Bandenkrieg statt Bullerbü: In Schweden eskaliert die Gewalt – wieder Tote
Waffen, Gewalt, Tote – in einem Land, das für Natur und Friedlichkeit bekannt ist. Derzeit gerät die Bandenkriminalität in Schweden mehr und mehr außer Kontrolle, immer öfter werden Minderjährige erschossen. Warum bekriegen sich die Kriminellen gerade im einstigen nordischen Vorzeigeland?
Sieben Menschen wurden jüngst innerhalb von nur zehn Tagen rund um Stockholm und Uppsala erschossen. Anfang September wurde ein 13-jähriger Junge ermordet in einem Wald gefunden. Im Durchschnitt einmal pro Tag fallen irgendwo im Land Schüsse. Am Donnerstagabend gab es das nächste Opfer von Bandengewalt: In einer Kneipe in einem Ort bei Stockholm wurden zwei Männer erschossen, einer war ein Zufallsopfer. Die Lage in Schweden ähnelt derzeit eher einem Krimi von Stieg Larsson als einer Bullerbü-Erzählung. Doch wie konnte es so weit kommen?
Bandenkriminalität eskaliert in Schweden
„So eine Situation wie jetzt haben wir wohl seit 1945 nicht gehabt. Es ist eine gefährliche Zeit“, sagte der erfahrene Polizist Jale Poljarevius in der Rundfunksendung „Agenda“. Bandenkriminalität ist in Schweden nichts grundlegend Neues. Seit Jahren schon hat das Land mit Konflikten mehrerer Banden zu kämpfen, laut Regierung sind schätzungsweise 30.000 Menschen Mitglieder dieser Banden. Dabei geht es in erster Linie um das große Geld, das im lukrativen Drogengeschäft zu holen ist. Schweden ist zu einem Transitland für Kokain aus Lateinamerika auf dem Weg nach Europa geworden. All das führt zu Gewalt: Schießereien und vorsätzlich herbeigeführte Explosionen. In den ersten 258 Tagen des Jahres 2023 gab es laut offizieller Polizeistatistik mehr als 260 Schusswaffenvorfälle mit 34 Toten und 71 Verletzten.
Die Lage eskaliert. Die Regionen um Stockholm und die Universitätsstadt Uppsala haben sich zu einem Pulverfass entwickelt. „Derzeit befinden sich die kriminellen Netzwerke in einer sehr gewaltsamen, eskalierenden Phase“, sagt der Kriminologe Christoffer Carlsson. Die Gangs seien dazu übergegangen, auch Angehörige von Bandenmitgliedern anzugreifen.
Banden locken immer mehr Jugendliche an
Im Zentrum der jüngsten Gewaltwelle: der 36 Jahre alte Anführer des sogenannten Foxtrot-Netzwerks, unter dem Namen „Der kurdische Fuchs“ bekannt. Er soll sich mit einem 33 Jahre alten anderen führenden Mitglied des Netzwerks überworfen haben. Beide sollen sich in der Türkei versteckt halten. Nach Informationen des Rundfunksenders SVT nahm dort Anfang September die jüngste Gewaltwelle ihren Anfang, der Konflikt wurde in kürzester Zeit nach Schweden getragen: Am 7. September wurde in Uppsala die Mutter des 33-Jährigen erschossen, laut Polizei handelte es sich dabei um eine regelrechte Hinrichtung.
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Seitdem jagt eine Racheaktion die nächste – und zunehmend werden Minderjährige in die Auseinandersetzungen hineingezogen. Die Gangs locken sie mit Kleidung, Geld und einem Gefühl von Gemeinschaft. Oft sind sie es, die schießen – oder eben erschossen werden. Kriminologe Carlsson rechnet damit, dass es 15 Jahre dauern dürfte, die Schusswaffengewalt in den Griff zu bekommen – wenn die Zahl der Neurekrutierungen zurückgehe. „Dann beginnen wir, das Ende zu sehen, aber bis dahin ist es noch ein langer, langer Weg.“ (alp)