Blutspenden wird für schwule Männer leichter: Was sich jetzt ändert
Blutspender werden künftig nicht mehr nach ihrer sexuellen Orientierung befragt. Das sieht eine erneuerte Richtlinie der Bundesärztekammer vor. Was Spender und Empfänger jetzt wissen müssen.
Homo- und bisexuelle Männer in Deutschland können künftig leichter Blut spenden. Am Montag tritt eine entsprechende Erneuerung der sogenannten „Richtlinie zur Gewinnung von Blut und Blutbestandteilen und zur Anwendung von Blutprodukten“ der Bundesärztekammer in Kraft, wie die Organisation am Donnerstag mitteilte. Ob die neue Regelung ab Montag schon in der Praxis angewendet wird, hängt einem Sprecher zufolge davon ab, wie schnell die Blutspendedienste auf einen neuen Fragebogen umstellen.
Die Änderungen seien im Einvernehmen mit dem Paul-Ehrlich-Institut sowie unter Beteiligung des Bundesgesundheitsministeriums und des Robert Koch-Instituts erfolgt, so der Sprecher. Unter anderem Schwulenverbände hatten die bisherige Praxis als diskriminierend bewertet.
Was ändert sich mit der neuen Richtlinie?
Um Diskriminierung zu verhindern, erfolgt die Risikobewertung von Blutspenden künftig unabhängig von der sexuellen Orientierung und der Geschlechtsidentität. Daher werden Spendeninteressierte nun nicht mehr nach ihrer sexuellen Orientierung, sondern nach der Anzahl der Sexualpartner und der Sexualpraxis befragt, wie Johannes Oldenburg, Arzt und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesärztekammer, sagt. Auch heterosexuelle Menschen müssen also künftig konkret Angaben zu ihrer Sexualpraxis machen. Dabei wird auch speziell nach Analsex gefragt.
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Spezielle Ausschlusskriterien für Männer, die Sex mit Männern haben (MSM), fallen weg. Außerdem entfällt die Regelung zur Rückstellung von Transmenschen, die Sex mit häufig wechselnden Partnern haben. Zudem gibt es bisherige Altersgrenzen künftig nicht mehr. Auch Über-60-Jährige können damit in Zukunft als Erstspender zugelassen werden.
Wer darf künftig nicht Blut spenden?
Zurückgestellt wird, wer „innerhalb der letzten vier Monate ein Sexualverhalten aufgewiesen hat, das ein deutlich erhöhtes Übertragungsrisiko für durch Blut übertragbare schwere Infektionskrankheiten birgt”. Dazu gehört demnach etwa Sex mit insgesamt mehr als zwei Personen und Sex mit einer neuen Person, wenn dabei Analverkehr praktiziert wurde. Ziel der Risikoanalyse ist es, die Übertragung einer Infektion auf den Empfänger einer Blutspende möglichst zu verhindern.
Welche Blutspende-Regeln galten bislang in Bezug auf das Sexualverhalten?
Unabhängig von der Sexualpraxis galt bislang noch als risikoreich, wenn ein Mann innerhalb der vergangenen vier Monate Sex mit einem neuen Mann hatte. Bei Sexualverkehr zwischen Frau und Mann wurde hingegen für vier Monate nur zurückgestellt, wer „häufig wechselnde Partner/Partnerinnen” hatte.
Was ist Auslöser für die Änderung?
Im März beschloss das Parlament, „eine unvertretbare, medizinisch unnötige Diskriminierung” homosexueller Männer bei Blutspenden zu beseitigen, wie es Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) nannte. Das Gesetz gab der Bundesärztekammer eine entsprechende Änderung der Richtlinie vor. Im Transfusionsgesetz wurde dafür festgelegt, dass die sexuelle Orientierung bei der Bewertung des Risikos, das zu einem Ausschluss oder einer Rückstellung von Blutspenden führt, nicht berücksichtigt werden darf. Eine Einschätzung solle aber nach dem „individuellem Sexualverhalten der spendewilligen Person” möglich bleiben.
Wieso galten für homo- und bisexuelle Männer bislang andere Kriterien?
Nach Angaben des Robert Koch-Instituts zeigen epidemiologische Daten, dass Sex unter Männern mit einem besonders hohen Übertragungsrisiko für verschiedene Infektionen einhergeht. Etwa zwei Drittel der jährlichen Neuinfektionen mit HIV fielen auf MSM. Auch bei Syphiliserkrankungen, bei denen der Infektionsweg bekannt sei, wurden dem RKI zufolge 85 Prozent aller Erkrankungen auf Sex unter Männern zurückgeführt (Stand: September 2021). Bis 2017 durften MSM und Transmenschen deswegen sogar gar nicht Blut spenden.
Welche Vorsichtsmaßnahmen gelten bei der Blutspende?
Nach Angaben der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung werden täglich 15.000 Blutspenden für Operationen, zur Versorgung von Unfallopfern und für die Behandlung schwerer Krankheiten benötigt. Um eine sichere Versorgung zu garantieren, werden alle Blutspenden im Labor auf spezielle Infektionskrankheiten untersucht, etwa auf HIV, Syphilis und Hepatitis B, C und E.
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Transfusionsmediziner Oldenburg zufolge wird die Spende etwa auch auf eine Infektion mit dem West-Nil-Virus überprüft. Allerdings könnten die Tests keine absolute Sicherheit geben, auch wenn sie äußert sensibel seien. Vor allem sehr neue Infektionen können erst nach einer gewissen Zeit im Blut nachgewiesen werden. Daher müssen Spendeninteressierte vor einer Spende einen umfangreichen Fragebogen zu ihrer Gesundheit ausfüllen und ein Arztgespräch führen.
Sind Blutprodukte auch mit der neuen Regelung noch sicher?
„An der Sicherheit der Blutprodukte ändert sich nichts”, versicherte Oldenburg. Das zeigten auch Erfahrungsberichte aus anderen Ländern, die ihren Fragenkatalog bereits entsprechend angepasst hätten. Auch wenn künftig nicht mehr explizit nach der sexuellen Orientierung gefragt werde, würden mögliche Risiken ebenso gut erfasst. Auch über den Wegfall der Altersgrenze müssten potenzielle Blutspendenempfänger sich keine Sorgen machen. „Die Qualität des Blutes wird durch das Alter nicht beeinträchtigt.” Die bisherige Regelung sei zum Schutz von Spendern eingerichtet worden, weil ältere Menschen zum Teil Kreislaufprobleme oder Bluthochdruck hätten.
Was sagen Betroffene dazu?
Die Deutsche Aidshilfe bezeichnete die Gesetzesänderung der Ampel-Koalition im März als „großen Fortschritt”. Inwieweit Diskriminierung künftig wirklich vermieden werde, könne erst mit der Veröffentlichung der Richtlinie am 4. September beurteilt werden, sagte Sprecher Holger Wicht auf Anfrage. „Es geht darum, Diskriminierung zu vermeiden und gleichzeitig Sicherheit zu gewährleisten”, sagte Wicht. Der Verein hatte die bisherige Regelung immer wieder als diskriminierend bezeichnet, weil sie schwule Männer zu pauschal und ohne ausreichende Begründung ausschließe. (dpa/mp)