Der Danebenlieger: Reporter decken auf: Warum Virologe Streeck ständig Unsinn erzählt
Bonn –
Hendrik Streeck ist sowas wie der Lottospieler unter den Virologen. Allerdings ein glückloser: Kaum ein Experte liegt mit Blick auf die Corona-Pandemie in seinen Einschätzungen so oft daneben wie der Leiter des Instituts für Virologie am Uniklinikum Bonn. Dennoch wird er von Politikern und in Talkshows hofiert. Wie kann das sein?
Hendrik Streeck ist der Liebling vieler Talkshows: Anders als etwa Kollege Christian Drosten ist er so etwas wie der Gute-Laune-Virologe vom Dienst. Immer wieder sprach er sich gegen Lockdowns aus und propagierte, dass das Coronavirus gar nicht so gefährlich sei wie gedacht. Doch leider sind viele seiner Aussagen und Einschätzungen falsch.
Virologe Streeck liegt mit seinen Corona-Einschätzungen konsequent daneben
Die erste dramatische Fehleinschätzung gleich zu Beginn der Pandemie: Per Twitter widersprach er der Weltgesundheitsorganisation WHO, die am 30. Januar 2020 für das neu entdeckte Sars-Coronavirus die gesundheitliche Notlage von internationaler Bedeutung ausrief. Streeck twitterte: „Ich finde die Entscheidung ist falsch. Nach den bisherigen Daten ist die Influenza dieses Jahr eine größere Gefahr als das neue Coronavirus.“
Klar ist: Zu Beginn der Pandemie gab es einige Fehleinschätzungen der Situation, Streeck lag nicht als Einziger daneben. Doch der 43-Jährige, der zuvor vor allem zum Aids-Virus HIV forschte, ist irritierend lange – trotz neuer Erkenntnisse – bei seiner verharmlosenden Grundhaltung geblieben. Auch in anderen Fällen. Seine eindeutigen Fehler hat er nie eingestanden oder transparent korrigiert.
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Dabei lassen sich seit Februar vergangenen Jahres bis heute mühelos mehrere Beispiele für grobe Irrungen, Wirrungen, sowie 180-Grad-Wenden des Wissenschaftlers finden. „Übermedien“ berichtete bereits ausführlich darüber.
Streeck setzt auf Herdenimmunität
So setzte Streeck auch früh auf die sogenannte „Herdenimmunität“, leugnete dies später, um dann wieder darauf zu setzen. Bereits in Streecks erstem Bericht zur sogenannten Heinsberg-Studie (mehr dazu weiter unten) im April 2020 schrieb er: Dass im einstigen Hotspot 15 Prozent der Bevölkerung eine Corona-Infektion durchlaufen hätten, sei wichtig im „Prozess bis zum Erreichen einer Herdenimmunität“.
Die Idee der Herdenimmunität zielt darauf ab, dass sich ein Großteil der Bevölkerung mit dem Virus infiziert, dadurch Antikörper aufbaut und so viele Menschen gegen das Virus immun werden. Damit einhergehend: keine Beschränkungen für die Bevölkerung, dafür extrem hohe Fallzahlen.
Diesen Kurs haben Wissenschaftler im vergangenen Jahr bereits mehrfach als gefährlich eingeordnet. Denn bei dieser „Strategie“ wären nicht nur über einen langen Zeitraum viele Menschen krank und die Kliniken überlastet, sie lässt auch die Spätfolgen völlig außer Acht. Trotz der Kritik der Experten gab Streeck diese Haltung nicht auf: Im Juni 2020 forderte er in einem Interview mit der dpa, bewusst mehr Infektionen zuzulassen. Im Herbst wollte er von seinen damaligen Aussagen dann nichts mehr wissen, er leugnete sie sogar. Dem „Cicero“ sagte er: „Tut mir leid. Ich habe nie auf Herdenimmunität gesetzt.“ Dass man das Gegenteil nachprüfen kann, scheint ihm egal zu sein.
Streeck argumentiert mit fehlerhafter Studie
Immer wieder macht Streeck auch durch Empfehlungen zu Lockerungen von sich reden. Und seine Aussagen werden gehört: Im April 2020 trug er dazu bei, dass die seit März geltenden Einschränkungen von der Politik vorschnell beendet wurden – ein Fehler, wie mittlerweile klar ist.
Der HIV-Experte setzte damals seine „Heinsberg-Studie“ ein, um die politische Debatte pro Lockerungen zu beeinflussen, berichtet „Übermedien“. Die Studie zum Ausbruch im ersten deutschen Hotspot schien zu beweisen, dass der Landkreis auf dem Weg zur Herdenimmunität sei, wobei die Zahl der Toten deutlich niedriger läge als befürchtet. Doch es gab zwei große Probleme dabei.
Laschet gab Streeck-Studie in Auftrag
Das erste Problem: NRW-Ministerpräsident Armin Laschet sagte auf einer Pressekonferenz mit Streeck, dass er die Studie in Auftrag gegeben habe, um „zu Erkenntnissen zu kommen, die dann wieder für die Politik von Bedeutung sind“. Klares Ziel: Öffnungen und zurück zum normalen Leben. Es liegt nahe, darin den Ursprung des zweiten Problems der Studie zu sehen: Die Angabe der Zahl der Toten in Heinsberg war falsch. Streeck nannte in der Studie sieben Todesfälle.
Doch „MedWatch“ ermittelte im Nachhinein, dass die Zahl der Toten rund doppelt so hoch war! Die zusätzlichen Todesfälle seien Streeck spätestens seit September 2020 durch eine Anfrage bekannt gewesen, schreiben die „MedWatch“-Journalisten weiter. Dennoch fanden sie – auch nachträglich – keinen Eingang in die Studie. Streeck argumentierte, die Angaben seien nicht zuverlässig genug – doch stammen sie laut der Journalisten aus derselben Quelle wie die Zahlen, die er selbst für die Studie verwendet hat.
Streeck zwischen Lockdown und Lockerungen
Auch mit Blick auf die zweite Corona-Welle lag Streeck daneben. Denn er plädierte im Sommer 2020 für Lockerungen, später kritisierte er, dass es keinen harten Lockdown gegeben habe. Ähnliches wiederholte er beim Lockdown im vergangenen Herbst. Immer wieder redete er das Virus und die Mutationen klein, unterschätzte dessen Tödlichkeit und ignorierte störrisch neue Erkenntnisse zu den Langzeitfolgen einer Corona-Infektion.
Doch mittlerweile wird die Kritik an ihm lauter. So knöpfte sich der Satiriker Jan Böhmermann den Virologen bereits auf Twitter und in seiner Sendung „Magazin Royale“ vor. Und die „Zeit“-Journalistin Vanessa Vu schrieb nach einem gemeinsamen Auftritt bei „Markus Lanz“ auf Instagram: „Man kann gar nicht so schnell factchecken, wie er widersprüchliche, irreführende oder schlicht falsche Dinge sagt.“
Auch deshalb nehme Streeck innerhalb der Corona-Forschung „eine Außenseiterposition ein.“ Es sei irrational, wie der HIV-Experte überhöht werde, obwohl er immer wieder falsch liegt und „es mit den Fakten nicht immer so genau nimmt“, so Vu.
Bei Lanz: Mai Thi Nguyen-Kim kritisiert Streeck scharf
Auch die Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim war jüngst mit Streeck bei „Lanz“ zu Gast – und grillte ihn direkt. Mit Blick auf die Heinsberg-Studie sagte sie: „Entweder Sie sind, mit Verlaub, schrecklich naiv und haben sich instrumentalisieren lassen oder Sie haben sich doch bewusst politisch auf die Seite der Öffnungen gestellt.“
Seine darauffolgenden Ausreden ließ sie nicht gelten. Knallhart gab sie zurück: „Wenn Sie wirklich so sehr missverstanden werden, dann müssen Sie sich vielleicht besser beraten lassen in Ihrer Kommunikation.“
Klar ist: Streeck ist kein Schwurbler und Verschwörer, sondern ein anerkannter Wissenschaftler. Doch da liegt das Problem. Sein Wort hat Gewicht und seine Präsenz in den Talkshows und anderen Medien sorgt zusätzlich für Reichweite. Viele Menschen glauben ihm und sehen sich bestätigt, die Gefahr des Virus nicht allzu ernst zu nehmen – auch wenn sich kaum eine seiner Aussagen diesbezüglich bewahrheitet hat.