enorm gespart. 2020 sei das erste Jahr, in dem die Regierung das Gesundheitsbudget um 1,2 Milliarden Euro aufstockte, so der Arzt Philippe Devos.
Der Personalmangel reicht so weit, dass sogar kranke Mitarbeiter arbeiten müssen. Auch die, die positiv auf Corona getestet wurden. Zu ihnen gehört auch Gaetan Mestag, ein Krankenpfleger in Brüssel. Er berichtet von seinem Verantwortungsgefühl gegenüber den Kollegen, aufgrund dessen er nicht einfach zu Hause bleiben kann: „Ich kann meine Kollegen nicht im Stich lassen und in Quarantäne gehen. Ich müsste meine Behandlungen absagen – weil ich keinen finde, der auch nur die Hälfte meiner Arbeitstage übernehmen könnte.“
Generelle Maskenpflicht und Ausgangssperre: Brüssel verschärft Corona-Regeln
Die Regionalregierung der Hauptstadt Brüssel verschärfte nun wegen der stark steigenden Zahlen nochmals die Regeln. So gilt unter anderem ab Montag in Brüssel überall Maskenpflicht, die nächtliche Ausgangssperre beginnt bereits um 22.00 Uhr statt um Mitternacht. Schwimmbäder, Sportclubs und Fitnessstudios müssen schließen – und auch das kulturelle Leben wird lahmgelegt. Heimarbeit ist Pflicht, soweit dies möglich ist. Und eine traurige Nachricht für die Kinder: Sie dürfen an Halloween nicht von Tür zu Tür ziehen.
Belgien hat nur 11,5 Millionen Einwohner und registriert trotzdem höhere Zahlen bei Neuinfektionen als Deutschland mit rund 83 Millionen Menschen. Die EU-Seuchenbehörde ECDC meldete am Samstag für Belgien pro 100.000 Einwohner binnen 14 Tagen 1115,6 Neuinfektionen, Deutschland mit 118,8 etwa ein Zehntel.
Und der Trend scheint nicht abzubrechen: Im Durchschnitt wurden in den Tagen vom 14. bis 20. Oktober 11.201 neue Ansteckungen registriert, 56 Prozent mehr als in der Woche davor. Die Zahlen für die Tage danach sind noch nicht konsolidiert.
Doch es ist nicht so, als würde die belgische Regierung erst jetzt auf die hohen Zahlen reagieren: Sie hatte bereits für das ganze Land die Schließung von Kneipen und Restaurants, eine nächtliche Ausgangssperre von Mitternacht bis 06.00 Uhr, strikte Kontaktbeschränkungen und ein umfassendes Gebot für Arbeiten im Heimbüro verfügt. Doch nun sah sich die Regionalregierung Brüssel zu einer weiteren Verschärfung in der Hauptstadt genötigt. (vd)