Corona in Asien: Hölle droht sich zu wiederholen: Warum Indien erst der Anfang war
Neu-Delhi/Kathmandu –
Corona-Kranke sterben auf den Straßen, während Angehörige verzweifelt versuchen, Hilfe zu organisieren; in provisorischen Krematorien auf Gehwegen und Parkplätzen lodern die Flammen gen Himmel: Die Bilder aus Indien sorgen weltweit für Entsetzen – und die Angst ist groß, dass sie sich bald wiederholen.
Ob Bangladesch, Sri Lanka oder Pakistan: Fast alle Nachbarländer Indiens verzeichnen derzeit Höchstwerte bei Infektionszahlen und Todesfällen. Die Grenzen zum Corona-gebeutelten Subkontinent sind deshalb nun geschlossen, viele Intensivstationen voll oder bald voll.
Besonders dramatisch ist die Lage in Nepal: In dem Himalaya-Land mit rund 30 Millionen Einwohnern ist laut lokalen Medien derzeit zwei von fünf Corona-Tests positiv. Die Angst ist groß, dass sich die Bilder aus Indien wiederholen, denn auch in Nepal sind Kliniken und Krematorien schon jetzt heillos überfüllt.
Kliniken überlastet: In Nepal steigen die Corona-Zahlen
Vergangenen Mittwoch verzeichnete das Land den bisherigen Höchstwert von über 9000 Neuinfektionen in nur 24 Stunden, die Sieben-Tage-Inzidenz lag bei horrend hohen 8963. Seit Beginn der Pandemie vor mehr als einem Jahr haben sich mehr als 400.000 Nepalesinnen und Nepalesen mit dem Coronavirus infiziert, über 4000 starben an Covid-19. Die Dunkelziffer dürfte jedoch wesentlich höher liegen, denn nicht überall wird ausreichend getestet.
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Im Verhältnis zur Bevölkerungszahl steigt die Infektionskurve in Nepal inzwischen stärker an als in Indien. Aber warum? Ein Grund dürften Mutationen sein – in Nepal grassieren gleich zwei gefährliche: die britische und die indische. Das Erschreckende: Anders als in der ersten Corona-Welle im Vorjahr erkrankten nun komplette Familien, sobald sich ein Mitglied infiziert habe, erzählen die Ärzte. Viele der Patienten seien zudem sehr jung, oft zwischen 20 und 30 Jahre alt. Doch im Gegensatz zur riesigen Wirtschaftsmacht Indien mit ihren 1,3 Milliarden Einwohnern, würde Nepal kaum Beachtung geschenkt – und dass, „obwohl sich das Virus hier viel schneller verbreitet“, kritisiert Budhi Setiawan, medizinischer Leiter des Kinderhilfswerks Unicef in Nepal, im „Spiegel“.
Ein großes Problem ist, dass Nepal ärmer und vom großen Nachbar Indien abhängig ist. Doch da der im Moment selbst Hilfe benötigt, bleiben die normalerweise in so einer Extremsituation erwartbaren Hilfslieferungen von Sauerstoff, Medikamenten und Schutzkleidung aus, berichtet Setiwan. Das betreffe ebenfalls die Impfstoff-Versorgung – in Nepal gab es bislang nur 2,5 Millionen Impfungen. „Wir fürchten, dass wir vergessen werden“, so Setiwan.
Gesundheitssystem in Nepal ist katastrophal
Das Virus verbreitet sich indes immer weiter. „Die zweite Welle der Pandemie hat nicht nur das Kathmandu-Tal betroffen, sondern auch verschiedene Städte des Landes sowohl in den Bergen als auch im Terai, der Tiefebene an der Grenze zu Indien“, zitiert die „Deutsche Welle (DW)“ die Ärztin Sabina Parajuli. Sie arbeitet in einer Klinik in Bharatpur, rund 80 Kilometer westlich der Hauptstadt Kathmandu. „Die Menschen verlieren ihr Leben, während sie hierhin und dorthin rennen, um in ein Krankenhaus eingeliefert zu werden und intensive Pflege zu erhalten“, erzählt sie.
Ein weiterer Grund für die fürchterliche Lage: Das Gesundheitssystem in Nepal ist katastrophal. Nach einem Behördenbericht von Mai 2020 stehen für die fast 30 Millionen Einwohner gerade einmal 1595 Betten auf Intensivstationen und 480 Beatmungsgeräte zur Verfügung. Auf rund 140.000 Menschen kommt ein Arzt, berichtet die „DW“. Zum Vergleich: In Deutschland kommen rund 200 Einwohner auf einen Arzt.
Gleichzeitig ist die die kommunistische Regierung des Landes heillos zerstritten und mit sich selbst beschäftigt. Immerhin: Sie hat in den betroffenen Regionen nun einen Lockdown verhängt, der Flugverkehr ist eingestellt. Zudem hat China 20.000 Sauerstoffflaschen und 100 Beatmungsgeräten als Hilfe in Aussicht gestellt – doch letztendlich ist auch das nur ein Tropfen auf den heißen Stein.
Corona-Behandlung ist extrem teuer
Die Leidtragenden in dem Entwicklungsland sind vor allem die Armen. Nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) lebt etwa ein Drittel der Nepalesinnen und Nepalesen unterhalb der Armutsgrenze, fast jedes zweite Kind ist chronisch unterernährt. „Die Behandlung von Covid-19-Fällen ist so kostspielig, dass es für die einfache Bevölkerung unerschwinglich ist, sich in privaten Krankenhäusern behandeln zu lassen, da diese exorbitante Preise verlangen“, sagt die Ärztin Sabina Parajuli.
Neben Nepal und anderen Anrainerstaaten Indiens verzeichnen auch südostasiatische Länder wie Laos, Kambodscha und Thailand ihre bislang höchsten Fallzahlen. Vietnam und Singapur haben die Lage derzeit noch im Griff, verschärfen aber ebenfalls angesichts steigender Zahlen ihre Vorsichtsmaßnahmen. Sri Lanka hofft, mit einer flotten Impfkampagne ein mögliches Überschwappen der Indien-Welle zu verhindern.
Parajuli, die Ärztin aus Bharatpur, blickt derweil hoffnungslos auf die nächste Zeit: „Leider scheint sich Südasien zum Epizentrum (…) entwickelt zu haben. Anstatt die Situation unter Kontrolle zu bekommen, flammt sie mit jedem Tag mehr auf.“